Aufregung bei den Wahlen in Deutschland:
Wer ist Antisemit?
Eldad Beck
Wolfgang S. fällt es schwer, die Tränen
zurückzuhalten. „Wer hätte gedacht, dass wir jemals in eine solche
Situation geraten werden?“, seufzt er. „Wir sind keine Partei von
Antisemiten.“ Wolfgang ist langjähriger Aktivist in der FDP, der
liberalen Partei Deutschlands, die sich dieser Tage im Mittelpunkt einer
der stürmischsten politischen Affären befindet, die Deutschland in den
letzten Jahren zu verzeichnen hatte.
Bisher war dies eine ruhige, bürgerliche Zentrumspartei,
frei von Skandalen, was es ihr fast traditionsgemäß ermöglichte, bei
verschiedenen Koalitionen das Zünglein an der Waage zu bilden. Heute
wird ihr vorgeworfen, zu einer antisemitischen Partei geworden zu sein,
zu einem „Asyl für Israelfeinde“, zur deutschen Version der FPÖ.
Bundeskanzler Schröder erklärte, die Liberalen schadeten
dem Ansehen Deutschlands im Ausland. Sowohl die Sozialisten als auch die
Konservativen sagten, unter den derzeitigen Umständen habe es die Partei
nicht verdient, als eventueller Koalitionspartner betrachtet zu werden.
Die Affäre läßt Adrenalin in den Wahlkampf fließen, der
eigentlich langweilig und grau zu werden versprach. Die Deutschen sind
normalerweise nicht mit existenziellen oder schicksalhaften Problemen
beschäftigt, wie Krieg und Frieden. Sie machen sich eher Sorgen um
Arbeitslosigkeit, Umwelt, Gewalt in den Schulen. Und nun wurde der
Wahlkampf plötzlich in eine völlig unerwartete Richtung getrieben:
Israel und die Juden.
In der Affäre gibt es vier Stars: Jürgen Möllemann...,
Jamal Karsli....,, Michel Friedmann... und Guido
Westerwelle...Westerwelle beschloss, für das Amt des Kanzlers zu
kandidieren, und um die jungen Wähler anzuziehen, übernahm er die
Strategie des „Durchbrechens von Tabus“. Als erstes Tabu, das es zu
brechen gilt, wählte er, in Übereinstimmung mit seinem Vize Möllemann,
die Juden und Israel.
„Die Antisemitismus-Diskussion“ brach vor zwei Monaten
aus, auf dem Höhepunkt der Aktion „Schutzwall“. Möllemann gab ein
Interview, aus dem sich entnehmen ließ, dass er die palästinensischen
Selbstmordattentate gegen Israel unterstützt.
...Seine Äußerungen stießen auf scharfe Kritik seitens
des Israelischen Botschafters in Berlin, Schimon Stein, und seitens der
jüdischen Gemeinde. Die Israelische Botschaft wurde auf die negativen
Entwicklungen in der FDP aufmerksam, und als Versuch, diese Strömungen
zu stoppen, wurde Westerwelle zu einem Besuch nach Israel eingeladen.
Möllemann arbeitete jedoch bereits an der zweiten Phase.
Bei einer dramatischen Pressekonferenz gab der „Syrer“ Karsli bekannt,
er trete aus der Fraktion der Grünen aus und schließe sich der FDP an,
als Zeichen der Anerkennung für die entschlossene Haltung Möllemanns
gegen Israel. Von nun an ging es bergab, und die Diskussion über die
Haltung zur Politik Israels wurde zu einer Diskussion über
Antisemitismus. Karsli, so erinnerten sich die Rivalen Möllemanns, hatte
erst vor kurzem gesagt, die IDF wende in den Gebieten „Nazimethoden“ an.
Die Tatsache, dass die Parteiführung zu diesen
Entwicklungen schwieg, versetzte die jüdische Gemeinde in
Alarmbereitschaft. Seit Beginn der zweiten Intifada nahm die deutsche
Kritik an Israel eine antisemitische Färbung an. Was „verboten“ ist,
über die Juden zu sagen, sagt man nun über Israel und Sharon. Diese
Erscheinung existiert auch in den deutschen Medien.
Eine Umfrage, die von amerikanischen Juden bestellt
wurde, und in der die Art der Berichterstattung über den
israelisch-palästinensischen Konflikt untersucht wurde, hat eindeutig
ergeben, das die deutsche Presse im Zusammenhang mit Israel
antisemitische Stereotypen verwendet. „Meine jüdische Freunde sagen mir,
sie hätten sich in Deutschland noch nie so einsam gefühlt“, erzählt
Außenminister Joschka Fischer, und er übertreibt gewiss nicht.
Michel Friedmann, der immer Ziel von Angriffen derer
war, die die Juden in Deutschland nicht so gerne haben, beschloss zu
reagieren. Dieser elegante Mann entspricht nicht unbedingt dem Image des
„Juden“ in der antisemitischen Lehre. Noch dazu moderiert er eine
beliebte Talk Show in Deutschland.
Friedmann beschuldigte Karsli und Möllemann des
Antisemitismus und forderte, Karsli aus den Reihen der FDP zu entfernen.
Möllemann warf Friedmann daraufhin vor, mit seinem Verhalten schüre er
selbst den Antisemtismus..Möllemann und Friedmann, die beide über ein
riesiges Ego verfügen, begannen einen scharfen persönlichen Kampf, in
den sie ganz Deutschland hineinzogen. Der Großteil der deutschen
Parteien stellte sich auf die Seite der jüdischen Gemeinde.
Unterstützung erhielt die FDP nur von Jörg Haider und der radikalen
Rechten in Deutschland.
Die Parteiführung zwang Möllemann, sich öffentlich zu
entschuldigen und Karsli zu entlassen. Er erklärte jedoch, dass er nicht
beabsichtige, sich bei Friedmann zu entschuldigen und verschärfte sogar
seine persönlichen Angriffe gegen den jüdischen Medienstar.
Die Affäre, so scheint es, wird nicht so schnell zu Ende
gehen. Die jüdische Gemeinde fordert die FDP-Führung nun auf, Möllemann
aus seinem Amt als Vizevorsitzenden zu entlassen. Möllemann versprach
bereits, dass er kämpfen werde.
Und als sei dies noch nicht genug, wird in zwei Wochen
der neue Roman Martin Walsers erscheinen, der von der angesehenen
Tageszeitung FAZ als antisemitische Hetze bezeichnet wurde...Der Roman
befaßt sich mit der Ermordung eines jüdischen Literaturkritikers, den
man mit dem jüdischen Kritiker Marcel Reich-Ranicki identifizieren kann,
ebenfalls eine umstrittene Medienfigur in Deutschland. Ist es Zufall,
dass jetzt mit zwei der bekanntesten Juden Deutschlands abgerechnet
wird? Erlaubt es sich das neue Deutschland, den antisemitischen Geist
aus der Flasche zu lassen?
Einen Teil der Antwort werden die bevorstehenden
Bundestagswahlen liefern. In letzten Umfragen kann man feststellen, dass
die FDP wegen der „Antisemitismus-Diskussion“ an Unterstützung verliert.
Andererseits sind der Partei in den letzten Wochen mehr neue Mitglieder
beigetreten als in den letzten fünf Jahren.
Übrigens, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats
der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, war lange Jahre Aktivist in der
FDP. Bubis, der vor drei Jahren gestorben ist, konnte die Partei in den
90-er Jahren sogar vor dem völligen Verschwinden retten. Auf den Flügeln
seines Erfolgs bei den Stadtratswahlen in Frankfurt konnte sich die
Partei, die damals in einer tiefen Krise steckte, erholen und sich auf
einen neuen Weg machen. Bubis hätte sich sicherlich nicht vorgestellt,
wohin sie dieser „neue Weg“ führen wird.
haGalil onLine 13-06-2002 |