Volkstrauertag:
Nicht bei uns!
Wütende Reaktionen in Israel auf die
Absicht der Deutschen Botschaft, eine Gedenkfeier für die Gefallenen
des Zweiten Weltkriegs abzuhalten
Assaf Chaim, M'ariw
Die Deutsche Botschaft in Israel war gestern im
Stress. Seit Jahren bemüht man sich, die Wunden, die noch immer
unter der Oberfläche schwelen, nicht aufzureißen, und jede Äußerung,
die an den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust erinnert, wird von
allen stets mit größter Vorsicht behandelt. Bis dann der deutsche
Militärattaché, Oberst Ernst Elbers, daherkam und Einladungen für
eine Gedenkfeier für die Gefallenen des Ersten und Zweiten
Weltkriegs versandte, am 17.November, auf dem Friedhof der
Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Nazareth.
Die Einladungen, die auch an israelische
Militärhistoriker verschickt wurden, gelangten an die Medien und die
Aufregung ging los. Gestern wurde in der Deutschen Botschaft bereits
beschlossen, die Gedenkfeier zu verschieben. „Wir haben gesehen,
dass hier große Mißverständnisse entstehen können und haben deshalb
erst einmal beschlossen, die Gedenkfeier zu
verschieben“,entschulidgte sich gestern der Sprecher der Botschaft,
Reinhard Wiemer. „Wenn wir die Zeremonie abhalten, werden wir dafür
sorgen, dass es keinen Grund für Mißverständnisse mehr gibt.“
Alles begann letzte Woche, als ausländische
Diplomaten und einige Militärhistoriker die Einladungen der
Deutschen Botschaft erhielten. Einer von ihnen ist Oberst d.R. Jigal
Scheffi, Dozent für militärische Studien an der Tel Aviv
Universität. Scheffi erhielt die Einladung und traute seinen Augen
nicht. „Ich erhielt die Einladung und war schockiert“, erzählt er.
„Dass es einen deutschen Militärfriedhof gibt, und dass dort
Gedenkfeiern stattfinden, ist allgemein bekannt. Was mich
überraschte, war die Überschrift der Einladung, in der von einer
Gedenkfeier für die Soldaten der beiden Weltkriege die Rede war. Das
war zu viel.“
Scheffi sagt weiter, er fände es völlig in
Ordnung, wenn für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eine
Gedenkfeier stattfindet. „Das ist durchaus angebracht, auch, um die
Einseitigkeit, die heute existiert, auszugleichen. Die israelische
Geschichte identifiziert die deutsche Armee, die während des Ersten
Weltkriegs in Eretz Israel war, mit der Armee des Zweiten
Weltkriegs, und das ist falsch. Das Ergebnis ist, dass eine
Geschichte von Guten und Bösen entstand, wobei die Guten die Briten
sind, und die Bösen die Deutschen und die Türken. Das ist nicht
richtig, und deshalb ist es wichtig und legitim, dass eine
Verewigung stattfindet. Was hier passiert ist, ist schrecklich
unsensibel, denn nachdem wir seit Jahren versuchen, zwischen den
beiden Kriegen zu differenzieren, stellen die Deutschen selbst eine
Verbindung zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg her. Das wirft
uns um Jahre zurück. Ich würde mich nicht wundern, wenn es sich hier
nur um den Militärattaché handelt, der als Beamter die weltweite
Formulierung aus Berlin verwendet hat. In Israel hätte das Thema
jedoch mit besonderer Vorsicht behandelt werden müssen“, sagt
Scheffi.“
Auch der Vorsitzende von Jad Vashem, Avner Shalev,
hörte von der Absicht der Botschaft und war über die mangelnde
Sensibilität erschüttert. „Mein erstes Gefühl war, dass es sich hier
um einen Ausdruck erstrangiger Insensibilität und grundlegendem
Unverständnis der Stimmung in Israel handelt, wo Tausende
Holocaustüberlebende und deren Familien leben“, sagte Shalev. „Wir
betrachten dies als eine allgemeine Gedenkfeier für die Gefallenen
der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg, darunter Hunderttausende,
die Juden und andere ermordet haben. Das ist geschmacklos und
unsensibel und verletzend.“
Shalev sagt weiter, gestern seien zahlreiche
Telefonate von Holocaustüberlebenden und deren Angehörigen in Jad
Vashem eingegangen, die sich persönlich verletzt fühlten. „Auch wenn
es sich um einen neuen Attaché handelt, ist es doch sehr schade,
dass er sich der großen Empfindlichkeit dieses Themas in Israel
nicht bewußt ist“, sagt Shalev. „Es handelt sich um einen Friedhof,
auf dem Gefallene des Ersten Weltkriegs bestattet sind, und wir
haben kein Problem damit, dass für sie Gedenkfeiern stattfinden.
Mehr als das kommt nicht in Frage. Eine Gedenkfeier für Judenmörder?
Oder für die Soldaten Rommels, die auf dem Weg waren, Eretz Israel
zu erobern und die jüdische Ansiedlung zu zerstören? Ich glaube
nicht, dass es sich hier um eine veränderte Politik der Botschaft
handelt, auch nicht um den Wunsch, absichtlich zu verletzen. Aber es
ist ein Ausdruck von Insensibilität, und das ist ärgerlich. Wenn
jährlich in kleinem Kreise eine Gedenkfeier stattfindet, über die
nichts bekannt ist, dann kann man nichts machen. Aber wenn es sich
um eine Gedenkfeier für Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg handelt,
die Sache veröffentlicht wird und Israelis eingeladen werden, dann
ist das für uns ein enormes Problem und trifft auf einen offenen
Nerv“, erklärte Shalev.
In der Deutschen Botschaft machte sich wie gesagt
der Druck bemerkbar. Der Sprecher der Botschaft weigerte sich, dem
Militärattaché, der die Aufregung ausgelöst hat, Ernst Elbers, zu
ermöglichen, mit den Medien zu sprechen und behauptete, es handle
sich um ein Mißverständnis. „Dies ist eine Gedenkfeier, die jedes
Jahr im November stattfand, und zwar für alle Opfer der Kriege im
vergangenen Jahrhundert, darunter die Gefallenen der beiden
Weltkriege“, sagte der Sprecher. „An der Gedenkfeier ist nichts
Neues, und sie findet auch in Israel seit 15 Jahren statt, ohne
jemals irgendwelche Diskussionen ausgelöst zu haben. Es geht hier um
die einfachen Soldaten der Armee, und natürlich nicht um
SS-Soldaten, die in Nürnberg als Kriegsverbrecher definiert wurden.
Wahrscheinlich hat diesmal jemand die Einladung des Militärattachés
erhalten, den es gestört hat, dass allen Gefallenen der deutschen
Armee gedacht werden soll. Er gab dies an die Presse weiter, und so
entstand die Aufregung. Ich möchte klarstellen, dass es sich nicht
um eine Gedenkfeier für die SS handelt, wie es veröffentlicht
wurde“, betonte der Sprecher wiederholt.
Er sagte weiter, in der Botschaft sei man sich der
Empfindlichkeit des Themas bewußt, und deshalb sei beschlossen
worden, die Zeremonie zu verschieben. „Im israelischen Kontext gibt
es ein Problem, und wir werden dafür sorgen, dass es bei der
Gedenkfeier, die zu einem späteren Termin stattfinden wird, keine
Mißverständnisse geben wird. Wir wissen, dass es sich um ein
empfindliches Thema handelt, nicht nur im Zusammenhang mit der SS,
sondern auch mit den Soldaten von General Rommel, der in Ägypten von
Montgomery gestoppt werden konnte. Es ist eine schwierige Frage, wie
man dieses Thema in Israel behandelt, denn hier ist es empfindlicher
als in anderen Ländern, die gegen Deutschland gekämpft haben, wie
z.B. Rußland und die USA, wo wir die Zeremonie abhalten“, sagte
Wiemer.
Aus seinen Äußerungen läßt sich entnehmen, dass es
sich hier lediglich um einen technischen Fehler beim Druck der
Einladungen handelt, und wenn der Militärattaché nicht auf die
Einladungen geschrieben hätte, dass auch den Gefallenen des Zweiten
Weltkriegs gedacht wird, sondern sich mit einer wagen Formulierung
begnügt hätte, kein Problem entstanden wäre.
Der neue Termin für die Gedenkfeier steht noch
nicht fest, und zwischenzeitlich wandte sich ein Vertreter der
Botschaft bereits an das Außenministerium und erklärte, es habe sich
um ein Mißverständnis gehandelt. Das Außenministerium teilte
daraufhin mit, die Angelegenheit sei beigelegt. „Wir haben uns über
die Zeremonie gewundert, aber haben zuvor nichts davon gewußt“, hieß
es aus dem Außenministerium. „Wie auch immer, der Deutsche
Botschafter wird am Montag eine offizielle Erklärung zu dem Thema
veröffentlichen, und aus unserer Sicht ist das Thema damit
abgeschlossen.“
hagalil.com
28-10-02 |