Pessimistische Aussichten:
Interview mit Peter Scholl-Latour
Auszüge aus einem Interview von Ramon Schack
Herr Scholl-Latour, deuten Ihrer Meinung nach die
in Israel und Palästina verstärkt auftretenden Selbstmordattentate
auf eine Hinwendung zum schiitischen Gedankengut innerhalb des
sunnitischen Islams in Palästina?
Das dürften Sie Palästinensern so nicht sagen, die
würden das nicht gerne hören, allerdings stimme ich Ihnen zu, der
Mythos des "Märtyrer-Todes" entspricht schiitischer
Glaubensmythologie. Dieser Mythos hat seinen Ursprung in Persien,
der größten schiitischen Nation weltweit und wird auch dort schon
seit Jahrtausenden praktiziert. Während des ersten Golfkrieges sind
ja ganze Generationen von Schulkindern des Irans im irakischen
Artilleriefeuer ausgelöscht wurden bei der Praktizierung des
Märtyrertodes.
Von einer allgemeinen Hinwendung der Suni zur Schia
sollte man in diesem Zusammenhang aber nicht sprechen. Auch eine
Annäherung im theologischen Sinne ist nicht zu erkennen.
Die Beziehungen der schiitischen Hisbollah zu den
Palästinensern sind denkbar schlecht, schon aufgrund des
libanesischen Bürgerkrieges in den 70iger und 80iger Jahren, damals
hat die PLO keine rühmliche Rolle gespielt und sich nicht nur bei
den Schiiten des Libanons extrem unbeliebt gemacht.
Ferner halten sich die Sunniten sowieso für etwas
Besseres und betrachten Ihre schiitischen Glaubensbrüder lediglich
als Sektierer. Eine Zusammenarbeit zwischen diesen beiden tief
verfeindeten Glaubensrichtungen des Islams entsteht allerdings in
der sogenannten Praxis des "asymetrischen Krieges", basierend auf
dem gemeinsamen Feind Israel. Die Praxis der Selbstmordanschläge,
denen Israel ja nichts entgegen zu setzen hat, ist ein Indiz dafür.
Sie haben einmal Israels Schicksal mit dem
biblischen Mythos von Daniel in der Löwengrube verglichen. Also als
ein Staat dessen Schicksal es sei ewig wachsam in einer potentiell,
feindlichen Umgebung zu leben. Sind Sie eigentlich optimistisch
bezüglich der Zukunft Israels?
Man hat ja lange geglaubt, dass aufgrund des
schrecklichen Schicksals der europäischen Juden dieses Projekt schon
irgendwie gut gehen wird. Allerdings bin ich nach den Ereignissen
der letzten Jahre, was die langfristige Perspektive Israels angeht,
doch eher pessimistisch gestimmt.
Aufgrund der immer wieder ausbrechenden Gewalt auf
beiden Seiten?
Weniger. Vielmehr hat Israel an vielen Fronten
gleichzeitig zu kämpfen.
Denken Sie doch nur an die demographischen Tendenzen.
Auf palästinensischer Seite explodiert die Bevölkerung. Selbst ein
unabhängiger Staat der Palästinenser, basierend auf den
Gebietsfetzen von Gaza und der Westbank, wäre nicht in der Lage die
Lebensbedingungen seiner jungen und unruhigen Bevölkerung zu
verbessern, im Gegenteil, sondern wäre zu einer Expansion verdammt
und somit zu permanenten Territorialansprüchen gegenüber Israel
verpflichtet.
Es handelt sich hier um eine Art Teufelskreis. Ein
einigermaßen lebensfähiger Staat der Palästinenser wäre eine
existenzielle Bedrohung des Staates Israel. Abgesehen davon sind die
wirklichen heißen Eisen noch nicht einmal ansatzweise besprochen,
beispielsweise der Status von Jerusalem etc.
hagalil.com
21-10-2003 |