66 Jahre nach der "Reichskristallnacht":
Verewigung im Schatten des Hasses
Von Eldad Beck, Jedioth Achronoth
66 Jahre nach der Reichskristallnacht, in der
Hunderte Synagogen und jüdische Geschäfte in ganz Deutschland zerstört
wurden oder in Flammen aufgingen, wird heute in München ein Kreis
geschlossen: unter Teilnahme zahlreicher geladener Gäste wird bei einer
feierlichen Zeremonie, die im Zentrum der Altstadt stattfindet, der
Grundstein für das neue jüdische Zentrum Münchens gelegt.
Das Zentrum, das im Jahre 2006 fertig gestellt werden
soll, wird eine Synagoge, ein Gemeindezentrum und ein jüdisches Museum
beinhalten. So wird die große jüdische Gemeinde Münchens, die heute ca.
8500 Mitglieder zählt (zum Großteil Einwanderer aus der ehemaligen
UdSSR) ein repräsentatives und groß angelegtes Zentrum erhalten,
anstelle des alten und grauen Gebäudes, das heute ihr Sitz ist. Das
künftige jüdische Zentrum in München wird die größte jüdische
Gemeindeanlage Westeuropas sein.
"Das neue Zentrum, ein Symbol für Versöhnung und
Dialog, wird uns ermöglichen, die öffentliche Meinung davon zu
überzeugen, dass es wieder jüdisches Leben in München gibt, und man
dieses auch sehen kann", sagt die Präsidentin der jüdischen Gemeinde
Münchens, Charlotte Knobloch, zu JED. Über der Zeremonie wird jedoch der
schwere Schatten des Antisemitismus schweben, der in Deutschland wieder
erwacht. Hier handelt es sich nicht länger um eine unwichtige
Randerscheinung, sondern um eine zunehmende Tendenz in zahlreichen
Kreisen der deutschen Öffentlichkeit.
Vor eineinhalb Monaten konnte die deutsche Polizei
eine neo-nazistische Verschwörung aufdecken, deren Ziel es war, die
symbolische Veranstaltung in ein Blutbad zu verwandeln. Eine
Untergrundzelle von Neonazis plante, bei der Zeremonie einen gewaltigen
Sprengkörper in die Luft zu jagen. Die Neonazis konnten rechtzeitig
entlarvt werden, ganz zufällig.
Nach dieser dramatischen Enthüllung erklärte der
bayerische Innenminister, Günther Beckstein, es handle sich um den Teil
einer breit angelegten neonazistischen Terrororganisation, die im
Untergrund tätig sei. Die Leiter der internen Sicherheitsdienste sagten
hingegen, es sei übertrieben, von einem gesamt deutschen neonazistischen
Terrornetz zu sprechen. Und dennoch, vor zehn Tagen konnte die Polizei
eine weitere neonazistische Gruppierung enthüllen, diesmal in Nord- und
Ostdeutschland, die ebenfalls einen Terroranschlag plante.
"Es handelt sich um eine sehr ernste Gefahr", warnt
Knobloch. "Die radikale Rechte hat ein starkes finanzielles Rückgrat. Es
besteht der Verdacht, dass ein Teil der Finanzierung aus radikalen
islamischen Ressourcen stammt. Sie haben ja ein gemeinsames Ziel: den
Kampf gegen die Juden und den Staat Israel."
Neben der steigenden gewalttätigen Tendenz in den
Reihen der radikalen Rechten in Deutschland, nimmt in der deutschen
Öffentlichkeit auch die Neigung einer revisionären Betrachtungsweise der
Nazivergangenheit zu, wie auch die Legitimierung antisemitischer
Haltungen, die in jener Zeit gebräuchlich waren.
Die
skandalöse Rede des konservativen Abgeordneten Martin Hohmann am 3.
Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, ist eines der
deutlichsten Beispiele dafür.
Hohmann sagte vor vollem Saal: "Das deutsche Volk hat
sich in einzigartiger Form mit den Verbrechen der Hitler Ära befasst (…)
und hat Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe gezahlt, vor allem an
Juden. Deshalb stelle ich folgende provokative Frage: hat auch das
jüdische Volk, dem wir ausnahmslos als Opfer begegnen, eine dunkle Seite
in der modernen Geschichte? Wir haben gesehen, wie groß und konsequent
der jüdische Einfluss auf die revolutionäre Bewegung in Russland und
zentraleuropäischen Ländern war. (…) Man könnte fragen, in wieweit Juden
(…) an den Tötungseinheiten der bolschewistischen Geheimpolizei
beteiligt waren… Deshalb könnte man die Juden zurecht als Volk von
Mördern bezeichnen."
Die Anwesenden im Saal applaudierten dem Redner.
Nachdem die Äußerungen allgemein bekannt wurden, reagierten Politiker
aller Parteien mit gewisser Schärfe. Hohmann präsentiert jedoch stolz
eine beachtliche Menge von Briefen, in welchen ihm Unterstützung
versichert wird, unter anderem auch von Kollegen aus dem Bundestag.
Einer dieser Briefe erweckte erneute öffentliche
Aufregung: Der Verfasser war Reinhart Günzel, Kommandeur der besonderen
Kommandoeinheiten der Bundeswehr und einer ihrer höchsten Offiziere.
Günzel beglückwünschte Hohmann zu seinem "Mut" und seiner
"Aufrichtigkeit" und versicherte ihm, seine Worte seien einem Großteil
der deutschen Öffentlichkeit zu Herzen gegangen. Unmittelbar nach
Veröffentlichung des Briefes wurde Günzel in einer drastischen Maßnahme
aus den Diensten der Armee entlassen.
Als Folge dieser Entlassung stellten hohe deutsche
Politiker die Forderung, den Umfang der Präsenz der radikalen Rechten in
der Bundeswehr zu überprüfen. Der Leiter des Verteidigungskomitees im
Bundestag forderte, innerhalb und außerhalb der Armee eine umfassende
Diskussion zu dem Thema zu führen. "Wenn es noch immer solche Personen
in der Führung der Armee gibt, dann haben wir ein Problem", sagte der
Leiter des Komitees, Reinhold Robbe von der SPD.
In den Reihen der konservativen Oppositionsparteien
wird hingegen Unterstützung für Günzel laut, wie auch Kritik an seiner
Entlassung. Einige Vertreter der Partei im Bundestag erklärten, der
Offizier habe seine Meinung in einem persönlichen Schreiben an Hohmann
zum Ausdruck gebracht, nicht öffentlich, und deshalb sei seine
Entlassung nicht angebracht. Ein Fraktionsmitglied bezeichnete Günzel
gar als "einen der besten Männer Deutschlands".
Und alledem schließt sich ein weiteres Drama an: Im
städtischen Theater von Erlangen soll nächste Woche ein nazistisches
Theaterstück aufgeführt werden, das von Hans Rahberg verfasst wurde,
einem Angehörigen der NSDAP, zu dessen Werken auch ein Loblied auf Adolf
Hitler zählt. Es handelt sich um das Stück "Die Wölfe", und es
verherrlicht die Aktionen der deutschen U-Boot Flotte im 2. Weltkrieg.
Die Absicht, das Stück aufzuführen, löst starke
Proteste seitens der jüdischen Gemeinde und linker politischer
Organisationen aus. Der Oberbürgermeister von Erlangen bat die
Theaterleitung, von ihrer Absicht, das umstrittene Stück aufzuführen,
abzusehen. Die Theaterleitung lehnte diese Bitte jedoch ab, und die
Premiere soll am kommenden Sonntag stattfinden.
Zunächst begründete die Theaterleitung ihren Beschluss
damit, man müsse das Gesamtwerk Rahbergs heute aus einem andern
Blickwinkel betrachten, und der Bühnenautor habe eigentlich eine
universale Haltung zum Hitler-Regime vertreten. Nachdem Experten jedoch
betonten, Rahberg habe keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der
Nazilehre gehegt, erklärte das Theater, man wolle das Stück aufführen,
um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie die Nazis die Sprache benutzten, um
die Massen mitzureißen.
hagalil.com
29-10-2003 |