Die Stimme des Nahen Ostens
"Memri" übersetzt israelische, palästinensische und arabische Medien ins
Deutsche
Von Christian Böhme
Die Aufregung war groß. Israels Ministerpräsident Ariel Scharon habe in einer
Ansprache an die Nation am 1. April den "totalen Krieg" gegen den
palästinensischen Terrorismus angekündigt. So zitierte zumindest eine große
überregionale Zeitung in Deutschland den Regierungschef auf ihrer ersten Seite.
Doch dem war nicht so. Wie sich noch am gleichen Tag herausstellte, beruhte die
Schlagzeile auf einem Übersetzungsfehler. Scharon hatte gar nicht von einem
"totalen" Krieg gesprochen, sondern von "kompromisslosem Kampf gegen den
Terror".
Ein ärgerlicher, zudem womöglich sogar vermeidbarer Fehler. Ein Anruf beim
Jerusalemer Büro des "Middle East Media Research Institute" (Memri) hätte wohl
ausgereicht, um zu erfahren, was Scharon wirklich gesagt hat. Denn Memri bietet
kostenlos unkommentierte Übersetzungen israelischer, iranischer und arabischer
Medien an. Außer der Zentrale in Jerusalem hat das Institut noch Dependancen in
Washington, London und neuerdings auch in Berlin; das Berliner Büro sieht noch
etwas provisorisch aus.
Gegründet wurde die Organisation 1998 in den USA. Noch unter dem Eindruck des
Golf-Krieges entschlossen sich damals einige Amerikaner und Israelis, mit
Spenden- und Stiftungsgeldern eine unabhängige und nicht-kommerzielle
Informations-Stelle zu schaffen. Ihr Ziel sollte es sein, die politischen und
kulturellen Kontroversen und Konflikte im Nahen Osten zu beobachten und darüber
zu informieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Auswerten und Übersetzen
von ausgewählten Beiträgen großer Zeitungen und überregionaler Fernsehsender wie
Al Dschasira. Auch mit Lehrplänen und Schulbüchern aus der Region hat sich Memri
schon eingehend beschäftigt.
Bei so heiklen Themen nur auf Verlautbarungen aus zweiter oder dritter Hand zu
vertrauen, war den Gründern zu wenig. Gemäß dem Motto: Wer mitreden will, sollte
schon besser das Original kennen. Ein erfolgreiches Konzept. 15 000 Namen stehen
schon auf der amerikanischen Mailingliste. Politiker, Wissenschaftler und
Journalisten nutzen und loben das zuverlässige englischsprachige Angebot.
Überraschend ist das nicht. Gerade arabische Sprachkenntnisse sind auch in den
USA nicht weit verbreitet, das Interesse am Geschehen im Nahen Osten ist aber
groß.
Doch auch Deutschland spielt in dem nicht enden wollenden Konflikt eine immer
wichtigere Rolle. Die Berliner Memri-Mitarbeiter Mirjam Gläser und Goetz
Nordbruch kümmern sich darum, den deutschsprachigen Raum mit Informationen über
Nahost und die arabische Welt zu versorgen. Wer den Dienst in Anspruch nehmen
will, braucht sich nur in die Fax- oder E-Mail- Liste eintragen zu lassen. Dann
erhält man drei bis vier Mal die Woche Wissenswertes einfach zugeschickt.
Memri in der deutschen Hauptstadt ist aber nicht nur ein einfacher Ableger der
US-Zentrale. "Unser Ziel ist es, Texte ins Deutsche zu übersetzen und unseren
Nutzern zur Verfügung zu stellen, die sich mit den historischen und aktuellen
Beziehungen der Bundesrepublik zur Region beschäftigen", sagt Nordbruch. Dazu
gehörten Reaktionen auf die EU-Politik ebenso wie Artikel zu Günter Grass' neuem
Buch über den Untergang der Wilhelm Gustloff oder Reaktionen auf den 11.
September und den Afghanistan-Krieg.
Wie die übrigen 20 Mitarbeiter in den anderen Memri-Büros wollen Gläser und
Nordbruch zeigen, dass es trotz verschiedenster Formen der Zensur eine große
Vielfalt der Meinungen in den israelischen und arabischen Medien gibt. Das macht
die Auswahl der Texte nicht eben leichter. In Zeitungs- und Fernsehbeiträgen
treten zuweilen sogar Vorurteile mehr oder weniger offen zu Tage. Kann man so
etwas weiter verbreiten? Riskieren die Memri-Mitarbeiter dadurch nicht, mit den
Urhebern in einen Topf geworfen zu werden? Nordbruch und Gläser sind sich dieser
Gefahr durchaus bewusst. Sie verweisen aber auch auf ihren Grundsatz:
Übersetzen, nicht bewerten.
Erstveröffentlichung im Tagesspiegel vom
12.4.2002
Weitere Informationen im Internet:
www.memri.de
haGalil onLine 07-05-2002 |