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Vom Fischer-Plan zur Road Map:
Zum deutschen Debüt im Nahostkonflikt

Von Matthias Küntzel

Der Auslöser der Road-Map-Diplomatie war ein Selbstmordanschlag der Hamas, der 29 Teilnehmer einer Passah-Feier am 27. März 2002 im israelischen Netanja zerfetzte. Acht Tage nach dem Massaker griff US-Präsident George Bush mit einer Erklärung erstmals energisch in das Nahostgeschehen ein. Am 9. April legte auch Joschka Fischer sein "Ideenpapier für Frieden im Nahen Osten" vor. Am Folgetag wurde in Madrid das "Nahost-Quartett" konstituiert.

Bushs Erklärung richtete sich hauptsächlich gegen die Hamas: "Es ist ausgeschlossen, mit denen Frieden zu schließen, deren einziges Ziel der Tod ist." Bush erkannte Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen den Terror an und rief die Palästinenser und die arabischen Regierungen auf, die "terroristischen Aktivitäten" der al-Aqsa-Brigaden, der Hisbollah, des Islamischen Jihad und der Hamas zu stoppen, alle Finanzströme zu unterbinden und das Gerede vom "Märtyrer" sein zu lassen: "Sie sind keine Märtyrer, sie sind Mörder."

In Fischers "Ideenpapier" wurde die Hamas hingegen nicht erwähnt. Das war kein Zufall. In keiner der insgesamt 54 Presseerklärungen, die das Auswärtige Amt zwischen Januar 2001 und August 2003 zum Nahostkonflikt veröffentlichte, tauchen Hamas, Hisbollah und Islamischer Jihad namentlich auf.

Die Kernaussagen des "Fischer-Plans" fasst die Homepage des Auswärtigen Amtes folgendermaßen zusammen: "Die Parteien sind ohne Hilfe von außen zu keiner Konfliktlösung mehr in der Lage. Notwendig sind daher ein Weg- und Zeitplan, wie das Zwei-Staaten-Ziel erreicht werden kann." Fischers Vorschlag beinhaltete die sofortige Ausrufung und Anerkennung des palästinensischen Staates und eine endgültige Regelung der strittigen Fragen (Jerusalem, Grenzverlauf etc.) binnen zweier Jahre. Dies sei die "Lösung" des Problems: Zwei Staaten, Israel und Palästina, "die in Frieden (…) Seite an Seite leben". Wenn es sich aber tatsächlich so verhielte, warum verließ dann Yassir Arafat vor drei Jahren in Camp David den Verhandlungstisch? Warum wurden dann seit über 60 Jahren sämtliche Zwei-Staaten-Projekte von palästinensischer Seite torpediert?

An der Seite oder an der Stelle Israels?

Als den Palästinensern 1937 erstmals ein palästinensischer Staat neben einem jüdischen angeboten wurde, lehnte der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, ab. Sein Antizionismus war antisemitisch grundiert, die Vereitelung jedweder jüdischen Staatlichkeit sein Lebensziel. 1947 folgte mit dem Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen die zweite Gelegenheit. Erneut legte der Mufti sein Veto ein und setzte den arabischen Krieg gegen Israel in Gang.

Zwischen 1948 und 1967 gehörte das Westjordanland zu Jordanien und der Gaza-Streifen zu Ägypten. Wieder wurde eine Gelegenheit verpasst. 1967 bot sich dann die vierte Chance. Unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg erklärte sich Israel im Falle seiner Anerkennung zur Räumung des im Krieg besetzten Westjordanlands und des Gaza-Streifens bereit. Die arabische Antwort lautete: "Kein Friede mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel!" Im Jahr 2000 offerierte schließlich der israelische Premier Ehud Barak den Palästinensern 97 Prozent des Westjordanlands, den Gaza-Streifen und als palästinensische Hauptstadt den Ostteil von Jerusalem. Arafat zettelte als Antwort die zweite Intifada an.

Und heute? Die USA und Israel haben sich mit einem palästinensischen Staat in den besetzten Gebieten einverstanden erklärt, sofern nur die Infrastruktur des islamistischen Terrors eliminiert werden kann. Doch was geschieht? Je hoffnungsvoller sich die Ansätze eines Friedensprozesses entwickelten, um so unerbittlicher wurde gebombt, ohne dass die Palästinensische Autonomiebehörde mit ihren 40 000 Soldaten dagegen Maßnahmen ergriff.

Diese Linie lässt nur eine Deutung zu. Beide maßgeblichen Führer der palästinensischen Nationalbewegung, Amin el-Husseini und Yassir Arafat, wollten nie einen Staat neben Israel errichten, sondern den jüdischen über kurz oder lang vernichten. Warum sonst hat Arafat den Friedensprozess von Oslo unter Berufung auf die taktische Feuerpause Mohammeds im Jahre 628 als eine Art von hudna bezeichnet, warum sonst hat er noch am 1. Juni 2003 in einer vom palästinensischen Fernsehen übertragenen Versammlung den "Märtyrertod" für Jerusalem als Privileg der palästinensischen Jugend gerühmt und dafür gesorgt, dass auch die neuen palästinensischen Schulbücher Israel nicht ein einziges Mal erwähnen und Tel Aviv als palästinensische Großstadt erscheint?

Einflussreicher als Arafat ist heute die Hamas, die Israels Auslöschung unverblümt propagiert. Als ihr zweithöchster Führer, Aziz al-Rantisi, kürzlich in der Wochenzeitung der Hamas den "Mythos der Gaskammern" unter Berufung auf die Holocaustleugner Garaudy, Irving, Honsik und Toben als zionistisch-westliche Erfindung "entlarvte" und selbst die nationalsozialistischen Kriege einem Komplott "zionistischer Banken" in die Schuhe schob, brachte er das ideologische Fundament seiner Organisation auf den Punkt: die Leugnung der Shoah und eine antijüdische Weltverschwörungstheorie.

Diese Dämonisierung der Juden zum Menschheitsfeind lässt islamistische Morde an israelischen Zivilisten als Befreiungstaten erscheinen und verleiht der Vernichtungsambition gegenüber Israel ihren Sinn. Der Antisemitismus der Nazis, der die Charta der Hamas durchzieht, hat mit dem Konflikt um das Westjordanland und den Gaza-Streifen ebenso wenig zu tun, wie jene pathologische Liebe zum Tod, die der wichtigste Ideengeber der Hamas, der ägyptische Muslimbruder Hassan al-Banna, schon 1938 zum Leitideal aller Islamisten ausgerufen hatte. In der Logik des Islamismus sind Annäherungen an Juden und Israelis nur mit dem Ziel ihrer Tötung, als Selbstmordbomber, erlaubt. Je mehr Blut in Palästina fließt, umso besser ist die Stimmung bei der Hamas.

Religiöse Fanatiker gibt es auch in Israel. Hier hat sich jedoch das Motto "Land für Frieden" seit 20 Jahren durchgesetzt, während das Gros der vom Islamismus oder vom Fatah-Fanatismus geprägten palästinensischen Elite entweder Land ohne Frieden will oder Frieden ohne Land, also ohne Israel.

Vielleicht wird langfristig tatsächlich die Zwei-Staaten-Lösung eine dauerhafte Normalisierung der israelisch-palästinensischen Beziehungen bewirken und der wirtschaftlichen Misere und der Angst beiderseits der Konfliktlinie ein Ende bereiten. Heute sind jedoch die ernsthaften Anhänger des Zwei-Staaten-Plans in den Autonomiegebieten eine als "Kollaborateure" beschimpfte und zum Abschuss freigegebene Minderheit.

Das macht Fischers Ansatz, auf die unverzügliche palästinensische Staatsgründung zu drängen, so provokant. Solange Arafat und die Hamas das Feld beherrschen, kann palästinensische Staatlichkeit nur ein Sanktuarium für Jihadisten sein. Dieser Staat könnte Waffen und Flugzeuge vom Iran kaufen und die Sprengstoffgürtelindustrie florieren lassen. Israelische Razzien gegen die Produktionsstätten von Bombergürteln und Raketen gälten als Überfall auf ein souveränes Land. Die Ausrufung und Anerkennung eines Staates Palästina noch im Jahre 2003 würde den Terror belohnen und den universalen Jihadismus triumphieren lassen.

Wie ist unter diesen Umständen das Zustandekommen des Road-Map-Friedensplans und dessen Unterstützung durch die USA zu erklären?

Dissonanzen im "Nahost-Quartett"

Vom ersten Tag an prägten grundlegende Differenzen die Verhandlungen im Nahost-Quartett. Zwischen April 2002 und April 2003 habe die amerikanische Regierung "mehr Zeit mit Verhandlungen über die Road Map verbracht, als für Gespräche mit den Israelis und den Palästinensern zur Verfügung stand", mokierte sich die New York Times.

Fischers Plan basiert auf einer gänzlich anderen Bewertung des Islamismus als die Nahost-Rede Bushs. Beständig hat ausgerechnet Berlin den aus der eigenen Geschichte nur allzu vertrauten eliminatorischen Antisemitismus, wie er etwa in der Charta und in der Praxis der Hamas zum Ausdruck kommt, ignoriert und den islamistischen Selbstmordterror als eine zwar falsche, aber letztlich nachvollziehbare Reaktion auf Perspektivlosigkeit und Armut präsentiert. "Nicht die Gewalt der zweiten Intifada hat den Friedensprozess zum Scheitern gebracht. Die Gewalt ist vielmehr Produkt des gescheiterten politischen Prozesses", sagte etwa der grüne Abgeordnete Christian Sterzing in seiner Erläuterung des Fischer-Papiers. Hamas und Islamischer Jihad werden in Fischers Ministerium nicht als Kriegskommandos gegen Israel eingestuft, sondern als "Herausforderungen, mit denen eine palästinensische Demokratie fertig werden müsse".

Während die USA einen Waffenstillstand zur Vorbedingung jedes Friedens machen (und folgerichtig die Zerschlagung des islamistischen Terrors zur unabdingbaren Voraussetzung jedweder palästinensischen Staatlichkeit), sieht es die deutsche Politik gerade umgekehrt. "Nur die Perspektive einer dauerhaften Friedenslösung kann einen haltbaren Waffenstillstand herbeiführen", so Fischer. Nur Zugeständnisse, so die Botschaft, können Terror eindämmen, Zugeständnisse freilich, die den Aktivismus der Selbstmordattentäter honorieren. Nicht Arafat, sondern Israel unter Druck setzen, das die bedingungslose palästinensische Staatsgründung akzeptieren soll – dies zeichnet Fischers Papier aus. "Die Krise", betont der Außenminister, wohl wissend, dass die Selbstmord-Intifada diese erst heraufbeschwor, "wird ihre Lösung erzwingen oder eskalieren – das ist die Alternative. (…) Ich präferiere daher die schnelle Staatsausrufung. Unsere französischen Freunde sehen das auch so".

Die Nonchalance, die die deutsche Außenpolitik gegenüber antijüdischen Selbstmordmassakern an den Tag legt, korrespondiert mit ihrer energischen Parteinahme für Arafat. Nachdem im Dezember 2001 das israelische Kabinett seine Kontakte zu Arafat abgebrochen hatte, nachdem die USA ihn als Hauptschuldigen für die Eskalation der Lage im Nahen Osten bezeichnet hatten und der PLO-Chef wegen seiner Hinwendung zum Iran auch in der arabischen Welt isoliert war – in dieser Situation stand Joschka Fischer ihm bei: "Das dreifache Hoch Arafats auf den Besuch des deutschen Außenministers (›Danke, danke, danke‹) klingt wie der Triumph des Palästinenserführers über die israelischen Panzer vor seiner Haustür", berichtete im Februar 2002 die FAZ. "Fischer und die EU hatten alles darangesetzt, Arafats Wiederauferstehung einzuleiten. (…) Solange Israelis terrorisiert werden und Arafat seine passive, wenn nicht schützende Hand über die Hintermänner hält, wird man den isolierten Autonomiepräsidenten schwerlich als Verhandlungspartner empfehlen können. Fischer tat genau dies."

Aus entgegengesetzten Beurteilungen von Arafat und der Hamas folgt notwendig auch eine unterschiedliche Bewertung der israelischen Politik. Während die USA Israels Recht, sich gegen den Terror zu verteidigen, anerkennen, bevorzugt Deutschland die äquidistante Rede von "der Spirale der Gewalt". Israels Regierung und Arafat werden auf eine Stufe gestellt und gleichermaßen als unzurechnungsfähig und "zu keiner Konfliktlösung mehr in der Lage" abgekanzelt. "Wenn man vereinbart hatte, ›Hallo!‹ zu sagen, interpretierte dies die eine Seite als ›Gute Nacht!‹ und die andere Seite als ›Guten Morgen!‹ Dies führt ins Abseits, weshalb eine vitale dritte Kraft für die Umsetzung einer Friedenslösung notwendig ist", so Fischer. Wann hat sich zuletzt ein deutscher Außenminister derart anmaßend artikuliert?

Fischers "vitale dritte Kraft" soll aber nicht der Unterbindung der Finanz- und Waffenhilfen für die islamistischen Kommandos aus arabischen und europäischen Staaten dienen, sondern der Etablierung einer "effektiven Sicherheitskomponente", mit deren Hilfe die Araber und die Juden zur Räson zu bringen seien. Die unwiderstehliche Attraktivität der Vorstellung, gegen "vergeltungssüchtige" Juden künftig vielleicht auch Bundeswehrsoldaten einsetzen zu dürfen, löste bei Gerhard Schröder und seinem obersten Soldaten, Harald Kujat, unversehens Aufregung aus. Die Bundeswehr müsse "einen solchen Einsatz zur Trennung der Konfliktparteien erwägen", gab Schröder zu verstehen. "Wir können uns einem solchen Wunsch überhaupt nicht verschließen", sekundierte Generalinspekteur Kujat. "In Regierungskreisen wird mit einer Anfrage gerechnet. Auch hier wird Deutschland in einem solchen Fall in der Pflicht gesehen." Derartige Tagträume wies Condoleezza Rice, die Sicherheitsbeauftragte der Regierung Bush, umgehend zurück.

Streit um Arafat

Schon die ersten Schritte auf dem Weg zur Road Map waren somit von scharfen transatlantischen Gegensätzen geprägt. Dennoch ging Bush in seiner zweiten Nahosterklärung vom 24. Juni 2002 unter dem Eindruck "zunehmend pointierter Forderungen von europäischen Alliierten und moderaten arabischen Staaten" (New York Times) auf "zentrale Punkte des deutschen Ideenpapiers" ein, wie die Homepage des Auswärtigen Amtes betont. So machte sich Bush das Konzept der raschen Ausrufung eines vorläufigen Staates Palästina zu Eigen und erklärte, dass eine abschließende Regelung innerhalb von drei Jahren zu erreichen sei. Allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass zuvor eine neue palästinensische Führung ohne Arafat etabliert würde, die den Terror bekämpft und dessen Infrastruktur zerstört.

Implizit appellierte die amerikanische Regierung auch an die EU: "Jede Nation, die sich dem Frieden verpflichtet weiß, wird die Lieferung von Geld, Ausrüstung und Rekruten an Terrorgruppen unterbinden, die wie Hamas, Islamischer Jihad und Hisbollah die Zerstörung Israels bezwecken."

Während dieser Appell in Brüssel und Berlin ungehört verhallte, konzentrierte sich die deutsche Außenpolitik auf das politische Überleben Arafats. Wenige Tage nach Bushs Rede ließ Fischer ein zweites Papier an die Teilnehmer des Nahost-Quartetts verschicken, das die Ehrenrettung des PLO-Führers ins Auge fasst. Der PLO-Chef sollte nicht zum Rücktritt gezwungen werden, sondern, so Fischers Forderung, "für eine so genannte Notstandsphase, in der man sich gegenwärtig befinde, eine Übergangsregierung mit einem Ministerpräsidenten einsetzen". Dies hatte mit der amerikanischen Vorbedingung, "to elect new leaders, leaders not compromised by terror", wenig gemein: Dass ein Ministerpräsident ausgerechnet denjenigen politisch ausschaltet, dem er dieses Amt verdankt, war ausgeschlossen.

Als das "Quartett" im Juli 2002 in New York zusammenkam, waren die Positionen entsprechend polarisiert. Hier die USA, die die Europäer dazu aufriefen, ihre monatliche direkte Budgethilfe für Arafat in Höhe von zehn Millionen Euro zu revidieren, um reale Veränderungen in der Autonomiebehörde zu erzwingen. Dort die EU, die mit Unterstützung der UN und Russlands in Arafat weiterhin den legitimen Führer der Palästinenser sah. Mit dem Verhältnis zu Arafat stand freilich die Gesamtorientierung der Nahostpolitik auf dem Spiel. "Pro-Arafat" hieß, sich positiv auf die Selbstmord-Intifada und die Vision einer palästinensischen Staatlichkeit zu beziehen, als deren Geburtshelfer der islamistische Terror fungiert – als Brückenkopf der Europäer in einer vom Islamismus geprägten Welt. "Kontra-Arafat" bedeutete, einen Neuanfang mit der Vision eines Palästinenserstaates anzustreben, der langfristig Frieden sichert, indem er den Kampf gegen den islamistischen Terror und die Normalisierung seiner Beziehung mit Israel zur Staatsräson erhebt.

Eigentlich hätte schon im Laufe dieser Sommersitzung das "Quartett" auseinander fliegen müssen, hatte sich doch die Road Map als eine Wegekarte mit Pfeilen entpuppt, die in gänzlich unterschiedliche Richtungen wiesen. Doch abermals ließen sich die USA auf den europäischen Standpunkt ein. Waren es die sich abzeichnenden Zerwürfnisse über den Irakkrieg, die es den USA geraten sein ließen, Fischers neue Vorschläge im Grundsatz zu übernehmen und immer wieder nachgiebig zu sein?

Ende August jedenfalls billigten die Außenminister der EU die EU-Road-Map, "die sich im Wesentlichen an dem deutschen Papier orientierte", so die Homepage des Auswärtigen Amtes. "Die EU übernahm den Dreistufenplan für den Zeitraum 2002 bis 2005 und alle wichtigen Einzelelemente einschließlich der Premierminister-Idee." Im September wurden die europäischen Vorstellungen zu einem gemeinsamen Road-Map-Text des Quartetts verschmolzen, der im Dezember 2002 auf einer erneuten Sitzung des Quartetts in Washington seine abschließende Textfassung erhielt und am 30. April 2003 an die Konfliktparteien ging. Welche Schritte waren darin vorgesehen?

Phase I "bis Mai 2003": Israel soll sich auf seine Stellungen vom 28. September 2000 zurückziehen und alle nach dem März 2001 errichteten Siedlungen entfernen. Die Palästinenser sollen ihren Sicherheitsapparat zentralisieren und mit wirksamen Operationen "die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur" in Angriff nehmen, während die arabischen Staaten "jede Form von öffentlicher und privater Geldzuwendung" für gewaltbereite und terroristische Gruppen einzustellen haben.

Phase II "Juni 2003 bis Dezember 2003": Am Ende dieser Etappe – also noch in diesem Jahr – soll ein "unabhängiger palästinensischer Staat mit provisorischen Grenzen und provisorischen Attributen der Souveränität" gegründet und von den Vereinten Nationen nach Möglichkeit auch schon anerkannt sein.

Phase III "2004 bis 2005": Jetzt erst sind Verhandlungen über die vollständige und abschließende Regelung des Israel-Palästina-Konflikts vorgesehen.

Frieden sabotiert

Alle transatlantischen Widersprüche, die die Entstehungsphase der Road Map durchzogen, brachen während der kurzen Laufzeit des Friedensprozesses in neuer Schärfe wieder auf. Arafat konnte seinen neuen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas demütigen und als "Verräter" beschimpfen und schon zwei Tage nach der Aushändigung der Road Map deren Bestimmungen demonstrativ durchkreuzen, indem er zwei Drittel der Sicherheitsdienste unter seinem Befehl zentralisierte und den Anschlägen der hauseigenen Al-Aqsa-Brigaden taktische Rückendeckung gab.

Dennoch wurde ihm gegen schärfer werdende Proteste aus Washington unverdrossen von Deutschland und der EU der Rücken gestärkt. Die antisemitische Hamas denunzierte zwar die Road Map als "zionistische Verschwörung" und torpedierte die Anfänge des Friedensprozesses mit einer Serie von Selbstmordattentaten. Dennoch weigerte sich am 3. Juli 2003 der Europäische Ministerrat, ihre Konten einzufrieren und die Organisation auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Die Aktivitäten des politischen Flügels der Hamas seien "legitim", betonte der Sprecher der EU-Kommission, Reijo Kempinnen, da er soziale Dienste leiste und Kliniken betreibe. "Dass die Hamas in ihrer Gänze eine Terrororganisation sei, ist gewiss nicht unsere Position."

Nachdem am 19. August ein Selbstmordattentäter der Hamas sich in einem überfüllten Bus in Jerusalem in die Luft gesprengt und 23 Menschen getötet hatte, wurde der Ruf nach Ächtung der Hamas auch in den EU-Institutionen laut: "Großbritannien, die Niederlande und Italien, die die Ächtung dieser Gruppe unterstützten, sehen sich erbitterten Widerständen von Frankreich und Deutschland gegenüber", berichtete Anfang September der Infodienst EUobserver.com. Erst am Tag des Rücktritts von Abbas nahm die EU die Hamas, nicht aber die mit ihr verbundenen Organisationen in die Liste terroristischer Organisationen auf.

Im Widerspruch zu den Bestimmungen der Road Map hatte sich besonders Fischer für die permanente Integration der Hamas in künftige Friedensbemühungen eingesetzt. Es müsse "ein ›dauerhaftes Übereinkommen für eine Waffenruhe‹ mit der islamistischen Hamas-Bewegung und anderen Gruppen erreicht werden", erklärte er Ende Juni 2003 in Kairo. Washington reagierte prompt: "Wie kann eine Gruppe, die entschlossen ist, Israel auszulöschen, je ein Partner im Friedensprozess sein?" Fischers Antwort ist unbekannt.

Evident ist jedoch, dass Deutschland und die EU sämtliche Warnungen und Appelle Washingtons missachtet, den Friedensprozess mit Israel geschwächt und das Scheitern des palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas in Kauf genommen haben. Was auf den ersten Blick wie eine Sabotage der eigenen Initiative erscheint, setzte in Wirklichkeit die deutsche Linie, wie sie vor der Road Map zu Tage getreten war, nahtlos fort. Zielstrebig wurde das Kalkül, das die USA mit der Road Map verbanden (Verdrängung Arafats, Stabilisierung der Regierung Abbas’ Schwächung und Zerschlagung der Islamisten, schrittweiser Rückzug Israels, zunehmende Stabilität), zunichte gemacht.

Wie aber sah und sieht das Kalkül der Deutschen aus? Aufschlüsse liefert das programmatische Dokument "Eckpunkte einer deutschen Nahost-Politik", das von Nahostexperten der CDU, der SPD und der Grünen gemeinsam verfasst und im August 2001 veröffentlicht wurde. Diese Stellungnahme setzt wie selbstverständlich eine deutsche Sonderbeziehung zu den Palästinensern voraus: "Die Unterstützung der palästinensischen Staatswerdung ist prioritär. Die finanzielle Hilfe, die das palästinensische Gemeinwesen direkt oder indirekt aus Deutschland erhält, übersteigt die Hilfe jedes einzelnen anderen Staates. Diese Unterstützung ist eine bewusste und richtige Entscheidung deutscher Politik, und Deutschland sollte sich einer Rolle als Geburtshelfer und Pate des zukünftigen palästinensischen Staats nicht entziehen."

"Pate der Palästinenser": Warum sollten gerade Deutsche diesen Paten abgeben? Weil sie an Palästinensern "gutmachen" müssen, was an Juden schlecht gemacht worden ist? Warum will man Pate ausgerechnet der Palästinenser sein? Weil man ebenso wie diese zu wissen glaubt, was es heißt, von Juden "drangsaliert" zu werden? Sozialpsychologisch ist der Nahe Osten für Deutsche stets ein Minenfeld. Abwehr, Projektion oder Übertragung kanalisieren unterschwellig Politik und Diskurs. Kein deutsches Gespräch über Israel und die Palästinenser, das nicht von der nachwirkenden Wucht des Verbrechens an den Juden beeinflusst ist.

Wie steht es aber um die "Priorität Palästina", wenn der Terror der Islamisten den Weg zu palästinensischer Staatlichkeit immer wieder blockiert? Auch dieser Fall ist in den "Eckpunkten" antizipiert: "Deutschland soll deutlich machen, dass es den überwiegend arabischen Charakter des Nahen und Mittleren Ostens erkennt und die Beziehungen zur arabischen Welt nicht vom Erfolg des Friedensprozesses abhängig macht." Die Rangfolge ist eindeutig: Der Erfolg des Friedensprozesses, d.h. die Sicherheit für Israel, ist zweitrangig, die Beziehungen zu arabischen Regimes gehen vor. Beide Prioritätensetzungen des "Eckpunkte"-Papiers haben die deutsche Road-Map-Politik geleitet. Ein weiterer Punkt aber kommt hinzu. Die Logik deutscher Außenpolitik setzt die Konkurrenz mit den USA um Einfluss und Macht voraus.

Pakt gegen die USA

Vor dem Hintergrund der enormen "Sympathie, die Deutschland traditionell in der gesamten Region entgegengebracht wird", wird die Bundesrepublik "im Nahen Osten weithin als künftige Großmacht gesehen", die "ein Gegengewicht gegen eine allzu dominante amerikanische Machtausübung bilden kann", versprach der Leiter des Deutschen Orientinstituts, Udo Steinbach, schon 1998.

Jene "traditionelle Sympathie" schließt auch heute noch die virulente Bewunderung für den Nationalsozialismus ein. Der 11. September 2001 und der Krieg gegen den Irak haben den deutschen Ehrgeiz, sich in der arabisch-muslimischen Welt als wichtigster Widersacher der USA zu profilieren, noch verstärkt. Um dieses Ziel voranzutreiben, wird gezielt auf Kooperation mit Islamisten gesetzt. Auf keinen Fall sollten die Europäer ihre Zeit mit fruchtlosen Definitionsversuchen des Begriffs "Terrorismus" vergeuden, empfahl im vergangenen Jahr mit Blick auf die Hamas ein Diskussionspapier der Bertelsmann-Stiftung den Teilnehmern einer hochrangig besuchten Konferenz. Denn gerade im Nahostdiskurs sei "die Abgrenzung zwischen Terroristen, Widerstandskämpfern und Oppositionsgruppen verschwommen". Stattdessen sollte die EU die islamistische Bewegung gegen die undifferenzierte Antiterrorkriegsführung der Amerikaner verteidigen und in den offenen Dialog der Kulturen integrieren. Die Bundesregierung hat sich diese Empfehlung zu Eigen gemacht.

Vor diesem Hintergrund sind die Rücksicht auf Arafat und die Förderung der Hamas als Signale an die arabisch-islamische Welt zu verstehen: Man will mit Islamisten kooperieren, statt sie zu isolieren. Dieses Signal kommt einer Ermunterung des Jihad gegen Israel gleich. Warum sollte sich die arabische Welt den amerikanischen Aufrufen zur Isolierung der Hamas und anderer Terrorgruppen anschließen, wenn dies selbst Deutschland und die EU nicht tun?

Diese Bündnisorientierung wird zielgenau um eine ökonomische Komponente ergänzt. So ist das islamistisch regierte Saudi-Arabien der größte Finanzier der Hamas und zugleich größter deutscher Handelspartner in der Region. Der islamistisch regierte Iran ist nicht nur Gründer und Finanzier der Hizbollah und des Islamischen Jihad, sondern zugleich das Eldorado der deutschen Exportwirtschaft. Die Zuwachsraten lagen 2002 bei 25 Prozent, 2003 bei 23 Prozent. Die Ausfuhr deutscher Maschinen in den Nahen und Mittleren Osten wies zwischen 2001 und 2002 die Rekordsteigerung von 24,2 Prozent aus.

Die deutsche Orientierung an den reaktionärsten arabischen Regimes setzt sich zugleich über palästinensische Interessen hinweg. Obwohl sich 56 Prozent der Palästinenser hinter die Road Map stellten, zog Berlin die Parteinahme für Arafat und die Hamas stets vor. Bis heute hat kein deutsches Regierungsmitglied das Desaster der zweiten Intifada je so eindeutig kritisiert wie Mahmud Abbas. "Was in den letzten zwei Jahren geschah, war die vollständige Zerstörung von allem, was wir zuvor aufgebaut haben", erklärte er im Oktober 2002 in seiner Funktion als PLO-Exekutivsekretär. "Die Militarisierung der Intifada war vollständig falsch."

Falsch für die Palästinenser, günstig jedoch für andere. Warum fühlten sich die USA genötigt, Deutschland und der EU einen derart gesteigerten Einfluss auf die Nahostprozesse zuzugestehen? "Der wichtigste Druckfaktor ist die Entwicklung der Verhältnisse und ihr Eskalationspotenzial", antwortet Fischer. In der Tat! So, wie erst die jüngsten großen Terroranschläge im Irak die USA dazu nötigten, die UN und die EU in ihre Planungen stärker einzubeziehen, so schaffte erst der Terror der Hamas die Voraussetzung für das deutsch-europäische Debüt beim Road-Map-Friedensplan.

"Können machtpolitisch selbstbewusste Länder möglicherweise daran interessiert sein, dass der Erfolg (der USA im Kampf gegen den Terror) nicht triumphal und auch nicht eindeutig ausfällt?", fragte scheinheilig der außenpolitische Ressortleiter der FAZ und benannte damit einen entscheidenden Punkt. Jeder außenpolitische Erfolg der USA ist ungünstig für den Stellenwert der EU. Je geringer aber der amerikanische Erfolg, desto größer die Gelegenheit für Deutschland und die EU, sich als Alternative zu den USA zu profilieren und so von deren Scheitern zu profitieren.

Paradigmatisch beleuchten die transatlantischen Auseinandersetzungen um die Road Map die Widerspruchsentwicklung im Kampf gegen den islamistischen Terror überhaupt. Während Israel und die USA den antisemitischen Akteuren dieser Bewegung mehr schlecht als recht den Kampf ansagen, biedern sich Deutschland und andere EU-Mächte bei ihnen an und verwerten sie für das eigene Kalkül.

"Schauen Sie sich doch die Leistung der Europäer im Nahostkonflikt an", hatte Joschka Fischer im 8. Mai 2002 gegenüber Journalisten der Zeit geprahlt. Die Frage, worin nun eigentlich "das spezifisch Europäische" an der globalen Neugestaltung bestehe, beantwortete der Außenminister wie folgt: "Der Unterschied ist, ob es eine kooperative oder eine konfrontative Perspektive gegenüber dem arabisch-islamischen Krisengürtel geben wird." Die "Leistung" der Europäer im Road-Map-Streit gibt einen Hinweis darauf, was das bedeutet: Kooperation mit Saudi-Arabien und dem islamistischen Antisemitismus der Hamas, Kooperation mit dem Regime in Teheran und dessen Parteigängern in Ramallah und Jenin, Kooperation mit dem Terrorpatron und ehemaligen Muslimbruder Yassir Arafat.

Für Anregungen und Kritik danke ich Ulrike Becker, Frank Behn, Klaus Thörner und Jürgen Starck. Die vollständige Textfassung einschließlich der Quellennachweise findet sich unter:
http://www.matthiaskuentzel.de/

Djihad und Judenhaß:
Über den neuen antijüdischen Krieg

hagalil.com 30-09-2003

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