Israelische Busfahrer zu Gast in Berlin:
Sie fahren mit dem Schmerz
Mosche Ronen, Jedioth Achronoth
Tag für Tag finden sie sich an ihrem Arbeitsplatz
ein, hinter dem Lenkrad, nicken den Fahrgästen zu, scherzen vielleicht
mit denen, die schon zu guten Bekannten geworden sind, und fahren los.
Aber hinter dieser scheinbaren Ruhe verbirgt sich ein großes Trauma, das
sie ständig begleitet, sicherlich sogar bis zu ihrem letzten Tag auf der
Straße. Dieses Trauma veranlasst sie, jeden suspekten Fahrgast prüfend
anzublicken, hin und wieder durch den Rückspiegel auf die Passagiere zu
schauen, ständig mit dem Verdacht im Herzen, einer von ihnen könnte eine
wandelnde Zeitbombe sein.
Denn eines Tages wurde ihr Arbeitsplatz, ihr Bus, zum
Austragungsort eines Anschlags, und sie befanden sich plötzlich inmitten
der Hölle, Augenzeugen der Gräuel, die sich für immer in ihrem
Gedächtnis einprägten. Es gab auch einige, die am Morgen zur Arbeit
gingen, sich hinters Lenkrad setzten und nie wieder nach Hause kamen.
Denn sie schlossen sich der schrecklichen und immer länger werdenden
Liste der Terroropfer an.
Diese Woche werden sich vier von den Fahrern, die
Anschläge überlebt haben, gemeinsam mit den Witwen von zwei Fahrern, die
den Tod gefunden haben, einer besonderen Geste der Solidarität erfreuen
können: Die BVG, die Vereinigung öffentlicher Verkehrsmittel in Berlin,
lud sie zu einem siebentägigen Besuch in der deutschen Hauptstadt ein.
Im Verlauf ihres Besuchs werden sie mit deutschen Busfahrern
zusammentreffen, an einem Konzert zum Andenken an Itzhak Rabin
teilnehmen, bei deutschen Abgeordneten und auch in der Jüdischen
Gemeinde zu Gast sein.
"Das ist eine Geste von Kollegen an Kollegen", sagt
David Levy von der Histadrut, der die Delegation organisiert hat. "Die
BVG drückt den israelischen Busfahrern ihre Solidarität aus, die jeden
Tag mit Gefahren und Schwierigkeiten konfrontiert werden."
Der älteste Busfahrer in der Delegation ist David
Shelef, 59. Sein Bus wurde zum Anschlagsort noch bevor
Selbstmordanschläge Teil des israelischen Lexikons waren. In den Tagen
der ersten Intifada, am 9. Dezember 1990, fuhr er den Bus der Linie 66
von Petach Tikva nach Tel Aviv, als plötzlich der Schrei "Allah Akbar"
ertönte. Auf der Hinterbank des Busses saßen drei junge Araber, die mit
Messer auf die Fahrgäste vor ihnen einstachen.
Shelef zog seine Pistole und überwältigte die
Terroristen mit Hilfe eines Polizisten. Bei dem Vorfall kam einer der
Fahrgäste ums Leben. "Seit vielen Jahren fahre ich mit dieser
Erinnerung", sagt Shelef, "aber obwohl sich seither die Lage noch
verschlechtert hat, habe ich keine Angst."
Vier Jahre später, am 19. Oktober 1994, fuhr Tzalach
Ovadia im Bus Nummer 5 am Dizengoff Platz in Tel Aviv vorbei. Ein
Selbstmordattentäter jagte sich im Bus in die Luft. Dies war der erste
große Anschlag. Der Fahrer und 21 Fahrgäste kamen ums Leben.
"Ich war an meinem Arbeitsplatz, im Supermarkt",
erinnert sich Amira Ovadia, die Witwe des Fahrers und Mutter seiner fünf
Kinder. "Ich hörte von einem Anschlag, aber anfangs hieß es, es habe
sich um einen Egged-Bus gehandelt, weil der Bus rot war. Damals waren
wir noch nicht an Anschläge gewöhnt. Ich machte mir keine besonderen
Sorgen, denn ich wusste ja, dass er in Bus Nummer 5 war.
Ich sah, dass alle flüsterten, niemand jedoch etwas zu
mir sagt. Schließlich bat mich der Direktor des Supermarkts, mit ihm in
den Keller zu kommen. Es folgten uns einige Vertreter von ‚Dan’, die mir
dann die Botschaft überbrachten. Mit dieser Erinnerung lebe ich seither
Tag für Tag, seit neun Jahren. Als man uns nach Deutschland einlud,
stimmte ich mit Freuden zu. Ich möchte, dass die Leute dort wissen, was
wir durchmachen. Sie sollen wissen, was in Israel los ist. Sie sollen
auch wissen, dass wir uns trotz allem nicht klein kriegen lassen."
An demselben Anschlag war indirekt auch der Bushfahrer
Dror Haleli beteiligt, der 50 Meter vor dem Bus Ovadias fuhr. "Ich hörte
die Explosion und erhielt einen starken Schlag" erzählt er. "Ich drückte
sofort aufs Gas, um so schnell wie möglich weg zu fahren. Ich hatte
Fahrgäste im Bus, ich hatte eine Verantwortung. Ich dachte nur daran,
wie ich sie schützen kann. Erst an der Endhaltestelle merkte ich, dass
ich mich nicht bewegen kann. Es wurde eine Verletzung an der Wirbelsäule
und den Schultern festgestellt. Sieben Monate musste ich einen
besonderen Gips tragen.
Seither habe ich Angst. Eines Tages kann ich in die
Arbeit gehen und nicht wieder heimkommen. Ich sage der Familie, sollte
mir etwas passieren, dann sollen sie ein Bild von mir in die Zeitung
setzen, weil mich so viele Fahrgäste kennen". Und dennoch, als ‚Dan’ die
Linie nach Amman einweihte, meldete sich Haleli freiwillig, auf dieser
Linie zu fahren.
Im Bus von Jigal Reichmann, die Linie 51 von Tel Aviv
nach Petach Tikwa, explodierte im Dezember 2000 ein Sprengkörper. 14
Fahrgäste wurden verletzt. "Es passierte an der Haltestelle", erinnert
sich Reichmann. "Es waren viele Kinder eingestiegen, die zum Glück
jedoch schon wieder ausgestiegen waren, zusammen mit dem Terroristen. Im
Bus ließ er drei Sprengkörper zurück, zwei davon aktivierte er über sein
Handy. Der dritte konnte später entschärft werden.
Das war ein richtiges Trauma. Ich sah die Fahrgäste,
verletzt, verbrannt. Jetzt fahre ich mit diesem Trauma nach Deutschland,
um das Trauma meiner Eltern zu treffen. Mein Vater war ein
Holocaustüberlebender. Jetzt werde ich den Deutschen erzählen, was sein
Sohn durchgemacht hat."
Im Dezember des darauf folgenden Jahres wurde der Bus
von Itzhak Hariri angegriffen, der sich auf dem Weg von Bnei Brak nach
Emanuel befand. "Ungefähr einen Kilometer bevor wir ankamen, explodierte
ein Sprengkörper neben dem Bus", erzählt er. "Der Bus fuhr noch 15 Meter
weiter, dann explodierte eine Granate neben dem Vorderreifen und die
Terroristen eröffneten das Feuer. Ich wusste, dass ich in einen
Hinterhalt geraten war. Ohne Reifen, ohne Motor versuchte ich, in
Richtung Emanuel weiterzufahren. Zum Schluss kam der Bus 50 Meter vor
Emanuel zum Halt."
Bei dem Anschlag kamen 10 Personen ums Leben, 34
wurden verletzt. Hariri fährt weiter, jedoch in einem schusssicheren
Bus. "Gott hilft", sagt er, "deshalb habe ich keine Angst, in den
Gebieten zu fahren, sogar Motorrad."
Josef Mamistalov, Fahrer auf der Linie 4, wurde im
vergangenen September getötet, als ein Selbstmordattentäter sich in
seinem Bus in der Allenby Straße in Tel Aviv in die Luft sprengte. Er
hinterließ vier Kinder und seine Witwe, Etti, die jetzt nach Deutschland
fährt.
"Ich war mit dem Baby beim Einkaufen, als man mich
rief und mir sagte, auf den Bus Nr. 4 sei ein Anschlag verübt worden.
Meine Große rief sofort meinen Mann an und schrie ins Telefon: 'Papa,
antworte mir, Papa, antworte mir!' Mir war klar, was los ist. Jetzt
hoffe ich, dass ich Israel in dem Land, das das jüdische Volk so
verletzt hat, würdig vertreten werde."
hagalil.com
14-11-2003
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