"Während einer Reise, die
mich im vergangenen Monat zu der Zeit nach Amman führte, als Israel
Syrien angriff sowie der brutale Überfall auf Gaza stattfand, bei dem
dutzende Palästinenser starben oder verletzt wurden, nahm ich an einem
Treffen teil, bei dem es um eben diese beiden Ereignisse ging.
Es zeigte sich sofort, dass die
Anwesenden diese Ereignisse als Resultat der jüdischen Kontrolle über
die Welt betrachteten. Einer, der diese Meinung vertrat, war ein Arzt,
der 30 Jahre in Deutschland gelebt hatte. Er versicherte, dass die Juden
dort noch immer herrschen würden und beschuldigte sie, absichtlich die
guten Sitten in der deutschen Gesellschaft zu zerstören - sie seien
nämlich dafür verantwortlich, dass die Frauenkleider kürzer werden. Die
Juden würden, so erklärte der Arzt seine Behauptung, die Modeindustrie
kontrollieren und hätten diese angewiesen, die Frauen immer mehr zu
entblößen. Und das führe eben zu einem sittlichen und gesellschaftlichen
Verfall in Deutschland und dann in ganz Europa.
Dieser Unsinn hat mich
natürlich überhaupt nicht interessiert. Was aber mein Interesse weckte,
war die Ernsthaftigkeit, mit der die Anwesenden ihn behandelt haben. Es
macht mich traurig, wenn ich sehe, wie weit verbreitet solche Ideen
sind. Hinzu kommt noch der festsitzende Glaube an "Die Protokolle der
Weisen von Zion" - ein gefälschtes Buch, das nach übereinstimmender
Meinung der Wissenschaft vom Geheimdienst des russischen Zarenreichs
Ende des 19 Jahrhunderts verfasst wurde. Kurz gesagt: So ziemlich alles,
was ich [bei diesem Treffen] hören konnte, drehte sich um die umfassende
jüdische Verschwörung und deren Schuld an allem Unglück in unserer Welt.
Tatsächlich ist ja die
Versessenheit der Araber auf Verschwörungstheorien unbestritten. Aus
meiner Kindheit in London erinnere ich mich an die erhitzten
Diskussionen, die Zuhause unter unseren arabischen Gästen über die
Verschwörungen geführt wurden, die gegen uns geschmiedet würden. Bei mir
hinterließ dies damals den Eindruck, dass wir das Ziel einer bösartigen,
gegen uns gerichteten Politik des "Westen" und nur Schachfiguren in
einem großen Machtspiel seien, dessen Einzelheiten nur die aller
Schlauesten kannten. Trotz der vielen Jahre, die seither vergangen sind,
habe ich das Gefühl von Verwirrung und Ohnmacht nicht vergessen, das
mich jedes Mal überkam, wenn ich diesen Diskussionen lauschte. Ebenso
unvergessen ist mein Gefühl, dass ich - angesichts der abgründigen
Verschwörungen, welche die Diskutanten aufdeckten - das ganze Geschehen
auch nicht annähernd verstehen konnte.
Der ägyptische Wissenschaftler
Tarek Hajji hat in seinem endlich auch ins Englische übersetzten Buch
'Kultur, Zivilisation und Menschlichkeit' [Al-Thaqafa, al-Hadara
wal-Insaniya] eine ausgezeichnete Zusammenfassung dieses Phänomens
vorgelegt. Er erklärt, dass dessen Logik auf der Überzeugung beruhe, die
moderne arabische Geschichte sei von großen äußeren Kräften geformt
worden - zunächst von Frankreich und Großbritannien und später den
Vereinigten Staaten in Abstimmung mit Israel. Diese Mächte legten und
legen sich demnach [.] Strategien zurecht, um über die Araber zu
herrschen und sie zu versklaven. Und darunter [meinen nun die Araber,]
in allen ihren Lebensbereichen zu leiden - was sie wiederum unfähig
mache, etwas an diesen großen Plänen zu ändern, welche die westliche
Welt mit all ihrer teuflischen Klugheit und ihrer übermächtigen Stärke
entwickele.
Zuerst habe ich diese Theorien
in den 50er Jahren gehört. Sie drehten sich immer darum, dass jeder
Schritt oder jede Initiative von arabischer Seite in Wirklichkeit gar
nicht durch Araber selbst organisiert und durchgeführt würde, sondern
seitens dieser äußeren Kräfte. In jener Zeit kam auch Israel zu dieser
Liste der Verschwörer hinzu, was den zur Verfügung stehenden
Handlungsraum [der Araber] noch mehr einschränkte. Folgt man der Ansicht
von extremen Anhängern der Verschwörungstheorie, dann war die arabische
Revolution unter der Führung von Scharif Hussain im Jahre 1916 das
Ergebnis einer britischen Verschwörung im Dienste der regionalen
Interessen des Empires. Weiterhin sei die Revolution der freien
Offiziere in Ägypten 1952 auf Wunsch Israels zustande gekommen, um die
Araber ihrer rechtmäßigen Herrscher zu berauben: Weil nämlich die
arabischen Könige historisch oder/und religiös legitimiert waren, hätte
die Einführung von Republiken, deren Oberhäupter über keine
vergleichbare Legitimation verfügten, zu einer Instabilität geführt, die
Israel die Kontrolle über die Araber erleichtere. Das erklärt dann auch,
wie naive Araber, die nicht begriffen, dass sie westliche Pläne
ausführten, die Monarchie im Irak und Jemen absetzen konnten. Auch die
Regentschaft von König Hassan in Marokko sei mehr als einmal durch
solche Pläne in Gefahr geraten.
Außerdem meinen viele Menschen
in der arabischen Welt, die Amerikaner hätten hinter der Verstaatlichung
des Suezkanals im Jahre 1956 gestanden, weil sie den britischen und
französischen Einfluss in der Region beseitigen wollten. [Ähnliches gilt
für die jordanische Geschichte und .] auch in Syrien und dem Libanon sei
der Einfluss der Franzosen durch Hafiz al-Assad mit amerikanischer
Unterstützung beendet worden. Und dann sei mit der Machtergreifung
Saddams Husseins im Irak - ebenfalls mit dem Segen der Amerikaner - die
Bühne für die gemeinsame amerikanisch-israelische Herrschaft über die
arabische Welt bereitet worden. Diese habe die Nachfolge der
europäischen Kolonialherrschaft angetreten. Zusammengefasst wären diesen
Theorien zufolge alle arabischen Führer von Gamal Abd el-Nasser bis zu
Saddam Hussein, mit oder ohne ihr Wissen, amerikanische Agenten gewesen.
Die Verschwörungstheorie will
auch wissen, dass die Briten während der Mandatszeit selbst den Kampf
gegen die Zionisten in Palästina anzettelten. Demnach sei der
palästinensische Generalstreik im Jahre 1936 gegen die zionistische
Einwanderung - bei dem die Briten hunderte Palästinenser töteten und
verhafteten und eine Hungersnot verursachten - mit Unterstützung der
britischen Behörden selbst organisiert worden. [.] Danach hätte
Großbritannien im eigenen Interesse palästinensische Führer wie Hajj
Amin al-Husaini ausgesucht und unterstützt. [.] Auf diese Art wird die
heldenhafte Geschichte des Widerstand gegen die Zionisten verzerrt und
als Bewegung dargestellt, die unter dem Befehl von Oben und unter der
Führung von Personen stand, die im Interesse der Kolonialmacht
arbeiteten. Auch der palästinensische Kampf nach 1948 entkommt dieser
Theorie nicht: So wird vielen Führern misstraut. Yassir Arafat selbst
sei ein israelischer Agent. Und es gibt Leute die behaupten, er sei
womöglich jüdischer Abstammung und seine Frau Suha und ihre Mutter
israelische Agentinnen.
Das Problem mit all diesen
Theorien liegt nun darin, dass sie dann plausibel erscheinen, wenn man
von der Richtigkeit ihrer zentralen Grundannahme überzeugt ist. Jeder
Redakteur weiß zwar, dass man Ereignisse und Geschichten so
unterschiedlich interpretieren kann, das keine von ihnen richtig sein
muss. Wir stellen aber derzeit fest, dass eine bestimmte Theorie in der
arabischen Welt am stärksten verbreitet ist: die der
jüdisch-christlichen Verschwörung gegen den Islam. Dieser Theorie
zufolge ist der Westen in seiner Frühzeit zutiefst durch die Juden
beeinflusst worden. Und [bis heute] seien alle Tragödien der arabischen
Welt, von Palästina bis zum Irak, aus der alten religiösen Feindschaft
des jüdisch-christlichen Westens gegen den Islam entstanden. Als ob wir,
so Tarik Hajji, noch immer im Zeitalter der Kreuzzüge leben würden.
An diesem Punkt beginnen dann
die eifrigen Recherchen nach solchen Ereignissen die in diese
Vorstellungen passen und sie beweisen sollen. Ein Beispiel hierfür ist
die Herrschaft, die eine Gruppe von Israelfreunden zusammen mit
christlichen Extremisten über die derzeitige Administration in
Washington ausüben soll. Auch Präsident Bushs Beschreibung des
Irak-Krieges als "Kreuzzug", die Aussagen von Colin Powell über die
"jüdisch-christlichen" Werte oder die häufige Islam-Kritik durch
westliche Persönlichkeiten wie zuletzt die verletzenden Bemerkungen des
Generals William Boykin, einer wichtigen Figur im
Verteidigungsministerium, ohne das Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
sie missbilligt hätte, [werden in diese Richtung interpretiert].
[Noch ein Beispiel:] Der
malaiische Ministerpräsident Mahatir Muhammad erklärte kürzlich im
Rahmen der Organisation der islamischen Staaten, dass "die Juden die
Welt regieren". Während dieser Ausdruck im Westen aus seinem
Zusammenhang gerissen wurde und man sich beeilte, ihn zu verurteilen,
nahmen ihn Anhänger der Theorie vom "Kampf der Religionen" begeistert
auf - diente er ihnen doch zur Untermauerung ihres Standpunktes. Und
außerdem ist da natürlich noch der Krieg des Westens gegen den Terror,
der sich vor allem gegen die Muslime richte - sei es in Form von Staaten
oder von Individuen.
Wer also der zentralen
Grundannahme folgen will, erkennt schnell, wie Ereignisse so
interpretiert werden können, dass sie zu der Überzeugung führen, es gebe
tatsächlich eine gegen den Islam gerichtete Verschwörung. Diese
Überzeugung stößt bei einer zunehmenden Zahl von Arabern und Muslimen
auf Zustimmung, die außerhalb der arabischen Welt leben. Sie
bekräftigen, dass "sie uns hassen, weil wir Muslime sind". In
Großbritannien spricht man von der "Angst vor dem Islam" ("Islamophobia"
wie sie es nennen). Und so sammeln gläubige Muslime eifrig Beispiele für
[anti-islamischen] Fanatismus und die Diskriminierung von Muslimen. Und
so dient dann etwa die Verbreitung des Kopftuchs unter muslimischen
Frauen in Europa als Betonung einer islamischen Identität gegenüber
tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffen auf den Islam.
Die Theorie von der
Verschwörung gegen den Islam wächst parallel mit der Intensivierung des
amerikanisch-israelischen Klammergriffs auf die arabische Welt. Dennoch
wäre es falsch ihr zu folgen - auch wenn sie plausibel erscheint. Besser
wäre es vielmehr, diese Theorie im Kontext der Niederlage und
Unfähigkeit der Araber und - daraus resultierend - ihrer Abwendung von
der realen Welt zu verstehen. Aber solche Theorien sind nicht nur
falsch, sondern auch gefährlich. Denn sie lähmen das analytische Denken
und verdecken die wirklichen Gründe für die Niederlage der Araber.
Darüber hinaus fördern sie den Vorwurf des Antisemitismus gegen die
Araber, den Israel immer auszunutzen wusste.
Die Herausforderung, der die
arabische Welt heute gegenübersteht, besteht darin, wie man diese
gefährliche und schädliche Hinwendung zu fanatischem Misstrauen und
religiösen Extremismus stoppen und dem wirklich drängenden Problem
begegnen kann: Wie kann man die gnadenlose amerikanisch-israelische
Hegemonie bekämpfen, die im Kern eine säkulare Hegemonie ist, wie sehr
sie sich auch religiöser Symbole bedienen mag."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
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