MEMRI Special Dispatch, 12. Dezember
2003
Al-Hayat:
"Die Gründe des Antisemitismus"
In welchem Verhältnis stehen Kritik an
der israelischen Regierungspolitik und Antisemitismus zueinander? Für
den Kolumnisten der in London erscheinenden arabischen Tageszeitung Al
Hayat, Gihad Al-Khazen, ist die Antwort auf diese derzeit viel
diskutierte Frage eindeutig: Zwar verurteilt er den Antisemitismus,
macht für seine Konjunktur aber allein die Politik des israelischen
Premierministers Ariel Scharon verantwortlich. Unter dem Titel "Die
Gründe des Antisemitismus" erschien der folgende Artikel in Al Hayat am
4.12.2003:
"Es gibt einen verborgenen Antisemitismus
in Europa - und [gleichzeitig] gibt es dort derzeit einen neuen
Antisemitismus. Die Ursachen des ersten sind historischer Natur. Hinter
letzterem steht einzig und allein der Kriegsverbrecher Ariel Scharon.
Mit jedem neuen Verbrechen, das der israelische Premierminister verübt,
steigt die Zahl der Antisemiten in Europa und der Welt. Ich verurteile
den Antisemitismus entschieden und uneingeschränkt […] aber ich
verurteile auch Scharon und seine Maßnahmen, die den Antisemitismus
nähren. Auch wenn Scharon [selbst] niemanden tötet und keine
Zerstörungen anrichtet, so gibt er doch nazistische Äußerungen von sich,
die überall auf der Welt die Feindschaft gegen die Juden entzünden,
obwohl die meisten von ihnen gar nichts damit zu tun haben.
Zuletzt äußerte sich Scharon auf diese
unzivilisierte Art und Weise, als er die 70 Millionen in Europa lebenden
Muslime für den neuen Antisemitismus verantwortlich machte. Dabei
handelt es sich um eine doppelte Lüge. Erstens, weil die Europäer
empfindlich auf die wachsende Anzahl von Muslimen reagieren, über die
sie bekanntermaßen nicht gerade begeistert sind; [die Islamfeindlichkeit
in Europa also eigentlich das größere Problem darstellt]. Und zweitens,
weil jene berühmt gewordene EU-Umfrage die muslimischen
Bevölkerungsteile gar nicht umfasst, aus ihr aber trotzdem klar
hervorgeht, dass es die rein europäische Mehrheit ist, die Israel als
größte Gefahr für den Weltfrieden betrachtet.
Natürlich reicht es bei Scharon nicht aus,
nur über eine seiner Unverschämtheiten zu sprechen. Schließlich hat er
seine Rede mit der Behauptung fortgesetzt, die Raketenangriffe auf Gaza
und Jenin hätten gar nicht zum Anstieg der Feindseligkeit gegenüber
Israel beigetragen (so die Times vom vergangenen Dienstag und der
Guardian vom Mittwoch [...]). Nur ein Mörder vom Typ Scharons kann sich
wohl vorstellen, dass die Feindseligkeit mit dem Töten und den
Zerstörungen nichts zu tun hätte. [...]. Der Antisemitismus, so fährt er
fort, wolle die Juden daran hindern, sich zu verteidigen.
Das soll wohl heißen, dass sich Scharon in
Gaza und Jenin nur selbst verteidigt und gar nicht so viele Frauen und
Kinder umbringt, dass selbst die israelischen Piloten dagegen
protestieren und die Soldaten ihren Militärdienst verweigern und lieber
ins Gefängnis gehen. In der Logik Scharons wären diese israelischen
Piloten und Soldaten Antisemiten oder "Verräter" – so bezeichnet er
seine Gegner.
Ich glaube, dass Scharon das israelische
Volk betrügt, indem er es in ein Verbrechen hineinzieht, aus dem es
keinen Ausweg gibt. Und ich füge hinzu, dass Scharon der größte
Terrorist im Mittleren Osten ist. Außerdem ist er der erste Antisemit,
weil er die Ursache für den neuen Antisemitismus in Europa und
andernorts ist.
Der israelische Professor Yaron Azrahi [?]
sagte wörtlich: "Man muss sich daran erinnern, dass Israel während des
Friedensprozesses unter Rabin und Perez ein vom Westen bevorzugt
behandelter Staat war. Es gab große Unterstützung von Europa und den
Europäern. Warum wohl spielte der Antisemitismus in den Tagen von Rabin
und Perez, die der Welt vermittelten, dass Israel zum Verlassen der
besetzten Gebiete bereit sei, keine Rolle? Scharon hingegen ruft immer
wieder Kritiker auf den Plan, die Israel und seiner Politik Verrat
vorwerfen. Die Linke sorgt sich, weil Scharons Politik die Zukunft
Israels gefährdet, indem sie Gewalt und Antisemitismus fördert."
Das sagte ein israelischer Gelehrter. Und
genau das ist auch meine Meinung. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer
dass der neue Antisemitismus nicht ohne seine Ursache, also Scharon,
gesehen werden kann. [Das wäre auch] Robert Wistrich, dem Direktor des
internationalen Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der Hebräischen
Universität Jerusalem, [entgegenzuhalten], der beklagte, dass die
[Kritik an der Verletzung von] Menschenrechten bloß ein Deckmantel für
den Antisemitismus sei und dass die Juden und Zionisten als Teil einer
Verschwörung zur Erringung der Weltherrschaft dargestellt würden.
Ich verweise Wistrich auf die Worte von
Azrahi. […] Dabei kann man ihm keine Unwissenheit unterstellen, vielmehr
werfe ich ihm Feigheit vor, weil er nicht Scharon als Ursache des neuen
Antisemitismus nennt. Und ich werfe ihm als einem der Helfer des
israelischen Ministerpräsidenten die Beteiligung an den Verbrechen vor.
Meine letzte Anklage betrifft den
Russen-Minister in der Nazi-Regierung von Scharon, Nathan Scharansky. Er
erklärte, dass der Antisemitismus in Europa politisch wieder akzeptabel
würde – ohne allerdings die Gründe für diese Rückkehr zu erklären. Noch
einmal: Dieser Antisemitismus hat eine klare, nicht zu leugende Ursache.
Die in Israel für den Kampf gegen den
Antisemitismus zuständigen Leute erklären, dass es [in Europa] drei
Arten des Antisemitismus gebe: den traditionellen, den neuen und den
islamischen. Letzterer, meinen sie, sei der gefährlichste und sprechen
dabei von den heute 70 Millionen Muslimen in Europa. In diesem Klub
arbeiten Geheimdienstler und Beamte des israelischen Außenministeriums -
das heißt, dass professionelle Lügner versuchen, die Verbrechen der
Regierung Scharon in einem Nebel aus islamischem Antisemitismus und
ähnlichem zu verschleiern. Darauf habe ich eine einfache Antwort: Es gab
schon zur Zeit von Rabin und Perez 70 Millionen Muslime in Europa aber
von ihnen ging kein nennenswerter Antisemitismus aus [...].
Ich sage den Juden [...], dass Scharon
eine größere Gefahr für sie als für die Palästinenser und andere
darstellt. Sie werden nicht zur Ruhe kommen bis sie den Fehler, ihn zum
Premier zu machen, korrigiert haben. Scharon hat nur erreicht, dass die
israelische Sicherheit endgültig verloren ist. Er ist verantwortlich für
den Untergang des Friedensprozesses und für die Zerstörung von Israels
Ruf in der Welt.
Am 23. November verkündete Scharon,
nachdem zwei israelische Soldaten getötet worden waren, die den
Sicherheitszaun bewachten, dass er sein Treffen mit Mahmud Qurei
verschieben wird. Genau das ist doch Antisemitismus. Schließlich tötet
Scharon jeden Tag, aber wenn einmal zwei Israelis umkommen, ist er
zornig. Als ob allein die jüdischen Gefallenen bedeutsam und die
palästinensischen Gefallenen nur Ungeziefer wären, um die niemand weint.
Heute ist jeder, der Scharon verteidigt, selbst ein antisemitischer
Verbrecher wie er. […]
Mein persönlicher Trost besteht darin,
dass die Mehrheit der Juden in Israel und der ganzen Welt den Frieden
wollen. Wenn ich die letzten Erklärungen von Scharon gelesen habe, so
habe ich auch von dem Rabbiner Arik Asherman gelesen, der der
Rabbiner-Hochschule zu Menschenrechten vorsteht. Er bringt sein Leben
tagtäglich in Gefahr, wenn er in die palästinensischen Gebiete
hinüberfährt um sie [die Palästinenser] zu verteidigen und selbst als
menschliches Schutzschild dazwischen geht, um sie vor den
Besatzungssoldaten zu schützen. Dieser Rabbiner, der mit seiner Frau und
seinen beiden Kindern aus Kalifornien gekommen ist, repräsentiert die
Zukunft der palästinensisch-israelischen Beziehungen. Nicht Scharon und
seinesgleichen, die Feinde des Friedens und der Menschlichkeit sind."
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