Die in London erscheinende arabischsprachige Tageszeitung al-Hayat
veröffentlichte kürzlich einen Artikel, in dem auf die
Auseinandersetzungen um ausländische NGOs in arabischen Ländern
eingegangen wurde. Der in Großbritannien ansässige Wissenschaftler
Marwan Kaplan beschreibt dabei zunächst die Interessen der westlichen
Staaten, auf innerstaatliche Entwicklungen in der Region Einfluss zu
nehmen und gibt schließlich die Reaktionen wider, mit denen verschiedene
arabische Regierungen auf die zunehmende Zahl ausländischer Projekte
reagierten. Am Beispiel des Verfahrens gegen den auch in Europa
bekannten ägyptischen Wissenschaftler Saad al-Din Ibrahim in Ägypten
werden die Interessensgegensätze beschrieben. Der Artikel erschien am
10. Februar 2003:
"Während des Kalten Krieges hatten finanzielle Unterstützungen des
Westens an die arabischen Staaten größtenteils politischen Charakter und
beschränkten sich auf staatliche Organisationen und Institutionen. Sie
zielten darauf ab, den sowjetischen Einfluss in der Region durch die
Unterstützung von - kulturell und religiös geprägten - Formen und
Trägern des inneren Widerstandes einzugrenzen. Im vergangenen Jahrzehnt
jedoch zeichnete sich ein beachtlicher Wandel in diesem Bereich ab. Seit
dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Verschwinden der bipolaren
Konkurrenz um die Vorherrschaft in der Region, ist der Anteil von
Geldern an Nicht-Regierungsorganisationen gestiegen. Ebenso veränderte
sich die Zielsetzung [der Unterstützungen]. Während die Unterstützungen
früher darauf abzielten, eine geistige und ideologische Einflussnahme
von außen durch den Kommunismus einzudämmen, so zielen sie heute darauf
ab, innere intellektuelle, kulturelle und politische Herausforderungen
durch den politischen Islam zu begegnen.
Im letzten Jahrzehnt ist die Zahl arabischer Organisationen, die sich
in großem Maße auf ausländische Hilfen stützen, gestiegen, so etwa
Zentren für Sozialforschung, Menschenrechts- und akademische
Organisationen etc. Die Zuwendungen der ausländischen Organisationen
umfassten dabei neben materiellen Hilfen auch Beratungsangebote und
Fachwissen, um Veränderungen hin zu einer Liberalisierung und die
Wiederentstehung einer öffentlichen Meinung zu bewirken. Zu den
arabischen Staaten, die verstärkt in den Genuss dieser Bemühungen kamen,
gehören Ägypten, Marokko, Tunesien, Algerien, Jordanien, Libanon, der
Jemen und die Gebiete der palästinensischen Selbstverwaltung. Europa,
die USA, Japan, Kanada und Australien zählten zu den bedeutenden
Geldgebern.
Die meisten Zuwendungen wie Finanzierungshilfen und materielle
Unterstützungen erfolgten durch staatliche Institutionen der westlichen
Länder, deren Abwicklung vom britischen und niederländischen
Außenministerium beaufsichtigt wurde bzw. durch halbstaatliche
Organisationen und Vertretungen wie die US Agency for International
Development (USAID) und seinem kanadischen Pendant (CIDA), oder über die
mit den wichtigen politischen Parteien verbundenen Institutionen. Die
deutschen Stiftungen sind auf diesem Gebiet führend. Nach ihrem Vorbild
folgten ähnliche Institutionen aus Europa, den USA und Kanada.
Zu Beginn der 1980er Jahre beschloss der amerikanische Kongress die
Gründung der National Endowment for Democracy. Sie ist eine
nicht-staatliche Stiftung, die sich hauptsächlich auf die zwei großen
Parteien der USA stützt. Auch das britische Parlament entschied im Jahre
1992, eine vergleichbare Organisation namens Westminster Foundation for
Democracy aufzubauen. Daneben gibt es das staatliche Olaf-Palme-Zentrum,
das der schwedischen Arbeitspartei angehört und die zur französischen
sozialistischen Partei gehörige Jean-Jaurès-Stiftung, das
österreichischen Bruno-Kreisky-Forum und viele andere. Des Weiteren
existieren private Stiftungen, die an keine bestimmten staatlichen
Stellen gebunden sind, z.B. die amerikanische Ford-Foundation und seit
kurzem auch die Stiftung Georg Soros, einem amerikanischen Staatsbürger
ungarischen Ursprungs.
Andere Organisationen hingegen sind an große internationale Firmen
gebunden, die Interessen in der Region des Nahen Ostens verfolgen, z.B.
in der Ölbranche. All diesen Einrichtungen werden Erleichterungen -
beispielsweise Steuererleichterungen - durch die Geberländer gewährt und
sie sind als Non-Profit-Organisationen registriert. Zudem genießen
einige von ihnen diplomatische Immunität, da ihre Arbeit mit den
Kulturabteilungen der westlichen Botschaften verwoben ist. Trotz der
unterschiedlichen Arbeitsweisen dieser Organisationen, ihrer Mittel,
Finanzierungen und Zugehörigkeiten, sind sie auf die eine oder andere
Weise an die Außenpolitik der Staaten gebunden, unter deren Fahne sie
arbeiten.
Während die USA bis vor kurzem der Hauptfinancier für NGOs in der
arabischen Welt waren, erlebte die zweite Hälfte der 1990er Jahre
spürbare europäische Aktivitäten in diesem Bereich. Von insgesamt 600
Projekten, die von westlichen Ländern voll- oder teilfinanziert wurden,
wurden zwischen 1995 und 2001 mehr als 170 Projekte zur
Demokratieförderung im Mittelmeerraum ins Leben gerufen. Ihre
Aktivitäten umfassten neben der Durchführung von Konferenzen zum Thema
der Demokratie auch Seminare für Geschäftsleute, die Bereitstellung von
Stipendien für bis zu zwei Jahre sowie die Organisation von Besuchen an
europäischen Forschungseinrichtungen. Die Dokumentation von
Menschenrechtsverletzungen, die Durchführung von Meinungsumfragen,
Wahlbeobachtungen sowie die Unterstützung der Durchführung oder
Veröffentlichung von Sozialstudien, Fremdsprachenunterricht und
Übersetzungen in Literatur und Politik gehören ebenso zu den
Aufgabenbereichen wie schließlich die Gewährung materieller Hilfen.
Diese Projekte haben zwei Zielsetzungen: Erstens, den Aufbau oder die
Entwicklung unabhängiger nationaler Organisationen, die sich jenseits
staatlicher Kontrolle befinden, deren Aufgabe darin besteht, einen
schrittweisen Übergang vorzubereiten, an dessen Ende die Werte, das
System und die Kultur des westlichen Liberalismus an die Stelle der
herrschenden traditionellen Werte der arabischen Welt treten sollen.
Dieser Wandlungsprozess, in dem die Elite und die juristischen
Institutionen zusammen mit den Bildungseinrichtungen und den Medien eine
führende Rolle spielen, umfasst die Lockerung der staatlichen Kontrolle
über die Gesellschaft bei gleichzeitiger Abschwächung der
gesellschaftlichen Polarisierung, die insbesondere aus dem scharfen
Klassenunterschied resultiert. Zudem geht es darum, Druck in Richtung
schrittweiser Reformen auszulösen, um den Eintritt in eine explosive
Situation zu verhindern, in der durch einen revolutionären Akt die
westlichen Interessen (so wie im Iran) zu Schaden kommen könnten.
Zweitens sollen die vom Westen finanzierten Projekte ein alternatives
kulturelles Modell ausbilden, das dazu beiträgt, den Einfluss radikaler
Kräfte, des politischen Islam, zu schwächen, der nach dem Ende des
Kalten Krieges erstarkte. Er profitierte dabei vom allgemeinen Zustand
der Schwäche der arabischen Welt, der schlechten Wirtschaftslage, dem
Anstieg der Arbeitslosigkeit, der weit verbreiteten Korruption in den
Institutionen, den Verschleiß der Eliten durch revolutionäre Rhetorik
und ihrem Mangel an politischen und unideologischen Reflexionen.
Bei der Interpretation all dessen sind intellektuelle und politische
Kreise im Westen, so z.B. Anthony Lake, ehemaliger nationaler
Sicherheitsberater der Clinton-Administration, davon überzeugt, dass ein
Wandel in der Region beinahe unausweichlich ist. Wenn dies also nicht
mehr zu verhindern ist, dann kann es für die USA nur darum gehen, diese
Veränderungen zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass sie ruhig und
allmählich von statten gehen, also ohne revolutionäre Umbrüche und
soziale Unruhen, die die Interessen des Westens verletzen oder feindlich
gesinnte Regime an die Macht bringen könnten. Bei ihrem Anliegen, den
Verlauf der erwarteten Veränderungen in der arabischen Region zu
kontrollieren, ist auffällig, dass die Politik der westlichen Länder
durch ihre nationalen Interessen beeinflusst wird. Die innere
Entwicklung bestimmter arabischer Länder findet größere Aufmerksamkeit
als in anderen, je nach Interesse der westlichen Länder.
Frankreich, Spanien und Italien konzentrieren sich auf Nordafrika, aus
Angst vor einer Machtübernahme der Islamisten und einer Verschlechterung
der Lage in einer Weise, die wie im Algerien in der zweiten Hälfte der
1990er Jahre eine massenhafte Migration in den Norden auslösen könnte.
Die USA hingegen richten ihr Augenmerk auf die Staaten des Nahen Ostens,
was die Besorgnis der USA um die Sicherheit der Ölquellen und um den
Schutz Israels widerspiegelt, das seit etwa einem halben Jahrhundert als
Eckpfeiler amerikanischer Politik [in der Region] gilt.
Die Politik der selektiven Aufmerksamkeit, die die westlichen Länder
bei ihrer Finanzierung von demokratiefördernden Projekten betreiben,
zeigt, dass es nicht um Demokratie als solche geht. Sie ist ein Mittel,
um jegliche Veränderung, die westlichen Interessen widerspricht, zu
vereiteln. Diese Selektion findet nicht allein auf der Grundlage
geographischer Faktoren, der Nähe oder Distanz eines Landes, statt. Es
geht nicht mehr um Demokratie, sondern auch um den Schutz politischer
Strömungen, die den Schutz [des Westens] genießen. Es ist also kein
Wunder, dass Institutionen islamischer, linker oder nationalistischer
Prägung von den Projekten zur Demokratisierung der Region, die an die
Hunderte zählen, auf Abstand gehalten werden.
Die Selektivität zeigte sich ebenso deutlich im Charakter dieser
Aktivitäten, die sich auf drei zentrale Bereiche konzentrieren:
repräsentative Wahlen, Menschenrechte und Rechte der Frau, die Schaffung
einer dem Westen gegenüber wohlwollenden Öffentlichkeit sowie
schließlich die Förderung des arabisch-israelischen Dialogs. Die meisten
Themen, mit denen sich die westlichen Projekte beschäftigen, sind
politischer und an den Eliten orientierter Natur, während
wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen, die eine breitere Wirkung
hätten, ignoriert werden. Die Bedeutung solcher Projekte stünde den
anderen in nichts nach, wenn es darum geht, dass das Experiment der
Demokratie sich entwickelt und vorankommt. Solche Projekte wären
beispielsweise die Bekämpfung des Analphabetismus und der Armut sowie
der Ausbau von infrastrukturellen Projekten.
Im das Bild abzurunden müssen die Reaktionen der Empfänger-Staaten
genauer betrachtet werden. Die meisten arabischen Staaten sahen in den
demokratiefördernden Projekten und Hilfestellungen außerhalb des
offiziellen Rahmens einen Bruch mit dem herkömmlichen Verständnis von
nationaler Souveränität und eine offene Einmischung in innere
Angelegenheiten. Die Projekte würden ihre Rolle im Verhältnis zu der
[Empfänger-] Gesellschaft und den Organisationen, die innerhalb der
nationalen Grenzen arbeiten, überschreiten und mit ihren Aktivitäten
direkten Einfluss auf die Souveränität und folglich auf die Bürger [der
arabischen Staaten] ausüben.
Die arabischen Reaktionen schwankten zwischen Zurückhaltung und
Konfrontation. Während einige der arabischen Staaten einen
unkonfrontativen Weg gingen und positive Zeichen aussandten, indem sie
ausländische Wahlbeobachter einluden - wie etwa 1997 im Jemen - gingen
andere Regierungen so weit, Spendengelder zu konfiszieren, Büros der
NGOs zu schließen und Protestierende zu verhaften. So empörte sich die
ägyptische Regierung anlässlich einer Konferenz von USAID über die Rolle
der Legislative bei der Stärkung der Demokratie, an der auch eine
wichtige Gruppe ägyptischer Parlamentsabgeordneter teilnahm, über die
ausländische Informationspolitik und eine kulturell-geistliche Invasion.
Unmittelbar nach dem Erdbeben in Kairo 1992 beschloss die ägyptische
Regierung ein Gesetz gemäß den [geltenden] Notstandsgesetzen, das
jegliche ausländische Finanzierung inländischer Institutionen und
Organisationen untersagte.
Auch die Palästinensische Autonomiebehörde konfiszierte - in einer
Zeit, als sie noch Macht hatte - Millionen von Dollar ausländischer
Organisationen, die Projekte betrieben, durch die die Behörden ihre
Souveränität bedroht sahen. Als Hinweis auf die Gefahr, die die
arabischen Staaten in Bezug auf den ausländischen Einfluss empfanden,
wurde dieses Problem auf die Agenda der arabischen
Innenminister-Konferenz 1996 in Tunis gesetzt, die beschloss, jede
ausländische Finanzierung zu untersagen, die nicht über staatliche
Kanäle liefe.
Der wohl prominenteste Fall in diesem Zusammenhang ist der von Saad
ad-Din Ibrahim, Direktor des Ibn Khaldun Center for Development Studies.
Zu Beginn des Jahres 2000 wurde er unter dem Vorwurf verhaftet, gegen
das Gesetz von 1992 verstoßen und Informationen an ausländische Stellen
weitergeleitet zu haben, die die Sicherheit des Staates gefährden und
dem internationalen Ansehen Ägyptens schaden würden. Der tatsächliche
Grund [für seine Verhaftung] war die Durchführung von Untersuchungen,
die von der Europäischen Union finanziert wurden und die einige Fälle
von Wahlfälschung in Ägypten ansprachen. Bereits zuvor hatte Ibrahim den
Ärger der Behörden erregt, als er im Rahmen einer Konferenz zu
religiösen und ethnischen Minderheiten in der arabischen Welt, die die
amerikanische Ford-Foundation organisiert und finanziert hatte, über die
Situation der Kopten gesprochen hatte. Der Fall Ibrahim ist
diesbezüglich nicht der einzige, auch der Generalsekretär der Egyptian
Organisation for Human Rights (EOHR) wurde beschuldigt, zu Beginn des
Jahres 2000 25000 Dollar von Großbritannien für die Ausarbeitung eines
Berichtes über Haftverhältnisse und Folterungen von politischen
Gefangenen erhalten zu haben.
Die Fälle [Saad al-Din] Ibrahim und des EOHR werden nicht die letzte
Runde im andauernden Kampf zwischen dem Westen und den arabischen
Staaten um die Kontrolle des Transformationsprozesses gewesen sein. Mit
den zunehmenden Einmischungen des Auslands in die inneren
Angelegenheiten nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 scheint
sich die Problematik in Bezug auf die ausländische Finanzierung von NGOs
in der arabischen Welt erheblich zugespitzt zu haben. Der einzige Weg,
das ausländische Geld und den Einfluss auf einheimische arabische
Organisationen zu begrenzen, besteht darin, dass sich die arabischen
Staaten selbst diesen Organisationen öffnen und ihnen Alternativen einer
regionalen Finanzierung zugestehen, indem der Staat beispielsweise
dauerhafte Mittel zur Verfügung stellt, ohne dass dadurch die
Unabhängigkeit der Organisationen beeinträchtigt werden dürfte. Damit
würden die Organisationen von dem Vorwurf befreit, ausländische
Interessen zu vertreten und zu verfolgen."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
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