zu finden ist.)
"Die Chance des arabischen Liberalismus"
(von Tawfik Abu Bakr)
"Ich glaube fest daran, dass es heute günstige und reichlich
Möglichkeiten gibt, um liberales Denken in unserem Land voran zu
bringen. [Insbesondere] nach dem tiefen Fall, den die anderen
politischen Strömungen, die nationalistische, linke und die islamische,
erlebt haben. Natürlich werden diese sich nun an jeden Strohhalm
klammern, bevor eine breite Strömung sie hinwegfegt - die Strömung der
Erneuerung, des Realismus und des Glaubens an Wissen, Logik und
Besonnenheit. Deshalb stürzen sie sich mit ungewöhnlicher Bösartigkeit
in die letzten Schlachten: Leichthin klagen sie jeden Vertreter anderer
Meinungen an, Verräter, Kollaborateur des Kolonialismus oder - im
Sprachgebrauch der radikalen Islamisten - Ungläubiger oder Ketzer zu
sein. Wer ihre Schriften und ihre Propaganda liest und das Beben ihrer
Stimmen auf den Bildschirmen vernimmt, merkt, wie hier die Nerven blank
liegen, nachdem ihre Gedankengebäude vollständig zusammengebrochen sind.
Sie haben nicht eine ihrer Vorhaben wie Einheit, Demokratie, Befreiung
und soziale Gerechtigkeit verwirklicht. Vielmehr haben sie bestätigt,
dass sie sich, einmal an die Macht gelangt, in eine Klasse verwandeln,
die sich ihrer Privilegien erfreut und die Menschen in sagenhaftem
Ausmaß unterdrückt; [wenn man] all jenen Geschichten glauben kann, die
aus dem Irak [unter Saddam Hussein] berichtet werden - von Massengräbern
und dem kaltblütigen Hinmetzeln eines jeden, der sich dazu verführen
ließ, das System zu kritisieren oder nicht alle Maßnahmen dieses Regimes
mit der nötigen Begeisterung unterstützte.
Mit Panzern kamen die Nationalisten in den 50er Jahren und ihre
wichtigste Botschaft war die Befreiung Palästinas. Aber in ihrer Ära
ging der Rest von Palästina und arabisches Land von der dreifachen Größe
Palästinas verloren. Sie stoppten die natürliche Entwicklung ihrer
Gesellschaften [...], und die Massen weinten den Parlamenten und
Parteien, die zuvor ein bescheidener Anfang für eine liberale Bewegung
gewesen waren, nur wenige Tränen nach. Parlamente und Parteien wurden
noch in der Wiege liegend lebendig begraben - zugunsten von
revolutionären Ideen, für deren Umsetzung dann nie ein Weg gefunden
wurde. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang haben die Nationalisten
unsere Völker [stattdessen] mit ihrer notorischen Parole ´Keine Stimme
soll lauter sein als der Ruf nach der Schlacht´ - der Schlacht mit
Israel und dem Imperialismus - in den Ohren gelegen. Als ob der Sieg
[nur mit Propaganda] zu erringen wäre - ohne Demokratie, welche die
Energien und verborgenen Möglichkeiten der Menschen doch erst zur
Entfaltung kommen lässt.
Als die Staaten des sozialistischen Lagers zusammengebrochen sind, hieß
es, dass den linken Parteien in unserem Land nichts anderes übrig
bleibe, als daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Dazu jedoch erklärte der
bekannte ägyptische Intellektuelle Dr. Fuad Zakariya mir einmal: ,Sei
kein Optimist. Niemand in unserem Land ist bereit, vom anderen zu
lernen. Nicht eine Lektion werden sie lernen. Alles was passieren
könnte, ist das die Schamesröte in ihren Gesichtern zunimmt. Sonst
nichts.' Und so war es dann auch.
Das folgenschwere Erscheinen von fundamentalistischen Kräften in
unserem Land ist keineswegs Resultat von irgendwelchen Leistungen, die
sie vorzuzeigen hätten - solche gibt es einfach nicht. Nein, [ihr
Erfolg] basiert auf einer großen Lücke im politischen Spektrum. Sie
stießen in ein Vakuum, weil die anderen politischen Strömungen nichts
mehr zu versprechen hatten und ihre überkommenen Programme und Symbole
[...] weiter mit sich herumschleppten, statt sie zu erneuern. Auch die
Führungen der Parteien haben sich bei uns nicht verändert; und sie
werden sich wohl auch nicht wandeln. Der Generalsekretär einer linken
Partei könnte die 90er überschreiten und er wäre immer noch im Amt.
[...] Und als dann die Nationalkonferenzen und der nationalistische
Islamismus kamen, durften wir in ganz genau dieselben Gesichter sehen
und mit großem Widerwillen den immer gleichen Reden gegen Veränderung
und Wandel zuhören.
Was wir also brauchen, ist die Entfaltung einer neuen Strömung -
nämlich der liberalen Strömung, die sich nicht vor der Anschuldigung
fürchten darf, der westlichen Tradition zu nahe zu stehen. Auch darf sie
sicht vom Geschrei aus dem Kreis der "Freunde des lauten Rufs", die
süchtig nach Feindschaft mit "dem Anderen" sind, erschüttern lassen.
Im Rahmen einer Befragung erklärten [vor kurzem] in der Sendung "Die
Gegenrichtung" von Faisal al-Qasim beinahe 80% Prozent [der Befragten],
sie würden den Kolonialismus gegenüber den repressiven arabischen
Regimes vorziehen.
Dies ist eine Botschaft an die "lauten Rufer", dass Parolen [unter dem
Motto] "gegen das Andere" die Allgemeinheit nicht länger täuschen oder
einschüchtern. Ich rufe diese Brüder auf, in die irakischen Städten zu
gehen und - fern ab der Kameras - die einfachen Menschen zu befragen.
Die werden ihnen sagen, dass die Befreiung von einem Regime, das Land
und Menschen, sowie Ackerbau und Viehzucht zugrunde gerichtet hat, eine
große Leistung war - eine Leistung, die nur in der Art und Weise möglich
war, wie es nun einmal geschehen ist. Zwar möchte niemand fremde
Soldaten im eigenen Land sehen, aber es besteht trotzdem ein Unterschied
zwischen schlimm und schlimmer. Wenn nicht geschehen wäre, was geschehen
ist, würde wohl am Ende dieses und zu Beginn des nächsten Jahrhunderts
im Irak noch immer ein [.] Nachkomme [Saddam Husseins] herrschen.
Es führt kein Weg darum herum, ein Konzept "internationaler humanitärer
Intervention" zu entwickeln und nach genauer Prüfung präzise Regeln
dafür festzulegen. [Nur so] können Völker aus den Klauen barbarischer
Herrscher gerettet werden, die dies nicht aus eigener Kraft schaffen.
Denn auf welche Weise diese Herrscher jede oppositionelle Stimme
unterdrücken, übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Ich selbst habe
diesen Punkt bereits im Rahmen der internationalen
Menschenrechtsbewegung vorgebracht und werde dies mit noch größerer
Entschlossenheit weiter tun. Bisweilen habe ich auf der
Welt-Menschenrechtskonferenz, die seit Jahren in Wien zusammenkommt,
Anspielungen seitens despotischer arabischer Regimes gehört, die sich
alle um die Frage nationaler Souveränität drehten und Einmischungen in
die inneren Angelegenheiten eines jeden Landes ablehnten. Damit
isolieren sie sich von ihren Völkern - und zwar, ohne dass es eine
internationale Überwachung geben würde.
Wenn sich jemand in einer verlassenen Steppe allein einem wilden
Raubtier gegenüber sehen würde und sich Leute aufmachten, ihn zu retten
- würde er das nicht begrüßen? Wenn Amerika eines Tages die Initiative
ergreifen und Israel (wie 1957 auf dem Sinai) zum Abzug aus den
palästinensischen Gebieten zwingen würde - würden wir das [etwa] nicht
begrüßen?
Wer hat euch gesagt, dass die Verbrechen des Systems von Saddam weniger
grausam seien als die Maßnahmen der Besatzungspolitik? Ich habe die
Besatzung im Juni 1967 und die von Kuwait 1991 erlebt - und ich habe
hier nicht vor, einen Vergleich anzustellen, denn dessen Resultate
fielen beschämend und schädlich aus.
Wir benötigen also einen aufklärerischen Aufstand [Nahda] weit weg von
den Umwälzungen [Revolutionen], für die wir und unsere Völker einen
hohen Preis gezahlt haben. Viele Staaten sind uns bei der Verwirklichung
von Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit weit voraus. [.] Wir verharren
auf der untersten Stufe, wenn es darum geht, unseren Völkern Glück zu
verschaffen; ganz oben auf der Leiter tauchen wir hingegen bei der
Verletzung von Menschenrechten auf [.]. Dies zeigen die Berichte der
Vereinten Nationen und der arabische Bericht zur menschlichen
Entwicklung, von dem ich mir wünsche, er würde der Allgemeinheit bekannt
gemacht, damit alle wüssten, was diese "Revoluzzer" ihren Völkern
angetan haben.
"Das Andere" ist eine "Bereicherung" und kein Gegensatz, wie es die
Ideologie der überkommenen Parteien wissen will. Diese behaupten an den
Pluralismus zu glauben, tatsächlich jedoch reden sie von ihren
"Grundlagentexten" (1), anstatt Erkenntnisse über die wirklichen
Lebensrealitäten ins Visier zu nehmen. Dem "Anderen" stehen sie
feindselig gegenüber und jede Partei bombardiert die andere mir ihren
heiligen Texten [.].
Wir sind immer noch weit entfernt von einer Revolution des Wissens.
Einzig die liberale Strömung ist fähig zu einer solchen Revolution. Die
alten Parteien fürchten das Wissen, weil sie sich allgemeinen Parolen
verschrieben haben und sich mit rein theoretischen Fragen beschäftigen,
ohne irgendeinen Glauben an Wissen, Ziffern, Statistiken und
Definitionen. Sie stehen einer Revolution des Wissens, der Technik und
der Kommunikation mit dem "Anderen - fern der vorangegangenen
Feindschaft - ablehnend gegenüber. Sie wollen keine Zusammenarbeit mit
[anderen] Kulturen und lehnen es ab, Nutzen aus dem enormen
technologischen Fortschritt zu ziehen und die Lektionen der modernen
Welt mit all ihren verblüffenden Entwicklungen zu lernen.
Allein der Liberalismus ist dazu imstande, die Meinungsmonopolisierung
zu bekämpfen, die Lehren der Vergangenheit zu überprüfen und langsam,
aber beständig und schrittweise Fortschritte zu erzielen [.]. [Dazu] ist
es nötig, dass die Relativität der Wahrheit ans Licht kommt. [Denn] die
Wahrheit ist relativ und gerade die Wechselwirkung zwischen
[verschiedenen] Wahrheiten [bringt mehr als "Rechthaberei"]. Die
relative Wahrheit ist von [konkreter] Lebenserfahrung bestimmt und
profitiert von dieser. Also noch einmal: Wir werden nicht in das
Zeitalter der "Renaissance und Aufklärung" eintreten [.] solange wir
[unsere] Grundwahrheiten nicht konsequent in Frage stellen. Das war der
Weg der Renaissance in Europa und vor uns liegt der selbe Weg."