"'Es gibt keine Journalisten in
der arabischen Welt.' Das antworte mir der Herausgeber einer arabischen
Zeitung auf meine Frage, warum die Geschichte des Journalismus nicht als
Thema [in den Zeitungen] vorkomme. Seine Antwort verwunderte mich. Wie
kann es sein, dass es in dieser großen arabischen Welt keine
Journalisten gibt? Ich hörte die gleiche Klage von einem Verleger: "Wir
haben Autoren, aber keine Journalisten."
Und tatsächlich, wenn man sich
die arabische Medienberichterstattung bei Ereignissen wie der
Gerichtsverhandlung gegen Saddam [Hussein] und der Situation im Irak im
Allgemeinen anschaut, wird dieser Mangel an Journalisten peinlicherweise
sehr deutlich. So wissen wir wenig über Saddam, der über 30 Jahre im
Irak herrschte, abgesehen von einer einzigen abgedroschenen Geschichte
über einen Portier oder Gemüsehändler in Ägypten, wo Saddam seine Jugend
verbrachte. Wenn wenigstens diese Geschichte wahr wäre! Dieser
Gemüsehändler hat seine Geschichte bereits mehr als einmal umgedichtet.
Es wäre interessant,
herauszufinden, warum arabische Journalisten nicht hunderte von
Interviews mit Leuten führen, die Saddam privat kannten, oder mit
Familien, die unter den Zuständen der Saddam-Ära zu leiden hatten.
Wurden nicht 300.000 Iraker in Massengräbern begraben? Oder ist dies
auch eine amerikanische Lüge? Haben [die Opfer] keine Familien und
Verwandte, die man interviewen könnte, oder ist ihr Schmerz und ihr
Leben nicht wichtig?
Es wäre beispielsweise
interessant über das Leben einer Frau zu erfahren, deren Ehemann und
Kinder von Saddam ermordet wurden. Oder wie im Exil lebende Iraker von
Ort zu Ort und Land zu Land zogen, und ob ihre Kinder Arabisch sprechen.
Oder wie die französisch oder deutsch sprechenden [im Exil
aufgewachsenen] Kinder mit der arabischen Sprache im neuen Irak klar
kommen. Was halten sie von den arabischen Widerstandskämpfern und den
Freunden Al-Zarqawis? Ziehen sie es vor, Beziehungen zu Menschen aus den
benachbarten arabischen Ländern oder zu Europäern zu pflegen? Diese
Leute besitzen alle einen Namen und haben [verschiedene] Meinungen über
diese Angelegenheiten.
Es sollten tausende Geschichten
über das Leben der Iraker geschrieben werden - aber wo sind die
Journalisten?! Ist es der Mangel an professionellen Journalisten, dass
diese journalistisch interessanten Geschichten unbekannt bleiben?
'Unsere Zeitungsberichte
konzentrieren sich nur auf heroische Taten'
Es gibt viele verschiedene
Arten über diese Angelegenheit zu recherchieren. Ein Zeitungsbesitzer
oder der Inhaber eines Fernsehkanals könnten z.B. gewöhnliche Bürger
finden, die über ihre persönlichen Erfahrungen mit Unterdrückung,
Emigration oder dem Verlust von Verwandten sprechen. […] Ich fürchte
aber, der Zeitungsbesitzer oder Produzent eines Radio- oder
Fernsehkanals, der dies vorhat, würde Probleme bekommen.
Das erste [Problem] ist, dass
unsere Kultur nicht wie die katholische Kultur ist, bei der das
Geständnis eine wichtige Rolle spielt, insbesondere wenn jemand eine
Sünde begangen hat. Wenn jemand ein Verbrechen, das er gegen sich selbst
oder andere begangen hat, bekennt, wird dies [bei uns] nicht akzeptiert.
Wir erziehen unsere Kinder [mit dem Glauben], dass es nicht männlich
ist, zu bekennen, zu weinen oder anzuerkennen, dass Unterwerfung und
Unterdrückung die Individualität zerstören oder vielleicht sogar die
Männlichkeit beschädigen können. […]
Unsere Zeitungen akzeptieren
nur Berichte von heroischen Taten, und sie übergehen die
Schwierigkeiten. Das ist lobenswert. Aber es gibt viele persönliche
Niederlagen, Schwächen und Quälereien, und wir müssen die, die solche
Erfahrungen gemacht haben, darüber erzählen lassen. Dies erfordert eine
Veränderung unserer Zeitungskultur, oder dessen, was man News-Room
Culture nennt. Die Zeitungen müssen akzeptieren, dass es O-Töne gibt,
die für sich selbst sprechen, dass es Menschen aus der Bevölkerung gibt,
die die Meinung der Iraker, Ägypter, Syrer, Saudis oder Marokkaner
wiedergeben. Jeder Mensch hat eine Meinung, und wenn man ihm die
Möglichkeit gibt, dann schreibt er vielleicht einen besseren Kommentar
als ein professioneller Kolumnist, da er etwas persönlich erlebt hat.
Von diesen Stimmen der authentischen Experten ist nichts zu hören oder
zu lesen. […]
Warum schreibt nicht
beispielsweise ein Soldat, der gegen [Terroristen] gekämpft hat, über
den Terror? Warum hören wir nicht die Meinung eines Kommandanten der
städtischen Polizei einer arabischen Hauptstadt, wo es Zusammenstöße mit
Terroristen gibt oder seinen Kommentar über unsere Rolle [d.h. der
Journalisten], ob unsere Berichterstattung ihm hilft oder ihm das Leben
schwer macht? Was ist seine Meinung über die ganze Sache? Bis zu diesem
Moment haben wir noch von keinem von ihnen eine ausführliche Darstellung
ihrer Meinungen gehört – abgesehen von einer Aussage hier und dort, in
einem Anfängerstück eines Journalisten.
'Offizieller Respekt für
einen Journalisten kann nur durch seine eigene Selbstachtung entstehen'
Es ist keine Schande für einen
führenden Beamten, einen langen Artikel über seine Politik oder die
Politik seines Ministeriums für die Meinungsseite einer Zeitung zu
schreiben. Warum schreibt der amerikanische Außenminister Colin Powell
alle drei Monate einen Artikel für die Washington Post oder die New York
Times? Warum schreibt er einen langen Artikel, der einer Studie aus der
Zeitschrift Foreign Affairs […] gleicht? Ich glaube, Powell und sogar
Rumsfeld schreiben [für Zeitungen], um die Öffentlichkeit von ihrer
Politik zu überzeugen, und wenn sie glauben, dass die Öffentlichkeit
über einen ihrer Artikel murrt, dann werden sie einen neuen Artikel
schreiben. […]
Bei uns fühlt sich ein
Staatsmann nicht genötigt, seine Politik zu erklären, weil er denkt, die
Leute unterstützen ihn unhinterfragt und deswegen bedarf es weder
Erklärungen noch das Werben um Unterstützung.
Die Verantwortlichen bei uns
schätzen die Presse nicht als Möglichkeit, Informationen zu übermitteln.
Die Verantwortung dafür liegt teils bei den Journalisten und teils bei
den Offiziellen. Der Anteil [der Verantwortung] des Journalisten besteht
darin, dass es kein Journalist schafft, von den Offiziellen [als
Übermittler von Informationen und Kommentator] respektiert zu werden.
Respekt von offizieller Seite aber kann nur entstehen, wenn der
Journalist seinen Beruf selbst respektiert. […] Der Journalist kann
Respekt von offizieller Seite erlangen, wenn er viel von dem Thema, über
das er spricht, versteht - und nicht bloß das Mikrophon vor dem Beamten
aufstellt und ihn sagen lässt, was er will. […]
Aber auch unsere
Regierungsbeamten verhalten sich seltsam. Anstatt dem Autoren eines
Artikels dadurch zu antworten, indem er eine Replik schreibt, greift er
zum Telefon und redet mit dem Herausgeber der Zeitung, damit dieser den
Autoren zum Schweigen bringt.
Aber der wichtigste Punkt ist:
Bei uns gibt es immer noch keine professionellen Journalisten. Der
Beweis dafür sind die Berichterstattung über den Irak, die bis heute nur
aus vielen Slogans besteht und der fehlende Respekt der Offiziellen
gegenüber der Presse."
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