Islamische und arabische Geschichte Jerusalems:
Eine muslimische Lügenkampagne
Von Nadav Shragai, Ha'aretz, 11.05.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Vor ein paar Jahren ging eine Gruppe von
Archäologiestudenten der Bar-Ilan-Universität ins Jerusalemer
Kidron-Tal in der Hoffnung, aus der Erde, die der Waqf
(muslimisch-religiöse Treuhand) vom Tempelberg abgegraben und ins
Flussbett gekippt hatte, archäologische Überbleibsel zu retten. Ein
Mitarbeiter des Waqf, der die Studenten bemerkte, schrie sie an. Ein
Satz traf sie ganz besonders: "Ihr habt hier nichts zu suchen,
genauso wie auch die Kreuzzügler hier nichts zu suchen hatten.
Jerusalem ist muslimisch."
Damals wurden solche Kommentare als Ausnahmen
betrachtet. Doch alles änderte sich während des Camp-David-Gipfels
im Juni 2000: zu dieser Zeit wurde es ranghohen israelischen Beamten
bewusst, dass die Behauptung, die Juden hätten keine wirkliche
Verbindung mit Jerusalem und den heiligen Stätten, nicht nur in
arabischen und muslimischen Gemeinden verbreitet und verwurzelt war
und diskutiert wurde, sondern auch von der palästinensischen Führung
übernommen worden war.
In der Tat sagt eine neue Studie von Dr. Jitzchak
Reiter, die er für das Jerusalemer Institut für Israelstudien
durchgeführt hat: "In der letzten Generation wurde die islamische
und arabische Geschichte Jerusalems allmählich neu geschrieben.
Kernpunkt dieser neuen Version ist das historische Recht der Araber
auf Jerusalem und Palästina." Das Hauptargument sagt, die Araber
hätten Jerusalem bereits Jahrtausende vor den Kindern Israel
regiert. Muslimische Denker gestalten nicht nur eine neue
arabisch-muslimische Geschichte, sie formulieren auch die Leugnung
und Verneinung der jüdisch-zionistischen Geschichte. In diese
Bemühungen ist auch die Verbannung des Judentums vom Tempelberg, von
der sog. Klagemauer und aus ganz Jerusalem eingeschlossen.
Ganz Palästina ist Al-Aksa
Reiter gehört zum Truman-Institut der Hebräischen
Universität von Jerusalem und ist ein langjähriger Fachmann in
Sachen Neue Geschichte des Nahen Ostens. Er überprüfte eine Sammlung
religiöser Entscheidungen von bedeutenden Muftis der muslimischen
Welt, und er durchforschte einige Internetseiten islamischer
Bewegungen. Er brütete über vielen, weit verbreiteten arabischen
Theoriebüchern, die das Thema Jerusalem behandeln, und er
durchforstete Berichte und Artikel zu diesem Thema, die bis ins Jahr
1967 zurück reichen. Und er sagt: "Neue Mythen, von denen einige
frei erfunden sind und andere auf oberflächlichen Tatsachen beruhen,
verwandeln die Geschichten über Al-Aksa in einen wilden Kampf." Wie
schon Scheich Haj Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem zu
Beginn des 20. Jahrhunderts, und einige andere, benutzen Jassir
Arafat und Scheich Raed Salah die religiösen Symbole von Jerusalem,
um die gesamte muslimische Welt in ihren Kampf einzubeziehen. Und
dies wird auf mehrere Arten getan.
Die Muslime lassen langsam aber sicher den
ursprünglichen Namen für den Tempelberg-Komplex, nämlich "Haram
al-Sharif", fallen. Dieser Name hatte dem Tempelberg-Komplex den
Status als drittheiligste Stätte im Islam gegeben. Stattdessen
kehren sie zum ausschließlichen Gebrauch eines früheren Namens, der
im Koran erscheint, zurück, nämlich zum Namen "Al-Aksa".
"Al-Aksa" bezieht sich jetzt jedoch auf den
gesamten Tempelberg-Komplex, inklusive der sog. Klagemauer, und
nicht nur auf die eigentliche Moschee. Die Tradition, die die drei
Moscheen in Mekka, Medina und Al-Aksa miteinander verknüpft, wird
von den Palästinensern benutzt, um Druck auf die muslimischen
Staaten auszuüben, indem man sagt: "Wenn man Al-Aksa zum Gespött
macht, werden auch die heiligen Stätten in Mekka und Medina zum
Gespött werden, denn es gibt eine Verbindung zwischen diesen
Stätten, die nicht zerstört werden darf." (So die Worte des
palästinensischen Ministers für Waqf-Angelegenheiten, Scheich Yusef
Salameh, im November 2002.)
Zur gleichen Zeit gibt es eine wachsende
Verwendung des Terminus "Al-Aksa" als Symbol und als Name für
unterschiedliche Institutionen und Organisationen, sei es für eine
jordanische Armeezeitschrift, für eine palästinensische
Polizeieinheit, die von der palästinensischen Autonomiebehörde in
Jericho eingerichtet wurde, für die Terrorzelle der Fatah, die als
"Al-Aksa-Märtyrerbrigade" bekannt ist, für Internetseiten der
nördlichen und südlichen Zweige der Islamischen Bewegung und der von
ihnen aufgebauten Organisationen, und natürlich für die gegenwärtige
Intifada und den arabischen Gipfel, der in Folge dieser Intifada
zusammenkam.
Entgegen der allgemein bekannten Geschichte, nach
der die Al-Aksa-Moschee im siebten Jahrhundert n. d. Z. errichtet
wurde, hat in den letzten Jahren eine alte Überlieferung aus den
Anfängen des Islam an Boden gewonnen. Gemäß dieser Überlieferung ist
die Al-Aksa-Moschee 40 Jahre nach dem Bau der Moschee in Mekka von
Adam (dem ersten Menschen) errichtet worden (i. e. angrenzend an die
Schöpfungsgeschichte). Andere Überlieferungen, die in den Büros der
Waqf-Verwaltung in Jerusalem erscheinen, schreiben den Bau der
Moschee Abraham und Salomo zu, wobei Abraham und Salomo als
islamische Persönlichkeiten betrachtet werden, die keinerlei
Verbindung zum Judentum haben. Abed al-Salaam al-Abadi, der frühere
jordanische Minister für Waqf-Angelegenheiten, Scheich Raed Salah
und islamische Internetseiten beziehen sich auf Abraham als Erbauer
der Al-Aksa-Moschee vor 4000 Jahren.
Bevor Mohammed die Kaaba in Mekka als Kabila (der
Ort, in dessen Richtung die Gebete gesprochen werden sollen)
bestimmte, war Jerusalem dem Islam als geheiligter Ort bekannt, in
dessen Richtung gebetet werden sollte. Generell war Jerusalem 16
Monate lang dieser Ort. Jedoch erfährt inzwischen die Ansicht, nach
der Jerusalem diesem Zweck vier Jahre und vier Monate gedient haben
soll, eine Wiederbelebung. Scheich Akram Sabri, der von der
palästinensischen Autonomiebehörde ernannte Mufti von Jerusalem, und
Scheich Yusef Kardawi, der derzeit in Katar lebende, bekannteste
Mufti in der islamischen Welt, sind nur zwei Herolde dieser
Botschaft. Der Vers im Koran, der die Al-Aksa-Moschee erwähnt und
fort fährt: "deren Umgebung wir gesegnet haben", wird inzwischen
ausgedehnt interpretiert. Die Umgebung der Al-Aksa-Moschee ist
ursprünglich nicht näher definiert. Und in der Vergangenheit beließ
man es dabei. Doch nun wird eine Interpretation geliefert, nach der
sich Al-Aksa auf ganz Jerusalem und neuerdings sogar auf ganz
Palästina bezieht.
Mitglieder der saudischen Königsfamilie,
palästinensische Archäologen (wie z. B. Dr. Dimitri Baramki),
Scheich Kardawi, syrische Geistliche und weitere Personen sagen
alle, die Jebusiter seien ein alter arabischer Stamm, der gemeinsam
mit den Kanaanitern etwa 3000 v. d. Z. von der arabischen Halbinsel
kam und deshalb vor den Kindern Israel im Land gewesen sei.
Der "erfundene" Tempel
Das, was den jüdischen Hörern dieser neuen
Geschichte am misstönendsten in den Ohren klingt, ist die Aussage,
dass der erste und zweite Tempel Lügen seien, die die Juden erfunden
hätten. In öffentlichen Diskussionen unter Arabern, fügen die
Teilnehmer regelmäßig das Wort "al-maz’um" hinzu -was soviel wie
"vermutlich" oder "erfunden" heißt-, wenn sie über den jüdischen
Tempel reden. Mufti Sabri vertritt die Meinung, es gäbe keine
Überreste, die die jüdische Behauptung beweisen, nach der an dieser
Stätte ein Tempel gewesen ist.
Der gegenwärtige jordanische Minister für
Waqf-Angelegenheiten, Ahmed Khalil, sagte letztes Jahr, Israel
versuche, sich in Al-Aksa-Angelegenheiten einzumischen und
Ausgrabungen unter der Moschee vorzunehmen, um den erfundenen Tempel
dort zu bauen. Arafat Hajazi, ein Mitglied des südlichen Zweiges der
Islamischen Bewegung, fragt in einem im Jahr 2002 veröffentlichten
Artikel auf der Website der Bewegung, warum die Juden ihren Tempel
nicht während der mehr als 500 Jahre andauernden Periode zwischen
der zweiten Zerstörung durch Titus und der Errichtung der
Al-Aksa-Moschee durch Abed el-Malik gebaut hätten. Und er behauptet,
dass Hunderte von archäologischen Expeditionen Ausgrabungen in der
Umgebung der Al-Aksa-Moschee vorgenommen hätten ohne jedoch die
Reste des Tempels gefunden zu haben.
In einem weiteren Artikel, der kürzlich auf der
Internetseite des nördlichen Zweiges der Islamischen Bewegung
erschien, schreibt der ägyptische Archäologe Abed al-Rahim Rihan
Barakat und Leiter der Ausgrabungsstätte Dahab im Sinai: "Der Mythos
des erfundenen Tempels ist unter den historischen Fälschungen das
größte Verbrechen."
Eine Fatwa auf der Internetseite des Waqf in
Jerusalem sagt, dass David, Salomo und Herodes keinen Tempel bauten,
sondern etwas reparierten, das schon seit der Zeit Adams dort
gewesen sei.
Es gibt eine ähnliche Lügenkampagne hinsichtlich
der sog. Klagemauer. Diese Kampagne hat zwei Aspekte: einer ist die
Bestimmung der Westmauer als geheiligter Ort für die Muslime, weil
Mohammed sein Pferd Al-Buraq an dieser Mauer angebunden habe und
weil sie Teil der Al-Aksa-Moschee sei. Ein anderer Aspekt ist das
Argument, dass die Juden die Westmauer als ihren geheiligten Ort
erfunden und dass sie keine historische Beziehung zu ihm hätten.
Palästinensische und ägyptische geistliche Autoritäten haben Fatwas
zu diesem Thema herausgegeben.
"Al-Aksa ist in Gefahr" ist weiterhin das Motto
von Artikeln, die von islamischen Persönlichkeiten geschrieben
werden, und auch von Massendemonstrationen zu diesem Thema, die
jährlich vom nördlichen Zweig der Islamischen Bewegung in Israel
organisiert werden. "Die abgelegensten muslimischen Gemeinden hören
die Geschichten über den palästinensischen Kampf um diese, ihre
geheiligte Stätte. Und durch die politischen Märchen werden die
revidierten religiösen Überlieferungen auch verinnerlicht", sagt
Reiter. Die Tatsache, dass Israels offizielle Politik –verkörpert in
den Entscheidungen des Obersten Rabbinats, der israelischen
Regierung und des Obersten Gerichtshofes- die Verwaltung des
Tempelberges in den Händen des muslimischen Waqf lässt, wird von der
derzeitigen muslimischen Welt nicht anerkannt. Im Gegenteil. "Die
Aktivitäten extremistischer jüdischer, zum Teil winziger Einheiten,
das Tempelritual (des ersten Tempels) wieder zu beleben, wird von
palästinensischen Quellen als Reflexion offizieller Politik
betrachtet und verbreitet", sagt Reiter.
Reiters Arbeit wurde dem Außenministerium als
Positionspapier übergeben und wurde am vergangenen Montag während
eines Seminars des Jerusalemer Instituts für Israelstudien
diskutiert. Zwei grundsätzliche Schlussfolgerungen wurden aus der
Diskussion gezogen. Die eine besagt, dass Jerusalem heute mehr als
in der Vergangenheit ein pan-muslimisches arabisches Thema ist und
dass deshalb nicht von den Palästinensern allein darüber entschieden
werden kann. Die andere Schlussfolgerung besagt, dass jeder
arabische Offizielle, der danach strebt, ein Abkommen über Jerusalem
und die heiligen Stätten auszuarbeiten, von der islamisch-religiösen
Welt unter Druck gesetzt wird und somit als Unterhändler wenig
Spielraum hat.
hagalil.com
11-05-2004 |