MEMRI Special Dispatch, 7. Mai 2004
Arabische Reaktionen auf Bush's Rede:
Folterungen irakischer Gefangener
Wie der Kolumnist Thomas Friedman, der
vor dem Hintergrund der Folterungen von Irakern im Gefängnis von Abu
Ghraib in der New York Times den Rücktritt von US-Verteidigungsminister
Rumsfeld forderte [1], kritisierten gestern auch arabische Stimmen, dass
US-Präsident Bush sich in seiner Rede an die Araber vor seinen Minister
gestellt hat. Insgesamt blieb die Rede von Bush in der arabischen Presse
jedoch wenig beachtet.
Und wenn, dann vermisste man wie die
libanesische Al-Nahar oder die Londoner Al-Quds al-Arabi in ihrer
Headline eine Entschuldigung des Präsidenten. Dass Bush diese kurz
darauf gegenüber dem jordanischen König doch noch geäußert hat,
notierten heute dann unter anderem die jordanische Al-Dustour sowie
Al-Quds al-Arabi und Al-Hayat. Einhellig betonten die Kommentatoren den
Widerspruch zwischen den Folterungen und dem amerikanischen Vorhaben,
Demokratie und Menschenrechte in die Region zu bringen. Viele nutzten
überdies die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit den USA und
Israel. Es folgt eine kurze Zusammenstellung von Kommentaren aus
arabisch-nationalistischen Tageszeitungen vom 6.Mai 2004:
"Bush-Regierung ignorierte die Fakten über
abscheuliche Folterungen" überschrieb die national-liberale ägyptische
Tageszeitung Al-Wafd einen Beitrag über die Bush-Rede. "Wütend
protestieren die Ägypter gegen die amerikanischen Verbrechen" titelte
das Blatt der gleichnamigen Oppositionspartei weiter. Und: "Die
Verletzung der Würde der Iraker ist ein Schandfleck auf der Stirn der
Araber". "Die Ägypter", so Al-Wafd im Text, "erleben die Verletzung der
Ehre der Iraker als Schmach für jeden Araber. Die Ägypter verurteilen
die falschen Parolen, die die amerikanische Administration im Munde
führt, wenn sie behauptet, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in
der arabischen Welt zu verbreiten. […] So weit ist es jetzt gekommen,
dass der auf sein Arabertum bedachte ägyptische Bürger zum Messer greift
und beginnt, die Bilder der amerikanischen Soldaten zu zerschneiden, die
Iraker gefoltert haben. […] Die Ägypter fragen sich: Wo sind denn die
Menschenrechte, von denen die Amerikaner behaupten, dass sie gekommen
sind, um sie unter den Arabern zu verbreiten?" [2] Einen Tag später
titelte Al-Wafd: "1000 neue Bilder von Folterungen an Irakern: Gefangene
zur Homosexualität gezwungen und nackt an Hundeleinen gezogen" und
schlussfolgerte: "Das arabische Volk fordert die Amerikaner auf, den
Irak zu verlassen und den nazistischen Scharon daran zu hindern, seine
grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit fortzusetzen" [3]
Die jordanische Tageszeitung Al-Dustour
nahm die Distanzierungen von George W. Bush und Tony Blair lediglich zum
Anlass, in mehreren Kommentaren darauf hinzuweisen, dass die Folterungen
nur "die Spitze des Eisberges" seien und zum "Wesen der Kolonisatoren"
gehörten. Dies hätte doch schon der Krieg und die Lügen, mit denen er
begründet worden sei, demonstriert, schreibt etwa Nawaf Abu Hija'i und
erinnert im weiteren an die "Millionen von Großbritannien im 20.
Jahrhundert kaltblütig Getöteten in Indien, Pakistan, Afrika und bei uns
im Irak, Palästina, der arabischen Halbinsel, Ägypten und dem Sudan." Es
seien nur die Spielregeln der Machtpolitik, die die Verantwortlichen in
den USA und Großbritannien jetzt zu Reaktionen auf die Folterungen
zwingen würden. Der Kommentar schließt mit dem Appell zum Kampf: "Vor
unseren Augen sind Falluja und Jenin; und vor uns liegen Kerbela, Najaf,
Mossul ebenso wie Gaza, Hebron und Ramallah, Tulkarem und Nablus."
In der gleichen Zeitung demonstrieren
Hilmi Al-Asmar und Nawaf Al-Zarwa in zwei Kommentaren ihr Erstaunen
darüber, dass die amerikanischen und britischen Verantwortlichen ihre
Unwissenheit beteuert hätten. Schließlich gehörten doch solche und
andere Verbrechen zum Alltag unter der Besatzung und würden systematisch
durchgeführt. "Und jetzt kommen der amerikanische Präsident Bush und
Blair daher und erklären ihre Abscheu vor den Folterungen und verlangen
Aufklärung […]?!" Verwunderlich an der ganzen Sache, so Al-Zarwa, sei
doch nur das Ausmaß des Aufruhrs in den Medien und die arabischen und
internationalen Reaktionen, die sich jetzt überrascht und geschockt
zeigen würden. "Die amerikanischen Verbrechen an der Würde der
irakischen Gefangenen […] sind ein Teil ihrer Verbrechen an unserer
arabischen und islamischen Nation" schließt Al-Asmar seinen Kommentar.
"Die einzige akzeptable Entschuldigung […] wäre, dass sie sich aus
unserem Land zurückziehen […] und darauf verzichten, das Zentrum des
Bösen und den Terroristen in der Region und der ganzen Welt zu
verwöhnen: Israel." [4]
Direkt auf die Rede von US-Präsident Bush
ging nur Abd Al-Bari Atwan in seinem Editorial für die in London
erscheinende Tageszeitung Al-Quds al-Arabi ein:
"Bushs unmögliche Mission"
"Wir glauben nicht, dass ein einziger
Araber dem amerikanischen Präsidenten George Bush glauben wird, wenn der
erklärt, dass die Folterungen, Demütigungen und Vergewaltigungen, die
seine Soldaten in den Gefängnissen des Irak begangen haben, nicht die
USA repräsentieren, sondern die Taten von Einzelnen sind. Schließlich
hat Präsident Bush schon mehr als einmal gelogen – etwa als er die ganze
Welt über die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen betrog, oder
dass er den neuen Irak im Bewusstsein für Demokratie und die Achtung der
Menschenrechte gestalten würde […]. Dabei war er der erste, der die
Menschenrechte gebrochen hat.
Die Folter der Gefangenen und die
Verletzung ihrer Würde wie wir es in Ton und Bild im Fernsehen gesehen
haben, ist nur ein kleiner Teil der größeren Folter – und zwar der
Besatzung des Iraks und des Ausbreitens von Chaos […]. Die Folterungen
sind eben nicht die Tat einer kleinen Gruppe amerikanischer Soldaten,
sondern das Resultat einer offiziellen amerikanischen Kultur, die auf
der Beleidigung und Demütigung der Muslime beruht. Der Soldat soll ein
Muster sein für Disziplin und Gesetzestreue […] - Taten wie diese wagt
er nur, wenn er von seinen Vorgesetzten klare Anweisungen bekommt. […]
Wie lässt es sich erklären, wenn Körper nackt zu einer Pyramide
angehäuft und Erinnerungsfotos geschossen werden? Die einzige Erklärung
dafür ist, dass es eine allgemeine Politik gibt, die solche Exzesse
befördert und unterstützt.
[…] In den Staaten des Westens treten
Minister zurück […] wenn sie ein uneheliches Verhältnis mit einer
Sekretärin oder irgendeiner anderen Frau haben. Wir haben von
Ministerentlassungen auf Grund von Nichtigkeiten gehört und gelesen.
Jetzt aber haben wir den amerikanischen Präsidenten George Bush gesehen,
der seinen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verteidigt und ihm sein
Vertrauen ausspricht, obwohl dieser direkt für die schändlichen
Folterungen verantwortlich ist. Die einzige Erklärung dafür ist, dass
die Demokratie ihren Lauf nur dann nimmt, wenn die westlichen Völker
betroffen sind. Sind aber Araber und Muslime und Völker der Dritten Welt
die Opfer, dann werden die Normen von Demokratie und Moral beiseite
gelegt!
Die gegenwärtige amerikanische Regierung ist bei den meisten Arabern und
Muslimen wegen ihrer […] kurzsichtigen Politik verhasst – eine Politk,
die jede Brücke des Dialogs und der Zusammenarbeit abgebrochen hat und
den Extremisten sowie den radikalen, an Waffengewalt glaubenden Gruppen
dient und so die Beziehungen zwischen den Muslimen und dem Westen
vergiftet hat.
Eine Entschuldigung von Präsident Bush für
die Folterungen wird nicht reichen […]. Gefordert wäre vielmehr eine
Entschuldigung für die katastrophale terroristische Politik, die die
islamische Welt zerstört hat und zum Chaos in drei islamischen Staaten
geführt hat: Palästina, Afghanistan und Irak. Auf einer internationalen
Pressekonferenz müsste er eine Revision seiner ganzen Außenpolitik in
der arabischen und islamischen Welt verkünden: zunächst, dass die
Invasion des Irak ein katastrophaler Fehler war und die Besatzung des
Landes unrecht und unmoralisch ist […], weil die
Massenvernichtungswaffen eine große Lügengeschichte waren, in die ihn
die zionistischen Neokonservativen und ihre Verbündeten aus der
irakischen [Exil-]Opposition verwickelt haben. […] Außerdem müsste er
seine uneingeschränkte Unterstützung von Ariel Scharon und dessen ganzer
terroristischer Politik zurücknehmen und die palästinensische Frage den
Vereinten Nationen übergeben. […]
Wir wissen natürlich sehr gut, dass
Präsident Bush [all dies nicht tun wird]. Und deshalb wird auch seine
Rede auf 'Al-Arabiya' an die Araber unsere und die Überzeugung von zig
Millionen anderer nicht ändern, dass er ein verlogener Präsident ist,
der keinerlei Zuneigung für die Araber und Muslime empfindet und es
genießt sie zu erniedrigen und den Terror ihres Feindes gegen sie zu
unterstützen. […]" [5]
Die heutige Ausgabe von Al-Quds al-Arabi
fügt an, dass sich Bush nicht nur bei - wie es heißt - "den Arabern und
Muslimen" entschuldigen müsse, sondern auch bei den Amerikanern selbst.
Diese sollten es nicht akzeptieren, von einer Regierung wie dieser
repräsentiert zu werden, die das internationale Recht breche und die
Würde der Menschen verletze. [6]
(1) Friedmans Beitrag erschien auch in der
Ausgabe der Al-Sharq al-Awsat vom 7.5.2004.
(2) Al-Wafd, 6.5.2004
(3) Al-Wafd, 7.5.2004
(4) Al-Dustour, 6.5.2004
(5) Al-Quds al-Arabi, 6.5.2004
(6) Al-Quds al-Arabi, 7.5.2004
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