MEMRI Special Dispatch – 4.
Februar 2004
Untergang der 'arabischen
Welt':
Die arabische Einheit ist nicht die Einheit der Regierungen
Kaum ein Thema prägte in den vergangenen Wochen und Monaten die
Kommentare der arabischen Presse so wie die "arabische Einheit". Der
schnelle Fall des irakischen Regimes und die Hilflosigkeit der
arabischen Nachbarstaaten, die sich seitdem auch noch zunehmendem Druck
aus den USA ausgesetzt sehen, haben das Bild von der "arabischen
Einheit" als politischem Faktor in der Region nachhaltig desavouiert.
Als Ursache der Schwäche machen viele die Unfähigkeit und die fehlende
Legitimation der Regime in der Region aus. Zu ihrer Überwindung werden
mal Forderungen nach Demokratisierung und mal nationalistische Töne
hervorgehoben, die den einzelnen Regierungen die "arabische Straße"
gegenüberstellen. Letzteres gilt auch für den folgenden Kommentar, den
Abd Al-Wahab Badrachan am 29.12. vergangenen Jahres für die in London
herausgegebene Zeitung Al-Hayat schrieb:
Die Verkündung vom Untergang
der 'arabischen Welt'
'Israel wird untergehen' ... Das ist die Parole, die palästinensische und
arabische politische Kräfte erhoben haben und mit der sie uns immer mal
wieder in den Ohren liegen. 'Die arabische Welt gibt es nicht mehr'...
Zu diesem entgegengesetzten Resumee gelangte der israelische
Generalstabschef Mosche Ya'alon im Gespräch mit einer hebräischen
Zeitung. Der Unterschied zwischen den beiden Parolen besteht darin, dass
die eine theoretisch bleibt, während die andere zu einer fühlbaren
Realität geworden ist.
Nun ist Ya'alon […] Teil des israelischen militärischen Apparates […].
Aber in seiner Beschreibung der arabischen Welt heute spiegeln sich
reale Entwicklungen wider, deren wichtigste wohl darin besteht, dass die
USA mit der Besetzung des Irak eine neue Situation in der Region
geschaffen haben. Das zeigt sich in der erzwungenen Unterwerfung des
Iran und Lybiens unter internationale Waffeninspektionen ebenso wie in
der Verwirrung in Syrien […], dem Durcheinander in der PA und jenen
Veränderungen, die sich in einer Reihe von Ländern zwischen persischem
Golf und dem Atlantik beobachten lassen.
Dass diese Beschreibung von einem israelischen Militär kommt, heißt nicht,
dass sie falsch ist. Der Fehler besteht vielmehr darin, dass die Araber
nicht sehen wollen, wie es um sie steht und weiterhin so tun als ob die
Geschehnisse nichts am so genannten 'arabischen System' verändert
hätten. Ya'alon hat nichts gesagt, was wir nicht wissen oder tagtäglich
erleben würden. Vielmehr hat er auf seine Weise zum Ausdruck gebracht,
wovor auch viele Araber warnen: Er hat gesagt, dass 'es nicht so etwas
wie ein arabisches Bündnis, sondern nur einzelne Akteure mit
spezifischen Interessen gibt; und wer seinen Interessen dienen will,
heute den USA Folge leistet.'
Was er aber nicht gesagt hat und der Vollständigkeit halber hinzuzufügen
wäre, ist, dass die USA ihre Interessen verfolgen indem sie auf Israel
hören. Und Ya'alon hat auch nicht erwähnt, dass Israel selbst in einer
tiefen Krise steckt – eine Krise, die nicht unbedingt zu seinem in dem
erwähnten Slogan angesprochenen Untergang führen wird, die aber schon
jetzt jenes Selbstbild zerstört hat, das Israel in den vergangenen
Jahrzehnten von sich entwickelt hat.
Abgesehen von der Bestandsaufnahme, die dieser israelische Militär
geliefert hat, ist es sinnvoll, daran zu erinnern, dass die Zerstörung
der 'arabischen Einheit' und der Träume von ihr schon immer zu den
wichtigsten strategischen Zielen Amerikas in der Region zählte. Und mit
der 'Einheit' ging es gleichzeitig auch um die Zerstörung des
[arabischen] 'Nationalismus' als Idee und als Bündnissystem. Dabei hat
den USA das Scheitern aller Ambitionen der nationalistischen Regime
geholfen – sei es, was deren Beziehungen untereinander betrifft oder die
Beziehung zu ihren jeweiligen Völkern. Der Friedensschluss zwischen
Ägypten und Israel war dann der erste Schritt auf dem Weg zum Untergang
des 'arabischen Systems'. Er leitete eine Phase der 'Einzelinteressen'
[der arabischen Staaten] ein. Ihm folgte der irakisch-iranische Krieg,
der die arabische Staatenwelt spaltete. […] Der irakische Überfall auf
Kuwait vertiefte diesen Riss noch und eröffnete den amerikanischen
Kräften die Möglichkeit zur Intervention. Damit begann die Phase der
'arabischen Welten', die in einer neuen Besetzung mündete. Hinzu kam
natürlich das folgenschwere 'Geschenk' in Form der Angriffe vom 11.9.,
das die 'arabische Welt' (die zu 'Welten' und untereinander
zersplitterten Staaten geworden war) auf die Anklagebank brachte.
Es war Israel, das hauptsächlich die Strategie zur Zerstörung einer
'Einheit' prägte, die in Wirklichkeit gar nicht existiert und die –
abgesehen von der Rolle Amerikas – vor allem aus hausgemachten,
arabischen Gründen nicht verwirklicht werden kann. Deshalb war auch
allein Israel in der Lage, Nutzen aus den amerikanischen Siegen zu
ziehen. Und obwohl sich die Verwirklichung der [arabischen] 'Einheit'
als unmöglich erwiesen hat, beharrt Israel darauf, erst dann nach einem
dauerhaften Frieden mit den Palästinensern suchen zu können, wenn die
'arabische Allianz' aufgelöst und die 'arabische Welt' zerstückelt ist.
Aber die palästinensische Sache ist und bleibt das Rückrat dessen, was von
der 'arabischen Allianz' übrig geblieben ist. Und so verbirgt sich
hinter dem verbissenen amerikanisch-israelischen Wunsch, die
palästinensische Sache aus der Welt zu schaffen, letztlich auch der
Wunsch nach Zerstörung und Vernichtung dieser 'Allianz'. Aber hier
handelt es sich um eine 'Allianz', die sich Regierungen ausgedacht
haben, sondern um eine, die vor dem Hintergrund der verbrecherischen
Politik [Israels], der Besatzung [palästinensischer Gebiete] und des
israelischen Terrors erwachsen ist. Die von Scharon vorgeschlagenen
Lösungen werden daher auch nicht zur Auflösung der 'Allianz' beitragen,
weil sie sich über die internationale und die arabische öffentliche
Meinung hinweg setzen […].
Das Problem der USA und Israels besteht weniger darin, dass beide glauben,
die arabische Welt mit ein paar Betrügereien und Lügengeschichten
verändern zu können – ihr Problem besteht vielmehr darin, dass sie
meinen, die arabische 'Allianz' sei das, was die arabischen Regierungen
repräsentieren, sie also ihren Untergang verkünden könnten solange diese
Regierungen unter ihrem Druck stehen. Tatsächlich existiert die
'arabische Allianz' aber in der Seele, den Gefühlen und den
Zukunftshoffnungen der arabischen Völker. Gleich ob Israel nun existiert
oder nicht – die Feier über den Untergang der 'arabischen Welt' ist
nichts als die Verkündung vom Fall einer faulen Frucht, die die Völker
schon lange abgeschrieben haben."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
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