Die arabischsprachige Tageszeitung al-Hayat berichtete kürzlich über
die Initiative einer Gruppe arabischer Israelis, die Gedenkstätte des
Konzentrationslager Auschwitz mit einer Delegation zu besuchen. Der
geplante Besuch löste sowohl in der jüdischen als auch in der arabischen
Öffentlichkeit Israels zahlreiche Reaktionen aus. Der Bericht erschien
am 11. Februar 2003 unter dem Titel 'Initiative einer Delegation
arabischer Israelis zum Besuch von Auschwitz: Rollenkomplex oder ein
Versuch, den Juden zu schmeicheln?':
"Die Initiative einer Gruppe palästinensischer Persönlichkeiten aus
Israel, einen Besuch einer arabischen Delegation im
nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz in Polen zu
organisieren, löste Kritik in zahlreichen Kreisen israelischer
Palästinenser aus. Die Initiative, die versucht, 'den Schmerz des
Anderen von Nahem kennen zu lernen', wurde als Anbiederung gegenüber den
Juden und deren Staat empfunden, was zur Legitimation der israelischen
Maßnahmen gegen die palästinensische Bevölkerung beitragen könnte, 'als
ob die Juden heute auf der Grundlage ihrer historischen Erfahrung
handelten'.
Etwa hundert arabische Persönlichkeiten veröffentlichten in der
vergangenen Woche ein Gründungsdokument unter dem Titel 'Für den Frieden
erinnern wir der Leiden'. In dem Dokument heißt es, ausgehend von einer
humanistischen Verantwortung und von dem Glauben, dass die herrschende
Atmosphäre in den Beziehungen zwischen den Juden und den arabischen
Israelis zu verändern ist, 'treten wir mit einem humanistischen Projekt
an die Öffentlichkeit, um das Leid der anderen Seite zu erfahren. Die
beiden Völker können den blutigen Weg nur verlassen, wenn sie das Leid
des Anderen kennen und ergründen, das Leid und die Ängste, die sie in
die Konfrontation und in den Krieg treiben.'
In dem Dokument heißt es weiter: 'Ausgehend von unserem Verständnis
dieses Grundgedankens haben wir uns entschlossen, tief in der Geschichte
zu graben, in die jüdische Vergangenheit einzutauchen. Wir wollen mehr
über die Schmerzen, die Schwierigkeiten, die Herausforderungen und
Zerstörungen erfahren, sie kennen lernen. (...) Wir wollen uns in sie
hineinversetzen, unsere Solidarität mit den Juden mit all unseren
Kräften kundtun.'
Die Namensliste der Unterzeichner umfasst eine Reihe von Günstlingen
jenes Spektrums, das zur Koexistenz der beiden Völker aufruft. Diese
Gruppe scheint besorgt angesichts der Zerrüttung der Beziehungen
[zwischen Arabern und Juden] im Anschluss an den Solidaritätssturm der
palästinensischen Israelis für die Intifada im Jahr 2000, der von den
israelischen Sicherheitskräften niedergeschlagen wurde. 31 [13]
palästinensische Jugendliche wurden dabei getötet.
Unter den Unterzeichnern sind ehemalige Führer der israelischen
kommunistischen Partei sowie Kirchenmänner aller drei Konfessionen,
insbesondere Archimandrite Emil Shufani, Kandidat für das Erzbischofsamt
in Galiläa, Sheikh Abdallah Nimr Darwish, Gründer der Islamischen
Bewegung, und Prof. Fadil Mansur.
Archimandrite Shufani, [.] erklärte: 'Der Dialog zwischen den zwei
Völkern dieses Landes und der Ausgleich [zwischen ihnen] werden ohne
tiefes Verständnis für die Frage des Holocaust nicht gelingen, wenn wir
das Leid, die Erinnerung und deren Sprache nicht verstehen. (...) Dies
sind die Voraussetzungen [für einen Ausgleich].'
Die Initiatoren erklärten, dass Persönlichkeiten aus der jüdischen und
islamischen Gemeinde in Frankreich eine ähnliche Delegation vorbereiten,
die das Lager zeitgleich mit der arabischen Delegation aus Israel im Mai
besuchen soll. Auch der Delegation aus Israel werden einige Juden
angehören.
Unterstützung von Amr Mussa
Der Journalist Nasir Magally erklärte, er habe sich kürzlich in Kairo
mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, getroffen. Mussa
betrachte die Initiative als gut und positiv und versprach, die
Initiatoren öffentlich zu unterstützen, falls sie von Leuten, die die
Initiative ablehnen, angegriffen würden. Obwohl die Kritiker der
Initiative unter den arabischen Israelis vorziehen, das Thema öffentlich
nicht zu diskutieren, erhoben sich doch Stimmen, die die Initiatoren des
Projektes und dessen Zeitpunkt kritisierten. Die Zurückhaltung, das
Thema öffentlich zu diskutieren, geht auf die Empfindlichkeiten zurück,
die in der israelischen Öffentlichkeit durch Aussagen über den
Holocaust, einer 'heiligen Kuh' im israelischen Diskurs, hervorgerufen
werden könnten.
Instrumente israelischer Propaganda
Der Geschichtsprofessor Tamim Mansur sagt, momentan stelle eine Fahrt
in das Lager Auschwitz eine Bestätigung der israelischen Propaganda dar.
Er denke, 'die Juden nutzen den Holocaust aus und verwenden ihn als rein
politisches Thema. In seinem Namen begingen sie zahlreiche
Scheußlichkeiten. Hier gründeten sie wegen des Holocaust auf Kosten des
palästinensischen Volkes einen Staat. Ich sehe daher keine
Notwendigkeit, mich in sie hinein zu versetzen.'
In einem Gespräch mit Haaretz fuhr er fort, 'der Zeitpunkt ist momentan
schlecht, denn [auch] die Juden erkennen die Peinigungen des
palästinensischen Volkes nicht an. Die Repressionen und die Besatzung
werden von Tag zu Tag schärfer. Ich erinnere mich an keinen Führer der
Juden aus der Linken oder Rechten, der Sabra und Shatila oder eines der
palästinensischen Massengräber besucht hätte. Es gibt genug Führer der
Welt, die ihr Mitleid mit dem jüdischen Volk angesichts des Holocaust
ausdrücken.'
Dr. Azmi Bishara erklärte gegenüber der Zeitung, Israel habe Mitgefühl
in ein Instrument verwandelt: 'Es gibt zwei große Verbrechen im
Zusammenhang mit dem Holocaust: Das erste ist seine Leugnung, das zweite
ist die Ausbeutung [des Holocaust]. Beide haben etwas von einer
Leugnung, denn wenn man den Holocaust mit allem anderen vergleicht, dann
minimiert man ihn letztlich.'
Bishara fuhr fort, er befürchte, hinter der Initiative zum Besuch des
Lagers stehe der Versuch der Besucher zu zeigen, dass sie 'gut' sind, so
als ob ein solcher Besuch die Herzen öffne: 'Wenn sie sehen, dass wir
uns für sie interessieren sind, werden sie sich auch für uns
interessieren.'
'Der Rollenkomplex'
Der Autor und Kritiker Antun Shalhat betrachtet die Initiative als
Ausdruck 'einer neu aufkommenden Mode unter den Arabern in Israel, als
Ausdruck eines psychischen Komplexes, der Suche nach einer Rolle.' Er
weist darauf hin, dass viele der Vertreter der Initiative für sich
keinen Platz in den Parteien oder auf anderen kulturellen Bühnen
gefunden hätten. Daher suchen sie nach Rollen und Wegen.
Im Gespräch, das die Internetseite 'al Mashad' veröffentlichte, fährt
er fort, die momentane Thematisierung des Holocaust würde bedeuten, 'auf
der Bühne der Anderen mit deren Mitteln zu spielen, ohne dass man selbst
Einfluss nehmen könnte. Zudem bestärkt dies die [von Israel behauptete]
Legitimation der Gründung Israels aus dem Geschehen in Europa.' Er
ergänzt, dass die Behandlung des Holocaust im historischen Kontext ohne
die Verbindung zur Gründung des hebräischen Staates geschehen müsse.
Diese zionistische Verbindung vermenge moralische, politische und
historische Aspekte.
Shalhat fügt hinzu, dass die Palästinenser das Existenzrecht Israels
als Entschädigung für das, was ihnen [den Juden] geschehen ist, nicht
bestreiten. Es sei aber nun an der Zeit, dass die stärkere Seite, die
jüdische, die Nakba [die Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948]
als palästinensische Katastrophe anerkenne und die damit verbundenen
Ansprüche [der Palästinenser] einlöse.
Kritik von der israelischen Linken
Es scheint, als beschränkten sich die Kritiker der Initiative nicht auf
die oben erwähnten Personen. Professor Amnon Rubinstein, herausragende
Persönlichkeit der zionistischen Linken, beeilte sich, den Besuch
herunterzuspielen. Er erklärte, es sei nicht nötig, nach Auschwitz zu
fahren, um die Wurzeln der jüdischen Angst zu verstehen. 'Es reicht,
nach Bagdad, Teheran oder selbst nach Gaza zu schauen, um von den
Führern der Hamas zu hören, dass sie die Vernichtung des Staates Israel
wollen.'
Eine nationale, arabische Tat
Magally weist die Vorwürfe zurück. Er betrachtet die Initiative nicht
als Schmeichelei, sondern als 'vorrangig nationale, arabische Tat. Ihr
Ziel ist es, unseren Humanismus zu bestärken.' Er fügt hinzu, 'wir leben
in der Hölle und wünschen uns, ein wenig frische Luft atmen zu können,
damit wir selbst reiner werden. Ich gehe, um mich selbst und mein Volk
von dem Hass zu reinigen, der heute vorhanden ist.'"