hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

Arabischer und islamistischer Antisemitismus:
Entstehungsgeschichte und aktuelle Bedrohung

Von Thomas von der Osten-Sacken

"Die Sprache des Islamismus ist klar und deutlich genozidal. Eine Wiederholung des Massenmordes an den Juden wird angestrebt, das ist schwarz auf weiß nachzulesen. (…) Die Schoa ist nicht Geschichte, sondern Gegenwart. Sie ist Gegenwart für die Juden, die durch den heutigen Islamismus wieder bedroht sind."
Jehuda Bauer

"In der Kampfarena mit dem Weltzionismus betrachtet sich die Hamas als Speerspitze und Avantgarde. Sie verbindet ihre Anstrengungen mit all denen, die auf dem Schauplatz Palästina aktiv sind. Es müssen jedoch noch mehr Schritte von den arabischen und islamischen Völkern und den islamischen Vereinigungen überall in der arabischen und islamischen Welt unternommen werden, um die nächste Runde im Kampf gegen die Juden, die Händler des Krieges, möglich zu machen."
Artikel 32 der "Verfassung der Hamas"

Spätestens nach Ausbruch der sog. Al Aqsa Intifada in Israel und den Massakern vom 11. September dürfte klar geworden sein, dass es sich bei dem sogenannten arabischen oder islamischen Antisemitismus nicht etwa um ein unschönes aber vernachlässigenswertes Phänomen handelt, sondern um eine hochgradig gefährliche Ideologie, deren zentrales Anliegen – die Vernichtung Israels, der USA und der Juden insgesamt – zunehmend brutaler in die Realität umgesetzt wird. Aufrufe aus Moscheen in Gaza alle "Juden zu töten, wo immer Ihr sie trefft" oder Ossama bin Laden, der den "Juden und Kreuzfahrer" den Krieg erklärt hat, stellen dabei nur die Spitze eines Eisberges dar, dessen anderes Extrem sich in Saddam Husseins Ba’thstaat verkörpert, der fast täglich androht das "zionistische Krebsgeschwür" aus dem Nahen Osten herausoperieren zu wollen und seit über dreißig Jahren eine aggressiv antisemitische Weltanschauung gewaltsam in Realität umsetzt.

Obwohl es ansonsten zwischen Islamisten und den eher säkularen Panarabisten gravierende Differenzen gibt, nähern sie sich, was den eliminatorischen Hass auf die Juden anbelangt, zunehmend an; eine Entwicklung, die sich auch darin manifestiert, dass etwa in Palästina "nationale und islamische" Intifadakomitees gebildet wurden, in denen die ehemals verfeindeten Gruppierungen eng zusammenarbeiten und gemeinsam "Suicide bombings" gegen israelische Zivilisten organisieren. Diese Komitees selbst sind selbst wiederum nur Symptom einer grundsätzlichen Problematik, die in dieser sogenannten Al-Aqsa Intifada offen zu Tage getreten ist: Dass es nämlich weder den Islamisten noch den Panarabisten vorrangig – im Sinne eines "nationalen Befreiungskampfes" – um die Errichtung eines palästinensischen Staates geht, sondern um die Vernichtung Israels und damit um einen Kampf gegen ein Übel mit welthistorischen Ausmaßen.

Lange Zeit wurde dieser Entwicklung keine größere Bedeutung beigemessen – überhaupt spielt die Auseinandersetzung mit einem immer bedrohlicher werdenden weltweiten Antisemitismus, dessen momentanes Zentrum der britische Wissenschaftler Bernhard Lewis zu Recht im Nahen Osten identifiziert, erst wieder eine zentrale Rolle seit der UN-Konferenz von Durban und den antisemitischen Ausschreitungen und Äußerungen in Europa in den vergangenen Monaten. Der arabisch-islamische Antisemitismus im Nahen Osten wurde vor allem in Europa jahrelang sogar verniedlicht und beschönigt als etwas missratener, aber nicht weiter gefährlicher Ausdruck des arabischen "Befreiungskampfes" gegen die israelische Okkupation.

In einem durchaus für unzählige arabische Medien repräsentativen Statement erklärte beispielsweise die Zeitung der Palästinensischen Autonomiebehörde Al Hayat al Jedida mitten in den Friedenszeiten, die dem Oslo Abkommen folgten, 1997: "Das Schicksal des palästinensischen Volkes ist es, gegen die Juden im Auftrag des arabischen Volkes, der islamischen Völker und der Völker der ganzen Welt zu kämpfen."

Derartige Äußerungen können inzwischen fast als die Regel bezeichnet werden, sie sind Teil der offiziellen staatlichen Propaganda, und finden Niederschlag in den arabischen Schulcurriculae. In einem, von der EU finanzierten Schulbuch in den Palästinensergebieten etwa heißt es: "Es gibt keine Alternative zur Zerstörung Israels. (...) Vielleicht hat Allah die Juden in unser Land gebracht, um sie auszulöschen, wie es bei ihrem Krieg gegen Rom geschah."

Schon Mitte der 70er Jahre warnte deshalb der israelische Wissenschaftler Yehoshofat Harkabi "Nirgendwo ist seit dem Untergang Nazideutschlands so viel antisemitische Literatur veröffentlicht worden wie in der arabischen Welt. Das eigentlich beunruhigende an dieser Tatsache ist aber, daß dieses Schrifttum von offiziösen oder staatlichen Verlagen herausgebracht wurde - nicht von Randgruppen der arabischen Gesellschaft, sondern von Kräften aus ihrer Mitte."

Die Protokolle der Weisen von Zion beispielsweise werden im Iran und Saudi Arabien staatlicherseits vertrieben und "Mein Kampf" führte jahrelang die Bestsellerlisten im Libanon und den Palästinensergebieten an.

Der Antisemitismusforscher Robert Wistrich attestiert inzwischen dem arabisch-islamischen Antisemitismus ein "geschlossenes genozidales Wahngebilde" zu sein, das sich in einem bislang unbekannten Maße in den "politischen Körper des Islam" eingefressen habe. "Antisemitische Verschwörungstheorien", schreibt er in einer kürzlich veröffentlichten Studie "bilden das Herzstück der muslimisch-fundamentalistischen und arabisch-nationalistischen Weltanschauung, die plutokratische Finanziers, das internationale Freimaurertum, Säkularismus, Zionismus und Kommunismus als dunkle, okkulte Kräfte bezeichnet, die von der Krake des Weltjudentums angeführt werden und deren erklärtes Ziel es ist, den Islam und die kulturelle Identität der Gläubigen zu zerstören."

Dies bezieht sich nicht nur auf den Nahen Osten und die islamische Welt, auf Sunna und Schi’a ebenso wie auf arabische Christen (viele antisemitische Äußerungen stammen von Nichtmuslimen), sondern auch auf Europa, wo dschihadistische Organisationen wie etwa die in Deutschland ansässige legale "Gottespartei" Hizb al-Tahrir offen zum Mord an Juden aufrufen kann und ihnen dafür, was kürzlich in Berlin zu einem kleinen Skandal führte, die Technische Universität noch Räume zur Verfügung stellt. Es ist kein Zufall und durchaus paradigmatisch, dass auch der Neonazi Horst Mahler an dieser Veranstaltung teilnahm, hat sich doch insbesondere nach dem 11. 9 die organisatorische Zusammenarbeit zwischen Neonazis und Islamisten weltweit verstärkt, weil man das gleiche Ziel verfolgt. So liest man in neonazistischen Publikation auch vermehrt Sätze wie diesen: "Die Befreiung unseres Kontinents (von den USA und den Juden Anm. d. Verf.) geschieht heute durch die Allianz mit der islamischen Welt."

Es handelt sich also keineswegs, lassen Sie mich das noch einmal betonen, um irgendwelche Randgruppen, sondern um Äußerungen sozusagen aus der Mitte der islamischen Gesellschaften und das bedeutet in den diktatorisch verfassten Regimes des arabischen Nahen Ostens immer, dass sie auch staatlich gewollt oder doch zumindest geduldet werden. So kommt es, dass Staatschefs ebenso wie die höchsten Kleriker zum Massenmord an den Juden aufrufen, die sie wahlweise als Abkömmlinge von Affen, die wahren Nazis, oder als Inkarnationen des Bösen und die heimlichen Herrscher der Welt titulieren. Nirgends sonst auf der Welt gibt es regierungsamtliche Zeitungen, die regelmäßig entweder den Holocaust leugnen oder gar gutheißen. Der Unterschied zwischen Äußerungen bin Ladens und saudischer Prinzen ist dabei ebenso minimal, wie die zwischen Saddam Hussein und dem syrischen Staatspräsidenten. Auffällig ist zudem, dass es leider bislang so gut wie keine öffentliche Kritik oder Distanzierung in der arabischen Welt gibt, die wenigen Intellektuellen, die etwa dezidiert Selbstmordattentate oder die permanente Leugnung des Holocaust verurteilen, sind nicht nur in der absoluten Minderheit, sondern werden ihrerseits als "Agenten" des Feindes angegriffen.

Antisemitismus und Antizionismus

Diese Entwicklung, die in Europa, wie der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks kürzlich bemerkte, wo nicht auf Verständnis, so zumindest auf keine namhafte Gegenwehr stößt, zwingt auch Geschichte neu zu betrachten. In den meisten Abhandlungen über den Nahostkonflikt spielt bislang erstaunlicherweise Antisemitismus bestenfalls nur am Rande eine Rolle, oft wird er sogar legitimiert als "Antizionismus", der ja angesichts der israelischen Politik nur gerechtfertigt sei.

Der historische Kontext des arabischen-islamischem Antisemitismus aber ist von ganz praktischer Bedeutung, gibt es doch im Nahen Osten den Staat Israel, der sich als jüdisches Staatswesen definiert. Es muss also keineswegs Ausdruck antisemitischer Gesinnung sein, wenn man explizit den Zionismus kritisiert oder den Staat Israel in seiner jetzigen Form ablehnt. Dezidiert antizionistische Organisationen wie die arabisch-israelische Hadash verweigern sich vorbildlich der Übernahme antisemitischer Stereotype und auch andere Palästinenser beharrten auf einer rigiden Trennung zwischen "Juden" und "Zionisten", wobei zunehmend fraglich wird, ob diese Trennung eingehalten wird. Das wiederum heißt nicht, alle Araber seien Antisemiten, oder Kritik an Israel sei per se antisemitisch. Die Fülle antisemitischer Äußerungen und Taten aber, die vor allem in den vergangenen Jahren extrem zugenommen haben, zwingen dazu, sich vom Mythos zu verabschieden, es handele sich um einen durchaus legitimen Antizionismus, der in Krisensituationen etwas schrill wird und quasi als "Kriegsrassismus" zu Übertreibungen neigt.

Islam und Judentum im Mittelalter

Als zentrale Frage stellt sich deshalb, ob Antisemitismus in der islamischen Welt ein Massenphänomen ist (wie in Europa), das sich auch auf entsprechende traditionell und religiös fundierte Elemente stützen kann, oder vor allem eines der Eliten, das sich erst in den letzten 150 Jahren entwickelt hat. Sollte es sich bei dem arabischen Antisemitismus nämlich vor allem um eine – auch Herrschaftssichernde Elitenideologie handeln, die sich erst langsam sedimentiert, besteht die berichtigte Hoffnung, dass mit dem Sturz dieser Eliten – etwa Saddam Husseins Ba’th-Partei oder den Hause Saud – sich auch der Antisemitismus wieder abschwächen würde.

Bernhard Lewis kommt in seinem Standardwerk über die Genese des arabischen Antisemitismus "Treibt sie ins Meer; Die Geschichte des Antisemitismus" zu dem Schluss, daß in den "rund vierzehnhundert Jahre(n) der arabisch-jüdischen Beziehungen die Araber tatsächlich nicht antisemitisch in dem im Westen gebrauchten Sinne des Wortes (waren) - nicht weil sie selbst Semiten sind, eine Aussage ohne Inhalt, sondern weil sie zum allergrößten Teil keine Christen sind."

Im Gegensatz zur christlichen Tradition wurden im Islam beispielsweise keine Geschichten vom jüdischen Gottesmord gelehrt, die im Koran dies als "blasphemische Absurdität abgelehnt" werden. Juden wie Christen genossen als monotheistische Buchreligionen Toleranz und verbürgte Rechte in der vom Islam vorgeschriebenen Form, während sie gleichzeitig als minderwertig und verächtlich galten. Obwohl Juden, etwa während der Zeit maurischer Herrschaft in Spanien, mitunter große Freiheiten und Partizipation am gesellschaftlichen Leben genossen, waren sie in islamischen Ländern "nie frei von Diskriminierung, aber nur selten verfolgt; ihre Situation (war) nie so schlimm wie unter der Christenheit in ihren fürchterlichsten Momenten, und nie so gut wie unter der Christenheit zu ihren besten Zeiten." Anders als im christlichen Europa, wo die Juden obsessiv die Phantasie ihrer Verfolger beherrschten, spielten sie in der islamischen Welt als Feindbilder nur eine untergeordnete Rolle.

Trotzdem finden sich im Koran dezidiert antijüdische Stellen, auf die sich heute mit Vorliebe islamistische "Prediger" berufen und die so mit einer neuen Bedeutung aufgeladen werden. So falsch es ist, den Islam zu einer ähnlich antijüdischen oder antisemitischen Religion zu erklären wie das Christentum, so falsch ist es, den Islam als besonders tolerante Religion zu bezeichnen, die keinen Antisemitismus gekannt habe. Wichtig vielmehr in unserem Zusammenhang ist die Tatsache, dass in der muslimischen Welt Juden als minderwertig galten, als "dhimmis" - Schutzbefohlene der islamischen Herrscher also. Dieser Aspekt taucht immer wieder in Schriften des fundamentalistischen Islam auf; die Welt ist sozusagen solange verkehrt wie in Israel Juden über Moslems herrschen. Wo etwa die Hamas nicht gleich zur Vernichtung der Juden aufruft, fordert sie deren neuerliche Unterwerfung unter die alte islamische Ordnung. Eine Ordnung, die etwa auch den "gelben Fleck" hervorgebracht hat, der ursprünglich "erfunden" wurde im abassidischen Bagdad. Vor allem in den Randregionen des osmanischen Reiches, im Jemen oder in Saudi Arabien gab es zudem immer extrem judenfeindliche Gesetze und Tendenzen, die unter dem Hause Saud durchaus prä-antisemitische Züge annahmen. Es ist von daher auch kein Zufall, dass bis heute Saudi Arabien ideologisch eine der Hochburgen des äußerst antisemitischen wahabitischen Islamismus ist.

Das Zeitalter des Imperialismus

Mit der kolonialen Durchdringung des Nahen Ostens und dem Verfall des osmanischen Reiches veränderte sich das Verhältnis zwischen Muslimen und den in der Region lebenden Minderheiten rapide. Zeitgleich schleppten vor allem christliche Missionare antisemitische Schriften in den Nahen Osten ein. In ihrem Versuch ihren Einfluss in der Region auszudehnen, setzten die europäischen Großmächte vor allem auf diese Minderheiten.

Fortan gerieten die verschiedenen konfessionellen Minderheiten der Region zunehmend in den Verdacht, "Agenten" der europäischen Mächte zu sein und damit wurde ihre Bedeutung im Kontext kolonialer Ausbeutung ideologisch aufgewertet, "der Nichtmoslem (hörte) auf, in moslemischen Augen verächtlich zu sein, und wurde gefährlich." (S. 148)

Zugleich adaptierten diese christlichen Minderheiten unter dem Einfluss europäischer Missionare antijüdische und antisemitische Elemente moderner Ausprägung: Ab 1869 erschienen die ersten Übersetzungen antisemitischer Texte vor allem im christlichen und unter französischen Einfluss stehenden Libanon, die in den folgenden Jahren kontinuierlich zunahmen. Überall im osmanischen Reich wurden nun Ritualmord-Anklagen laut, die in der Regel von Boykottaufrufen jüdischer Geschäfte begleitet wurden. Einen vorläufigen Höhepunkt fand diese Kampagne 1840 in Damaskus, wo mit Hilfe des französischen Botschafters mehrere Juden angeklagt wurden einen Ritualmord begangen zu haben. (Der noch amtierende syrische Verteidigungsminister Ibrahim Tlass hat hierüber ein widerwärtiges Buch geschrieben, dass auf den arabischen Bestsellerlisten steht und kürzlich in Ägypten verfilmt wurde) Die Ritualmordlegende war bislang der islamischen Welt fremd und fand erst langsam Eingang in das Massenbewusstsein, denn sie konnte sich auf keine religiös fundierte Tradition stützen (ebenso wenig wie der inzwischen ebenfalls kolportierte Vorwurf des Gottesmordes).

Die Dreyfuss Affäre forcierte diesen Prozess dann erheblich: Französische Priester im Libanon und Syrien stellten sich en bloc hinter die Anti-Dreyfussards, während sich in Beirut die muslimisch arabische Presse eher mit Dreyfuss identifizierte.

Dass antisemitische Themen trotzdem zunehmend Verbreitung fanden, leitet sich sicher auch aus der kolonialen Politik europäischer Staaten und der Gegenreaktion eines erwachenden arabischen bzw. islamischen Nationalismus ab, der sich aus dem unerschöpflichen Repertoire des europäischen Antisemitismus bediente. In Kairo und Damaskus, den geistigen Zentren des arabischen Nationalismus, übernahmen Autoren nun auch gewisse "moderne" antikapitalistische Elemente des europäischen Antisemitismus und begannen die Juden für die imperialistische Durchdringung des Nahen Ostens verantwortlich zu machen. Hinter der laizistisch-nationalistischen Revolution der Jungtürken 1908 etwa wurden "jüdische Drahtzieher" vermutet, eine Verschwörungstheorie, die in konservativen Kreisen von nun an allgemein anerkannt wurde.

Wenn auch weit weniger ausgeprägt als in Europa stellte der Antisemitismus in der arabisch/ islamischen Welt aber auch eine Reaktion auf die Modernisierungsschübe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dar, die mit der kolonial-imperialistischen Durchdringung des Nahen Osten alleine nicht zu erklären ist. Vielmehr entwickelten besonders neue urbane Schichten - wobei es sich um progressive Elemente ebenso handeln konnte wie um reaktionäre – antisemitische Vorstellungen, mit denen sie sich die einschneidenden Veränderungen und ihren eigenen Bedeutungsverlust zu erklären versuchten. So geriet ab der Jahrhundertwende der Antisemitismus ähnlich wie in Europa, wenn auch "nur" auf die Eliten beschränkt, zur holistischen Welterklärung, mit der sowohl der Niedergang des osmanischen Reiches, der Verfall der islamischen Gemeinschaft, der "Umma", als auch im säkularen Bereich die Schwäche der arabischen Einheitsbestrebungen erklärt werden konnten. Früh schon verband sich ein Kampf gegen "Fremdbestimmung", der gegen Großbritannien und Frankreich gerichtet war, mit dezidiert antijüdischen Elementen, die den populären Schriften aus Europa, etwa den "Protokollen der Weisen von Zion" entnommen wurden.

Anders als in Europa sahen sich die Menschen im Nahen Osten allerdings mit einem realen jüdischen "Gegner", der zionistischen Bewegung konfrontiert. Die Tatsache, dass selbstbewusste Juden aus Europa, Frauen und Männer, begannen, sich in Palästina anzusiedeln, löste seit Ende des letzten Jahrhunderts so etwas wie einen bis heute andauernden Schock aus und zerstörte das bislang vorherrschende Bild vom Juden als verächtlichen und minderwertigen Wesen.

In der Frühphase der jüdischen Einwanderung nach Palästina überwiegt allerdings noch die Abwehr der Neuankömmlinge als Agenten Europas und Ausländer. Arabische Exilanten, die in Paris die Dreyfuss-Affäre miterlebt hatten, sahen allerdings bereits im frühen Zionismus eine Verschwörung, der eschatologische Züge angedichtet wurden, eine Sichtweise, die sich später sukzessive durchsetzen sollte. So hieß es in einer in Paris erscheinenden Schrift um die Jahrhundertwende Araber und Juden seien "vom Schicksal dazu bestimmt, einander so lange zu bekämpfen, bis eine der beiden obsiegt. Das Schicksal der gesamten Welt wird von dem Endergebnis des Kampfes dieser beiden Völker abhängen, die zwei einander entgegengesetzte Prinzipien verkörpern."

Erst in Folge der Balfour-Deklaration 1917, der Aufteilung des Nahen Osten zwischen Franzosen und Briten und dem Erstarken des arabischen Nationalismus, wird es immer schwerer zwischen antizionistischen und antisemitischen Äußerungen zu unterscheiden. Die konkrete Kritik am zionistischen Programm, in Palästina eine jüdische "nationale Heimstätte" zu errichten, verbindet sich von nun an häufig mit globalen Anklagen gegen die Boshaftigkeit der Juden, denen unter anderem nun vorgeworfen wird die Drahtzieher und Nutznießer hinter der Aufteilung und Schwächung Arabiens zu sein. Der Kampf gegen die zionistische Besiedlung Palästinas, die anfangs von vielen arabischen Führen sogar begrüßt wurde, wird zunehmend zur Leitidee panarabischer und panislamischer Bewegungen, die so ihren eigenen Herrschaftsanspruch zu legitimieren versuchen. 1921 kommt es zu den ersten Aufständen palästinensischer Araber gegen die zionistische Besiedlung, denen weitere folgen sollten. Eines der ersten genuin antisemitischen Pamphlete innerhalb Palästinas, ein 1929 herausgegebenes Flugblatt, erschien dann auch im Rahmen der bislang heftigsten arabischen Aufstände, in deren Folge ein Pogrom an der alteingesessenen jüdischen Gemeinde von Hebron verübt wurde: "O Araber. Erinnere Dich daran, daß seit Urzeiten alle Juden Deine und Deiner Vorfahren schlimmsten Feinde sind. Lass Dich nicht von Ihren Tricks in die Irre führen, weil sie es sind die Jesus folterten - Friede sei mit ihm - und Mohammed vergifteten - Friede und Seligkeit für ihn. Es sind die Juden die sich jetzt anschicken Dich abzuschlachten, wie es gestern mit deinen Vorfahren taten."

Spätestens seit 1929 mischen sich säkulare und islamische Motive in der antijüdischen Propaganda, wobei sich im Antisemitismus religiöse und arabisch-nationalistische Bewegungen, die ansonsten untereinander heftig zerstritten sind, vermischen. Ein Phänomen, das besonders nach Ausbruch der sogenannten Al Aqsa Intifada wieder bedeutsam wird.

Der Antizionismus gewinnt in den Folgejahren eine immer bedeutsamere Rolle innerhalb des arabischen Nationalismus: Über das gemeinsame Feindbild geht nun eine säkulare Redefinition des Arabertums vonstatten, als ein Kollektiv, in dem sich Christen und Muslime im gemeinsamen Haß gegen Juden/ Zionisten zu vereinigen. Zunehmend werden den Zionisten essentielle Eigenschaften zugesprochen und "Zionismus" gerät zu einer Chiffre für Imperialismus, Fremdbestimmung und auch Kommunismus.

Zugleich bietet er sich islamischen Gelehrten als Erklärung für die Dekadenz und den Verfall der "Umma" der Gemeinschaft der Gläubigen an. Insbesondere die Muslimbrüderschaft, die sich 1928 in Ägypten gründete, eng mit dem wahabitischen Islam, wie er in Saudi Arabien praktiziert wurde verbunden war, und ein dschihadistisches Konzept von Islamismus mit gewissen sozialrevolutionären Elementen verband, adaptierte früh eine antisemitische Welterklärung, die den Zionismus als wichtigen Teil einer größeren gegen den Islam gerichteten Verschwörung betrachtete. Sie, die zeitweilig bis zu einer halben Million Anhänger hatten, verstand sich als revolutionäre internationalistische gegen Kapitalismus, Fremdherrschaft und Kommunismus gerichtete Bewegung des wahren Islam. Einer ihrer Gründer Said Al-Qutb ist Verfasser des Buches "Unser Kampf mit den Juden", das bis heute als Grundlage des islamistisch-antisemitischen Grundverständnisses gilt. Für Qutb, wie später für die aus den Muslimbrüdern hervorgegangenen Hamas und Al Qaida, stellen Juden "die schlimmsten Feinde der islamischen Gemeinschaft" und das ewige Gegenprinzip zum wahrten Islam dar, der nur mittels ihrer Vernichtung weltweit wieder errichtet werden kann, da Juden für alle Krankheiten der Moderne (Kommunismus, Atheismus, Frauenemanzipation, Geldherrschaft) verantwortlich seien. Für die Muslimbrüder, die zuerst in Ägypten gegen die Kolonialmacht England und die ihr kooptierten lokalen Eliten aufbegehrte, wurde der Kampf um Palästina bald zu dem zentralen Anliegen.

Araber und Nazis

Nicht so sehr diese Islamisten als die Führer der arabischen Parteien standen dann auch mehrheitlich Mussolinis Italien und später dem Nationalsozialismus positiv gegenüber. Wie Sami al Jundi, Ex Führer der syrischen Ba' ath Partei rückblickend feststellte, "waren (wir) vom Nazismus fasziniert (...) Wer in Damaskus lebte, dem konnte die Affinität des arabischen Volkes zum Nazismus (...) nicht verborgen bleiben." Eine Affinität, die auch den Widerspruch überlebte, daß die Nazis bis 1941 die jüdische Auswanderung nach Palästina förderten und sogar forcierten. Viele arabische Führer und allen voran der Mufti von Jerusalem Hadschi Amin Al Hussaini, dem es gelang als religiöser Führer Islamismus und Panarabismus miteinander zu verbinden, pflegten freundschaftlichen Kontakt mit Nazideutschland und hofften auf ein deutsch-panarabisches Bündnis. Hussaini. Hitlers Einstellung zu den Arabern war eine ambivalente; bezeichnete er sie 1939 noch als "bemalte Halbaffen", so bedauerte er in seinem berühmten Testament von 1945, daß die Nazis nicht den arabischen Ländern die Unabhängigkeit gegeben hatten.

Die Ausmaße der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik waren dem Mufti, der im deutschen Exil lebte, nicht nur bekannt, sie wurde von ihm ausdrücklich begrüßt: "Wenn (...) England verliert und seine Verbündeten besiegt werden, dann wäre die jüdische Frage, die für uns die größte Gefahr darstellt, endgültig gelöst; alle Drohungen gegen die arabischen Länder würden hinfällig, Millionen von Arabern würden befreit, und viele Millionen Moslems in Asien und Afrika wären gerettet." Hitler nämlich hatte folgende Ankündigung in Aussicht gestellt: "Sobald die deutschen Armeen im Kaukasus aufmarschiert sind, werde ich eine öffentliche Erklärung abgeben: Die Zeit der Befreiung für die arabische Welt ist gekommen. Das einzig deutsche Interesse dabei ist die Vernichtung der Juden. Der Mufti ist der legitime Vertreter der arabischen Welt." Glücklicherweise erschienen die deutschen Armeen nie im Kaukasus, sondern wurden von der Roten Armee in Stalingrad aufgerieben

Auch in anderen arabischen Ländern fand die Politik der Nazis breite Unterstützung. So gehörte etwa der spätere ägyptische Präsident Anwar al Saddat zu einer Gruppe von ägyptischen Offizieren, die offen mit den Nazis sympathisierten und Gamal Abd al-Nasser erklärte der Deutschen Nationalzeitung am 1 Mai 1964, daß "während des Zweiten Weltkrieges unsere Sympathien den Deutschen gehörten." Und heute erinnern sich, etwa beim Staatsbesuch König Abdullahs von Jordanien offizielle Medien des guten deutsch-arabischen Bündnisses, in Bagdad, meldet die FAZ, werden deutsche Journalisten mit dem Spruch "Saddam ist gut und Schröder auch" begrüßt.

Anhand der deutschen Außenpolitik im Irak, der damals zwar de jure unabhängig, de facto aber unter britischem Einfluss stand, lässt sich der direkte "Export" antisemitischen Gedankengutes nachzeichnen. Früh in den 30er Jahren begannen deutsche "Gesandte" ihren Einfluss in den panarabischen Clubs in Bagdad auszubauen. Fast alle Zeitungen, die offen antisemitische Hetze betrieben wurden aus Berlin finanziert und auch redigiert. Stärker noch als die Muslimbrüderschaften zeigte sich die panarabische Intelligentzia vom nationalsozialistischen Programm fasziniert; man hatte die gleichen Feinde (Imperialisten, Westen, Materialismus, Judentum) und hing ebenfalls einer Pan-Ideologie an. 1941 putschten sich in Bagdad deutschfreundliche Offiziere unter Rashid Ali, der später mit dem Mufti in Berlin sein Unwesen treiben sollte, an die Macht und erklärten unter anderem die "Judenfrage so lösen zu wollen, wie es die Deutschen getan hatten." In Folge dieses Putsches sollte es in Bagdad zu einem ersten großen Pogrom im Irak komme. Die Ba’ath Partei im Irak beruft sich bis heute positiv auf Ali und hat auch seine extrem antisemitischen Vorstellungen übernommen. Als sie sich endgültig 1969 an die Macht brachte, galten im Irak schon seit zwei Jahren antijüdische Gesetze nach dem Vorbild der Nürnberger Rassegesetzgebung. Ihr faschistisch-panarabisches Programm, das den Irak in eine der übelsten zeitgenössischsten Diktaturen verwandeln sollte, der bislang über eine Million Zivilisten zum Opfer gefallen sind, wurde zuerst an den wenigen verbliebenen Juden des Landes exekutiert, die in Schauprozessen der Spionage angeklagt und dann öffentlich hingerichtet wurden. Langsam hat sich dort ein völlig paranoider Geheimdienstsaat entwickelt, der permanent Teile seiner eigenen Bevölkerung als Spione und Agenten eliminiert. Noch vor wenigen Jahren etwa erklärte der irakische Vize Tarik Azis einem UN-Waffeninspekteur man habe Giftgas- das ja auch exzessiv eingesetzt wurde – gegen "Perser, Juden und andere Insekten" entwickelt.

Aber auch in anderen arabischen Staaten knüpfte man faktisch an den Nationalsozialismus an, nicht nur indem man nach 1945 Nazis großzügig Asyl gewährte. Bis in die 60er Jahre, als Ägypten, Syrien und die palästinensische Nationalbewegung unter sowjetischen Einfluss gerieten, blieb das Wort Nazi offiziell positiv besetzt. In unzähligen Artikeln wurde Hitlers antibritische und antikommunistische Politik gelobt ebenso wie seine Vernichtungspolitik gegenüber dem europäischen Judentum. Anlässlich des Eichmann Prozesses schrieb die Jerusalem Times (jordanisches Ostjerusalem) am 24. 4. 1961, Eichmann habe der Menschheit mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden "einen wirklichen Segen erwiesen"; die Judenvernichtung werde eines Tages mit der "Liquidierung der verbliebenen sechs Millionen" ihren Abschluß finden. Die Zeitung der Liberalen Partei Ägyptens Al-Ahrar bezeichnete Juden in ihrer Ausgabe v. 19. 7. 82 als "menschlichen Irrtum" und lobte Hitler, "der aus Mitleid mit der Menschheit versucht hat, alle Juden auszurotten." Vor drei Jahren konnte man in der jordanischen Zeitung Al-Sabil dann folgendes lesen: "Wir müssen von unseren Vorbildern lernen und übernehmen, was für unser arabisches Anliegen wichtig ist. Hitler erreichte, was den Arabern bisher nicht gelang: Er reinigte sein Land von den Juden. Betrachtet Hitler und gebt deshalb die Hoffnung auf ein befreites Jerusalem nicht auf!"

Unter sowjetischem Einfluss erst waren es gerade liberale und marxistische Parteien, die seit den 60er Jahren die Zionisten einerseits als die eigentlichen Nazis, andererseits als Erfüllungsgehilfen oder Brückenkopf des Imperialismus ins Zentrum ihrer "Analyse" stellen. Der Zionismus wird zur so universalen Chiffre für den Imperialismus, dessen weltumspannende Gewalt im Umkehrschluss mit einer Weltverschwörung erklärt wird, die immer stärker die Züge des rassischen Antisemitismus tragen. So erklärte nach dem israelischen Bombardement Beiruts 1982 etwa Radio Moskau, daß gemäß der "kannibalistischen Theorie des Zionismus das auserwählte Volk Israel notfalls auch um den Preis der Vernichtung minderwertiger Rassen gedeihen müsse".

Inzwischen ist es gängig, Israel als Widergänger der Nazis und die israelische Politik in den besetzten Gebieten als neuen "Holocaust" zu bezeichnen. Diese Propaganda erwies sich al äußerst erfolgreich und stieß auch in Europa auf offene Ohren. So wurden auf dem UN-Gipfel in Durban Resolutionen eingebracht, die Israel als Verursacher mehrerer "Holocausts" verurteilten und inzwischen verwenden Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler aus Europa ohne Skrupel diese Vergleiche. Ähnlich wie in Europa schließen sich offensichtliche Widersprüche in der antisemitischen Hetze nicht aus: Zeitungen können sehr wohl an einem Tag den Holocaust als zionistische Erfindung leugnen, um am nächsten Tag Israel vorzuwerfen, einen Genozid an den Palästinensern zu planen, der schlimmer noch sei als Ausschwitz.

Antisemitismus und der Staat Israel

Dieser Antisemitismus ist, wie Jehuda Bauer kürzlich betonte, keineswegs mit der Existenz Israel zu begründen. Zwar mag nach Ausrufung des Staates Israel 1948 und vor allem den arabischen Niederlagen in den Kriegen gegen Israel von 1956 und 1967 es auch dem tiefen Schock geschuldet sein, warum man seinen Gegner zu einer monströsen international unterstützten Agentur aufbauschte, um so die eigene Niederlage "verständlicher" zu machen. Und sicher halfen antisemitische Stereotype von der vermeintlichen "Weltmacht" des Judentums darüber hinwegzukommen, dass 5 Millionen Israelis mehrmals ganze arabische Armeen schlagen konnten. Die permanente Zunahme des Antisemitismus nach dem Osloer Abkommen auch in Ländern wie Malaysia, Pakistan oder Indonesien erklärt sich so aber nicht. In dieser Zeit nahmen in arabisch-islamischen Welt der eliminatorische Antisemitismus rasant zu, vernetzte und organisierte sich und wurde zu wohl der wichtigsten ideologischen Grundlage der ganzen Region. Er wurde zum Welterklärungsmuster, zur Handlungsanleitung und zunehmend, ganz dem deutschen Vorbild folgend, zum Selbstzweck. Erst eine Welt ohne Juden ermöglicht, heißt es immer öfter, Frieden, Unabhängigkeit und eine islamische bzw. panarabische Wiedergeburt inmitten einer Welt sich selbst bestimmender Völker. Dabei geht es dem Islamismus inzwischen, wie der am 24. 11. 2002 veröffentlichte Brief Ossama bin Ladens an die Amerikaner erneut zeigt, um nichts weniger als die Weltherrschaft.

Es handelt sich nämlich keineswegs, wie so gerne in Deutschland behauptet wird, dabei um eine Folge des israelisch-arabischen Konfliktes. Vielmehr wird Israel selbst längst nicht mehr als Nationalstaat oder als ein Vorposten des Imperialismus angeprangert, sondern als eine "jüdische Agentur", als kleiner Satan, dem der große, die USA zur Seite gestellt wird. Nicht mehr die USA nutzt Israel in ihrem "imperialistischen" Hegemonialstreben, wie es früher hieß, jetzt kontrollieren angeblich die Juden Amerika. Inzwischen kommen - teilweise etwas "islamisiert" - dabei sämtliche pathischen Projektionen und Wahnsvorstellungen zum Tragen, die man aus der Geschichte des europäischen Antisemitismus kennt, wie Vergiftungsängste, Sexual- und Gewaltphantasien gepaart mit einem obsessivem Hass auf die Zirkulationssphäre. Juden werden für alle Folgen der Moderne verantwortlich gemacht, eigentlich alle Übel dieser Welt, politisch, moralisch und sozial sind auf jüdische Machenschaften zurückführbar.

Dieser Antisemitismus hat sich nicht nur längst von Israel als territorialer Entität emanzipiert, inzwischen sind alle Juden böse, ja das Böse ist jüdisch geworden. Dabei bildet sich eine enge Matrix zwischen Antisemitismus und Antiamerikanismus, wie sie auch aus Deutschland bekannt ist. Bereits 1950 schrieb ein Abd al-Rahman in Ägypten "Die Juden und der Zionismus sind wie ein Baum des Bösen. Seine Wurzeln befinden sich in New York, seine Zweige erstrecken sich über die ganze Welt, seine Blätter sind die Juden. Sie alle, die Alten, die Jungen, die Männer und die Frauen, ohne Ausnahme, sind seine stachligen Blätter und giftigen Dornen." Ganz ähnlich äußern sich heute sowohl Anhänger der Al Qaida als auch säkulare Araber, die die USA als "jüdische" Agentur, die weltweit für Sittenverfall, Zersetzung, Liberalismus und Feminismus steht ins Zentrum ihres Wahns stellen und fordern, sie müsse zum Wohle der Völker und des wahren Islam zerstört werden. Ungeachtet der Tatsache, dass Amerika in den 90er Jahren vier Mal zum Wohle von Muslimen militärisch interveniert hat wird vor allem das "verjudete New York" in Visier genommen. So erklärte Suleiman Abu Gheit, Sprecher der Al Qaida 2002: "In Zusammenarbeit mit den Juden ist Amerika der Anführer des Verfalls und des Zusammenbruchs der Werte. (…) Amerika ist der Grund für alle Unterdrückung, alles Unrecht, alle Lasterhaftigkeit, die die Muslime unterjocht."

Diese "weltweite" Intifada, in Wahrheit eine antisemitische Kampagne, nutzt sämtliche neue Technologien, vor allem aber das Internet und eigene Ferneshkanäle wie Al-Jazeera oder al Manar und findet Unterstützung bei den "Globalisierungskritikern", die sich nicht scheuen auf Demontsrationen unter Hamas- und Hizbollahfahnen zu laufen.

Während Bewegungen wie al-Qaida zur Offensive schreiten, rechtfertigen arabische Regierungen regelhaft die desolate Lage vor Ort mit den äußeren Einflüssen von Juden und Imperialisten. Reflexhaft wird auf feindliche Agenten, den Zionismus und die USA verwiesen, sobald Kritik an der Verfasstheit der arabischen Gesellschaften geäußert wird. Je krisenhafter sich die Lage in der Region entwickelt, umso heftiger wird die antisemitische Propaganda, die aber weit mehr ist als nur eine simple Kanalisierung des Unmutes nach außen.

Der Antisemitismus hat sich so zu einem geschlossenen "Alles-erklärenden" Wahngebilde verdichtet, das Regierungen mit vermeintlichen Oppositionellen, Säkulare mit Islamisten verbindet, wobei sämtliche aus Europa bekannte Elemente des Antisemitismus zu finden sind, restaurative wie vermeintlich revolutionäre, religiöse wie sozialistische Versatzstücke, die sich abstrakt gegen Finanzkapital und globale Ausbeutung richten.

Es steht deshalb "außer Zweifel, daß Araber sich mit antisemitischer Aktivität befassen, in keiner Weise verschieden von derjenigen, die viele Jahrhunderte lang die Geschichte des christlichen Europas entstellt hat. Angesichts des Ausmaßes dieser Aktivität lautet die Frage nicht mehr, ob einige arabische Regierungen antisemitische Politik betreiben, sondern vielmehr, warum sie diese Politik eingeschlagen haben, wie weit sie schon geht und wie tief ihre Wirkung reicht." Die Frage, die Bernhard Lewis vor 15 Jahren stellte, scheint inzwischen beantwortet. Nach dem 11. September ist dieser Lesart zufolge eine weltweiter Entscheidungskampf ausgebrochen, an dessen Ende die Vernichtung der Juden und des westlichen, von den USA repräsentiertem, Universalismus stehen wird.

Man sollte diesen Kampf sehr ernst nehmen und aufhören, aus vermeintlich antirassistsicher Motivation den arabischen Antisemitismus in Schutz zu nehmen. Nicht nur bedroht er Israel, sondern auch unzählige andere Menschen im Nahen Osten. Sowohl die Saudis wie die irakische Regierung verfolgen Schiiten und andere unliebsame Minderheiten in ihren Ländern als "zionistische Agenten", all jene, die nicht mitmachen, gelten als Verräter und Judenfreunde. Anstatt dem Antisemitismus als Kultur oder Eigenart des Islams mit falschem Verständnis zu begegnen müsste er vielmehr radikal bekämpft werden – gemeinsam mit all jenen Menschen im Nahen Osten, die diesem Wahn noch nicht verfallen sind oder gegen ihn opponieren wie etwa der irakische Oppositionelle Kanan Makiya, der kürzlich erklärte, dass ihm der Sturz der "irakischen Diktatur, die sich alleine durch die hochgerüstete Gegnerschaft zu Israel definiert – und die damit einhergehende Schwächung des Einflusses von Diktaturen wie Saudi-Arabien und Syrien auf die arabische Politik - im besten Interesse der Region scheint." Ich glaube, es besteht trotz allem die Hoffnung, dass Makiya Recht hat und sollten die notwendig anstehenden Veränderungen im Nahen Osten auch wirklich stattfinden, auch die Bedeutung des Antisemitismus schwinden wird.

Erschienen in: Frankfurter Jüdische Nachrichten, Dezember 2002, Nr. 107

hagalil.com 08-12-2002

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved