Analphabetismus:
Mehr Kinder in der Schule, weniger Terroristen
Magdi Allam im Corriere della Sera vom 24.2.2005
Aus dem Italienischen übersetzt und redigiert von Karl Pfeifer
2005 haben die Araber eine Spitzenleistung
erbracht, die alles andere als beneidenswert ist: Sie haben die
meisten Analphabeten in der Welt. Mit 70 Millionen Analphabeten,
dies entspricht 35,6 Prozent der Bevölkerung von 22 Mitgliedsstaaten
der Arabischen Liga, ist es ihnen gelungen sogar die ärmste Region
der Welt, das Afrika südlich der Sahara, wo dieser Prozentsatz auf
34,6 Prozent gesunken ist, zu übertreffen.
Es ist auch bemerkenswert, dass gerade in den
Ländern in denen der Prozentsatz der Analphabeten am höchsten ist
(Ägypten, Sudan, Algerien, Marokko, Jemen, Saudi-Arabien und Irak)
der Terrorismus islamistischer Prägung mit der größten Heftigkeit
ausgebrochen ist. Das hat wenigstens zu einem heilsamen Resultat
geführt: Das erste Mal sind kritische Stimmen und öffentliche
Appelle laut geworden, für einen kulturellen Wiederaufstieg, um die
Araber von einer Plage zu retten, die gegen sie wirkt. Bei der
Präsentation der Organisation für Erziehung, Kultur und Wissenschaft
(OEKW) der Arabischen Liga, hat deren Generaldirektor Mongi
Bousnina, den Mangel an "politischen Willen der dem Kampf gegen den
Analphabetismus Priorität gewährt" angeprangert und unterstrich die
Dringlichkeit, "die bisher durchgeführten Programme zu revidieren",
damit beginnend "das schwere Ungleichgewicht zwischen den beiden
Geschlechtern auf dem Gebiet der Erziehung" zu überwinden.
Die Anzahl der arabischen Analphabeten ist von 50
Millionen im Jahr 1970, auf 61 im Jahr 1990 bis zu den aktuellen 70
Millionen Analphabeten gestiegen. Das Land mit der höchsten
Analphabetenrate ist Ägypten mit 17,3 Millionen, was 34% der
Bevölkerung entspricht, während es in Algerien 7.5 Millionen
Analphabeten gibt, gleich 26.5% der Bevölkerung. Am schwersten sind
davon in der arabischen Welt die Frauen betroffen, d.h. 46.5% aller
Frauen sind Analphabetinnen.
Die ländlichen Gebiete sind im Vergleich zu den
städtischen Gebieten gleichfalls schwer benachteiligt: In Ägypten
zum Beispiel befinden sich 70% der Analphabeten im ländlichen
Gebieten. "Wir müssen die Eltern, die ihre Kinder nicht in die
Pflichtschulen schicken vor Gericht bringen und verurteilen lassen"
– tönt Ahmad al Magdub, der Verantwortliche für das nationale
Zentrum für soziale Forschung – "und wann immer man drauf kommt,
dass eines der Eltern selbst Analphabet ist, muss man ihn/sie
zwingen sich an einem Kurs für Alphabetisierung für Erwachsene zu
beteiligen."
Zu diesem Thema hat die Tageszeitung Al Ahram auch
einen einmalige Vorschlag von Scheich Mansur al Refai Abid, vormals
Generaldirektor der Moscheen im Ministerium für islamische Werke,
publiziert: "In Ägypten gibt es mehr als 150.000 Moscheen und
Betsäle. Wenn wir diese für eine Kampagne der Alphabetisierung
mobilisieren würden, könnten wir das Problem in 5 Jahren lösen."
Aber laut einer Kalkulation von OEKW bräuchte man
wenigsten 30 Jahre, um das Phänomen in der arabischen Welt
abzuschwächen, wenn in Betracht gezogen wird, dass es jährlich 1%
mehr Analphabeten gibt.
Wesentlich drastischer ist der Kommentator Kamal
Abdel Latif, der im "Asharq al Awsat" schreibt:
"Die Daten über den Analphabetismus zeigen einen Aspekt unserer
Zurückgebliebenheit mit Klarheit. Das ist der Grund warum wir uns
nicht wundern sollten, wenn unsere Jungen hörig gemacht werden und
sich in öffentlichen Lokalen sprengen, um das Jenseits zu erobern.
So müssen wir auch nicht staunen über die Rolle einiger Schwindler
in unserer Gesellschaft, welche den mangelnden Willen der
politischen Regime, die Erziehung zu reformieren, ausnützen." Dann
warnt er: "Wenn wir nicht die Verbreitung der Erziehung in der
arabischen Welt vermehren, werden wir den Fanatismus nicht besiegen,
die blinde Unterwerfung unter den shiyuk (religiöse Würdenträger)
lebend oder tot, das irrationale Verhalten und den Manichäismus".
In Wirklichkeit befinden sich die autokratischen
und theokratischen politischen Regime der 22 arabischen Länder auf
der Anklagebank. In 50 Jahren, werden diese, obwohl sie über mehr
als die Hälfte des Rohöls und des Gas der Welt verfügen,
zusammengenommen weniger Brutto Nationalprodukt erzeugen als Italien
und schon jetzt stehen sie an der Spitze des Analphabetismus der
Welt.
hagalil.com
27-02-2005 |