Anlässlich des zweiten
Jahrestages der Anschläge auf das WTC und Pentagon befasste sich auch
die arabische Presse noch einmal mit dem 11. 9.2001. Ein Artikel des
ägyptischen Kolumnisten Ahmad Abbas Salih kritisierte in diesem
Zusammenhang die Spaltung in eine "islamische" und eine "westliche" Welt
– macht letztlich aber allein "den Westen" dafür verantwortlich. Der
Beitrag, den wir hier leicht gekürzt widergeben, wurde in der in London
erscheinenden Tageszeitung Al-Sharq Al-Awsat unter dem Titel "Wer ist
verantwortlich für den 11. September?" am 12.9.2003 veröffentlicht:
"Wir leben wirklich in einer
Welt des Informationschaos. So geschieh es häufig, dass man sich in der
Vielzahl von Informationen, die Präsidenten und Politiker von sich geben
und von den Medien verbreitet werden, verirrt. Außerdem können Letztere
durch den Einfluss cleverer Finanziers, die politische Zwecke verfolgen,
leicht ihre Unschuld verlieren. […] Wenn Politiker, Interessenvertreter
und Ideologen Druck auf die Medienindustrie ausüben, weicht diese oft
von ihrer eigentlichen Rolle ab, die Neutralität, Objektivität und
bedingungslose Ehrlichkeit erfordert. […] Ein Beispiel für solche
Parteinahme erleben wir besonders in den USA seit den Ereignissen am 11.
September vor zwei Jahren […]. So scheinen wir von der wahren
Geschichte, die zu den Explosionen des 11. September führte, fast nichts
mehr zu wissen. Vielmehr entstand mit der Zeit besonders in den USA die
Meinung, dass die Araber und die fanatischen Muslime hinter den
Geschehnissen stecken. Einige behaupteten, dass die islamische Welt mit
ihrer mittelalterlichen Kultur, der neue Feind sei, dem militärisch
begegnet werden müsse, um ihn vollständig zu besiegen. Daneben haben
einige Stimmen auch darauf hingewiesen, dass die veraltete und überlebte
Denkweise der islamischen Welt verändert werden müsse, bevor diese zu
einer feindlichen Kraft wird. Unumgänglich sei deshalb das gegenwärtige
Vorgehen in Afghanistan, dem Irak und Palästina und vielleicht in
Zukunft auch im Iran, in Syrien und anderen arabischen Ländern. Auf
diese begann nun der voreingenommene Medienapparat, seinen Hass zu
projizieren.
Das Ergebnis all dessen ist die
Teilung der Welt in eine christlich-jüdische zivilisierte Welt und die
islamische Welt als neuem Feind der westlichen Kultur. Kaum zwei Jahre
dauerte es vor diesem Hintergrund, dass sich die islamische Welt mit all
ihren unterschiedlichen modernistischen wie fundamentalistischen
Strömungen vereinigt hat, um als nunmehr geeinte Masse in dem neuen
hasserfüllten und irrationalen Zwist zu bestehen. Da muss man sich nicht
wundern, wenn man sehen kann, wie ein säkularer, moderner Muslim seine
Gedankenwelt beiseite legt und sich den zahlreichen Gruppierungen
anschließt, die sich auf die Religion beziehen. Schließlich ist die
Religion nicht nur Glaube, sondern ein grundlegender Teil - wenn nicht
der größte Teil – dessen, was die Identität der Menschen ausmacht. Wenn
Du also Muslime an Flughäfen oder Stadttoren mit Argwohn betrachtest,
gleich welche Grundeinstellung sie haben mögen, dann bist in
Wirklichkeit Du es, der sie gegen Dich und gegen all Deine Gedanken
aufbringt, so dass auch sie Dir argwöhnisch begegnen, egal welche
Grundeinstellung Du selber hast.
Obwohl es Terrorismus an vielen
Orten der Welt gibt – gleich ob er auf christlicher, jüdischer oder
nationalistischer Überzeugung beruht wie etwa in Spanien,
Großbritannien, Frankreich, Indien oder Israel -, wird er doch meist
zuallererst auf den Islam und die Muslime bezogen und zudem davon
abgesehen, dass sich ganz bestimmte (einseitige) Ziele hinter dieser
verbreiteten Propaganda verbergen. Selten finden wir hingegen objektive
Studien über die Wendung zum Terrorismus seitens einiger islamischer
Gruppen.
Nun können wir hier nicht auf
die Schnelle auf die islamische Welt, ihre Probleme und Spaltungen
eingehen. Auf jeden Fall war es aber diese Kultur, die für lange Zeit
die Welt beherrschte und mehrere Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte
geprägt hat. Und nun fragt diese Kultur nach den Gründen für ihre
Niederlagen und ihre Rückschrittlichkeit während der vergangenen zwei
Jahrhunderte. Bei dieser Reflexion kristallisierten sich mindestens zwei
grundlegende Strömungen heraus: die fundamentalistische und die
modernistische. Erstere glaubt, das eine religiös legitimierte
Regierung, die sich der Sarica verpflichtet weiß, zu einer 'Renaissance'
führen wird. Die zweite Strömung hingegen will eine Modernisierung vor
allem durch die Trennung des Religiösen vom Weltlichen und des Heiligen
vom Menschlichen erreichen. Sie will der menschlichen Vernunft alle Wege
öffnen, um die richtige Regierungsform entwickeln und die gegenwärtigen
gesellschaftlichen Probleme lösen zu können.
Die islamische Welt hat das
vergangene zwanzigste Jahrhundert ausgiebig zur Auseinandersetzung mit
diesen beiden Konzepten oder Strömungen genutzt. Beginnend mit der
nationalen Revolution in der Türkei ging der Sieg an die Strömung der
Modernisierer. Als Bezeichnung für diese Entwicklung hat sich ein
unpräziser Begriff eingeschlichen – der Laizismus.
Ungefähr das gleiche geschah in
vielen der damaligen türkischen Provinzen in der arabischen Welt - so in
Ägypten, Syrien, dem Irak und anderen arabischen Staaten. […] Und obwohl
die Außenpolitik der großen Staaten in jener Zeit drauf und dran war,
sich bei dieser oder jener Strömung einzumischen (besonders als viele
der arabischen Staaten unter die Kontrolle militärischer Kolonialmächte
geraten waren), so war es doch die Idee des Modernismus, die am meisten
verbreitet war, ohne das dies (einmal abgesehen von den Entwicklungen in
der Türkei) ein Problem für den Glauben bedeutete.
Das änderte sich mit dem
ideologischen Kampf zwischen der sozialistischen und der liberalen Idee
- oder besser gesagt zwischen den amerikanischen Interessen und dem
Lager des westlichen Kapitalismus auf der einen und der Sowjetunion und
dem sozialistischen Lager auf der anderen Seite. Auf intellektueller
Ebene war es ein heißer Krieg. Beide Lager versuchten die Gebildeten und
Intellektuellen auf ihre Seite zu ziehen - ob auf rechte oder unrechte
Weise, mittels freien Denkens, Bestechung oder Drohungen.
In einer Reihe neuer Studien
ist diese lange Geschichte jetzt aufgegriffen worden. Sie zeigen, wie
sich dieser oder jener große Schriftsteller oder Denker schrittweise
diesem oder jenem Lager annäherte. Dabei erkannte das kapitalistische
Lager, das aufgrund der vorangegangenen [kolonialen] Okkupation in der
arabisch-islamischen Welt einen schlechten Ruf hatte, dass die
Unterstützung der religiösen Bewegung das wirksamste und leichteste
Mittel gegen die sozialistische Propaganda war, die begonnen hatte,
viele der Gebildeten in der islamischen Welt anzuziehen. Schließlich
existierte die politische religiöse Strömung ja noch und es erforderte
nur wenig Mühe, sie zu stärken und zu fördern. Also hat das
kapitalistische Lager seine Anstrengungen darauf konzentriert, sich mit
dieser Strömung zu verbünden und sie in seinen Dienst zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund begann
der religiöse Eifer sich in der ganzen arabischen Welt auszubreiten und
seine Anhänger gegen das sozialistische Lager zu mobilisieren. Das war
etwa der Fall bei den Auseinandersetzungen in Indien, Pakistan und
Indonesien und in vielen weiteren Regionen, wo der Islam das religiöse
Fundament darstellt. Durch die Mobilisierung von muslimischen
Freiwilligen war es ein Leichtes der russischen Armee in Afghanistan
eine große Niederlage zu bereiten. Sie glaubten ja, dass sie gegen die
in der russisch-kommunistischen Idee verkörperte Sünde und den Atheismus
und für Gott kämpften. Auf der Grundlage vieler regionaler und
Internationaler Entwicklungen begann der radikal-fundamentalistische
Gedanke, sein spezielles Selbstverständnis aus einer sehr vielfältigen
und reichen Tradition zusammenzusuchen, die sich in einer langen Zeit
der politischen und intellektuellen Arbeit herausgebildet hatte. In der
Art, in der [diese Strömung] alle nur erdenklichen Stimmen
[herausgriff], ging sie bis an die Schmerzgrenze.
Natürlich hat der
imperialistische Westen die politisch-religiöse Strömung nicht erfunden.
Er hat sich zwar mit ihr verbündet und sie gestärkt – sie ist aber auch
ein Ausdruck für die [innergesellschaftlichen] Probleme mit Freiheit,
Unabhängigkeit und Reformen. So ist [die islamische Strömung] auch ganz
schnell in den [allgemeinen] politischen und gesellschaftlichen Fragen
versunken, unter denen die islamischen Gesellschaften leiden - an ihrer
Spitze die palästinensische Sache, die das hässlichste Bild politischer
Gewalt darstellt.
An diesem Beispiel zeigt sich
auch die Voreingenommenheit des Westens, der hier jegliche
Glaubwürdigkeit verliert. Also wendete sich die fundamentalistische
Strömung gegen ihre ehemaligen Verbündeten. Und diese behandeln sie
jetzt eben nicht mehr wie Verbündete, sondern wenden sich geradezu
fanatisch gegen sie und überschreiten bei ihrer Bekämpfung jedes
vernünftige Maß. Gegen den Islam und die Muslime wird nun die gleiche
alte Propaganda angewandt wie im vergangenen kalten Kulturkrieg. Das
umfasst die Verbreitung von Lügen und all jener [Propaganda]tricks, die
die Völker auf beiden Seiten mit Hass und Zwietracht erfüllen. Derzeit
sehen wir, wie diese Feindschaft tagtäglich und bis zu einem Maß, das
wohl nur Gott kennen mag, größer wird."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
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