Ein sauberer Bruch:
Eine Neue Strategie zur Sicherung des Reiches
Die
mißlungene Instrumentalisierung Israels zur Durchsetzung
US-amerikanischer strategischer Interessen im Mittleren Osten und
die Folgen
Von Gudrun Eussner
Der im Mai 1996 zum
israelischen Premierminister gewählte Benjamin Netanyahu hat es
trotz seiner intimen Kenntnis der USA mit diesen nicht leicht. In
den 80er Jahren gehört er als Mitglied seiner Botschaft der ersten
Delegation zur Verhandlung einer strategischen Zusammenarbeit
zwischen Israel und den USA an. Dann wird er für vier Jahre Israels
UN-Botschafter. 1988 kehrt er nach Israel zurück und wird als
Likud-Abgeordneter Stellvertretender Außenminister. Während des
ersten Golfkrieges festigt er im internationalen Einsatz seine
politische Position.
Im Zuge der nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion und des von den USA gewonnenen
Golfkrieges veränderten geopolitischen Lage im Mittleren Osten lädt
US-Außenminister James Baker, die Lage nutzend, Israel, Jordanien,
den Libanon, die Palästinenser und Syrien im Oktober 1991 nach
Madrid zu Friedensverhandlungen ein. Hier profiliert sich Benjamin
Natanyahu in direkten Verhandlungen zwischen Israel einerseits und
Syrien, dem Libanon sowie einer gemeinsamen
jordanisch-palästinensischen Delegation andererseits weiterhin als
ausgezeichneter Fachmann, was ihm im März 1993 den Vorsitz des Likud
und im Mai 1996 die Wahl zum Premierminister einbringt. (1)
Dem frisch gewählten
Premierminister legt am 8. Juli 1996 eine "Studiengruppe zu einer
Neuen israelischen Strategie in Richtung auf das Jahr 2000" des
Jerusalemer Institute for Advanced Strategic and Political Studies
(IASPS) einen Bericht vor." Ein sauberer Bruch: Eine Neue Strategie
zur Sicherung des Reiches". Die acht Mitglieder der Studiengruppe
sind:
Richard Perle,
American Enterprise Institute, Leiter der Studiengruppe
James Colbert, Jewish Institute for National Security Affairs
Charles Fairbanks, Jr., Johns Hopkins University/SAIS
Douglas Feith, Feith and Zell Associates
Robert Loewenberg, Präsident, IASPS
Jonathan Torop, The Washington Institute for Near East Policy
David Wurmser, Institute for Advanced Strategic and Political
Studies
Meyrav Wurmser, Johns Hopkins University
Verfasser des Berichtes ist
Richard Perle.
Der Bericht soll dem
Premierminister teilweise als Redevorlage dienen. Die in der Rede
wörtlich zu zitierenden Stellen sind hervorgehoben. Die strategische
Richtung der Politik Israels ist im einzelnen vorgegeben:
-
Enge Zusammenarbeit mit der
Türkei und Jordanien zur Begrenzung, Destabilisierung und
Zurückdrängung einiger der schlimmsten Bedrohungen,
-
grundsätzliche Änderung der
Beziehungen zu den Palästinensern, einschließlich der
Aufrechterhaltung des Rechtes auf "hot pursuit", des hart auf
den Fersen Bleibens, hinein in die palästinensischen Gebiete,
zur Selbstverteidigung, und Unterstützung von Alternativen zu
Jasser Arafat, sowie
-
Schmieden einer neuen
Grundlage für die Beziehungen zu den USA, mit Betonung auf
Selbständigkeit, Reife, strategischer Zusammenarbeit in
Bereichen beiderseitigen Interesses.
Benjamin Netanyahu soll Israel
aus dem Griff der Arbeiterpartei befreien, die die zionistische
Bewegung 70 Jahre beherrscht habe. Um den Zionimsus wieder
aufzubauen, müsse umgehend mit Wirtschaftsreformen begonnen werden.
Den USA könne es gefallen, wenn
Israel gegen die Hizbollah, Syrien und den Iran vorginge, durch
Kampf gegen syrisches Drogengeld, durch militärische Angriffe auf
Syrien vom Libanon aus, mittels Stellvertreterkämpfern (proxy
forces), und israelische Angriffe auf syrische militärische Ziele im
Libanon, und wenn sich das als unzureichend herausstelle, auf
ausgewählte Ziele in Syrien selbst. Israel wird von der
Studiengruppe beauftragt, sein strategisches Umfeld neu zu ordnen,
gemeinsam mit der Türkei und Jordanien die Macht Syriens zu
schwächen, einzudämmen und sogar zurückzudrängen.
"Diese Anstrengung kann sich auf
die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht im Irak konzentrieren
- ein von sich aus wichtiges strategisches Ziel Israels - als
Mittel, die regionalen Ambitionen Syriens zu durchkreuzen."
Erwogen wird, was auch im
Interesse Israels sei, die Wiedereinsetzung des haschemitischen
Königshauses im Irak. König Hussein von Jordanien habe derartige
herausfordernde Vorschläge gemacht, was Syrien und Iran veranlaßt
habe, sich für den Erhalt eines geschwächten, nur eben
überlebensfähigen Saddam Hussein auszusprechen. Wenn die Haschemiten
im Irak herrschten, könnten sie von Nadschaf aus die Schiiten von
der Hizbollah, dem Iran und Syrien abhalten.
Die bisherige aktive
Unterstützung Israels durch die USA habe die andauernde Bestechung
repressiver und aggressiver Regime erfordert, was gefährlich, teuer
und kostspielig sowohl für die USA als auch für Israel gewesen sei.
Die USA seien dadurch in eine Rolle geraten, die sie weder haben
noch wünschen sollten. Von Israel wird eine gleichberechtigte
Partnerschaft auf der Grundlage von Selbständigkeit, Reife und
Gegenseitigkeit verlangt, die nicht eng auf umstrittene Gebiete
konzentriert sein dürfe. Israel müsse sich in die Lage versetzen,
seine eigenen Angelegenheiten allein zu regeln und sich selbst zu
verteidigen, auch auf den Golanhöhen. Die Ersetzung der
sozialistischen Grundlagen Israels durch solidere Verhältnisse,
durch Liberalisierung der Wirtschaft, Steuersenkungen, Einrichtung
einer Freihandelszone und Veräußerung staatlicher Ländereien und
Betriebe, seien dazu Voraussetzung. Das würde auch israelfreundliche
Abgeordnete wie den Fraktionsvorsitzenden Newt Gingrich
elektrisieren und beeindrucken. Benjamin Netanyahu könne zusätzlich
seinen Wunsch deutlich machen, mit den USA noch enger bei der
Aufrüstung des Weltraumes (NMD) zusammenzuarbeiten. Das alles
möglichst noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, im
November 1996. (2)
Die Aufforderungen der
US-Falken, Syrien und den Irak anzugreifen, weist Benjamin Netanyahu
weise zurück. Wenn man sieht, welch eines militärischen Aufwandes
der USA und Großbritanniens es jetzt bedurfte, sich Saddam Husseins
und seiner Regierung zu entledigen, so kann man die Infamie der
Vorschläge der Studiengruppe ermessen. Es ist fraglich, ob die Pläne
des Pentagons, sich nun unmittelbar Syriens anzunehmen und das Land
mit Krieg zu überziehen, von den USA wirtschaftlich und politisch
verkraftet werden können.
Der Bericht zeigt deutlich, daß
Israel den USA zu teuer wird. Es ist weiter aufschlußreich, daß die
Mitglieder der Studiengruppe, mehrheitlich Juden der USA, sich wenig
um das Ergebnis ihrer Vorschläge für das Schicksal Israels und
seines Fortbestehens zu kümmern scheinen. Selbst wenn man davon
ausgeht, daß die USA die militärischen Abenteuer Israels in Syrien
und im Irak unterstützt hätten, so wäre doch ein Angriff arabischer
Staaten auf Israel wahrscheinlich geworden. Was das für Israels
Fortbestehen bedeutet hätte, kann man sich ausmalen.
Hinzu kommt auch, daß Israel
genau wie andere "Freunde" der USA allen Grund hat, diesen zu
mißtrauen. Zwar sieht man hierzulande die USA als die Verteidiger
Israels an, Antisemiten verbreiten sogar, der Krieg im Mittleren
Osten werde für Israel geführt, aus dem Bericht geht jedoch etwas
anderes hervor, nämlich, daß Israel von den USA genauso behandelt
wird wie jedes Land. Es hat sich wirtschaftlich zu öffnen, und es
hat den USA nicht zur Last zu fallen. Der Krieg im Mittleren Osten
wird unabhängig davon geführt, was für Israel dabei herauskommt. Der
Krieg ist zu allererst im Interesse der defizitären US-Wirtschaft.
Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hätten die USA
gemeinsam mit der "internationalen Staatengemeinschaft" längst
anderweitig lösen können. Es war nicht in ihrem Interesse, denn die
Unterstützung der einflußreichen Juden für die hegemonialen
Bestrebungen der USA kann nur gesichert werden, wenn bei jenen der
Eindruck vorherrscht, die Anstrengungen würden zugunsten Israels
unternommen. Weder George W. Bush noch Donald Rumsfeld, Dick Cheney,
Frank Carlucci und andere Großverdiener am Krieg sind Juden. Sie
wissen die Juden zu ihren Gunsten zu manipulieren, und einige von
ihnen verdienen auch mit. Die Angst der Juden um ihren Staat, in den
sie, wenn nötig, emigrieren können, wird von den Verdienern am
Rüstungs- und Erdölgeschäft für ihre Zwecke ausgenutzt.
Das Imperium wählt seine Ziele
nicht auf Grund von Vorzügen, es schützt keine "alten Freunde".
Jugoslawien war ein treuer Diener - aber Jugoslawien wurde zerstört.
Die Baath-Faschisten wurden mit allen Mitteln gegen die Iraner
unterstützt, aber noch bevor der Kalte Krieg richtig bendet war,
wurde der Irak mit Bomben überzogen. Die Leute sehen die USA als
Israels Verteidiger an - aber die Geheimdienste der USA haben
anti-israelische Organisationen im gesamten Mittleren Osten
finanziert, einschließlich in der West Bank, im Gaza Streifen und in
Israel selbst. US-kontrollierte Staaten wie Katar finanzieren
anti-israelische Fernsehprogramme, und die CIA hat kurz nach der
Unterzeichnung des Vertrages von Oslo, wenn nicht schon vorher,
damit begonnen, PLO-Kräfte militärisch auszubilden. Man kann sagen:
Das Imperium hat keine Freunde, es hat nur zukünftige Opfer,
schreibt Jared Israel. (3)
Als Israel nicht mittut, nicht
den Stellvertreter für die Vertretung der Interessen der US-
Rüstungs- und Erdöl-Lobby im Mittleren Osten abgibt, wird im
Frühjahr 1997 das Project for the New American Century (PNAC) zur
Förderung der amerikanischen Weltführung (to promote American global
leadership) gegründet. Das Projekt ist eine Initiative des
Herausgebers des "Weekly Standard" William Kristol. Er ist dessen
Präsident. Exekutivdirektor des PNAC ist Gary Schmitt.
Die erste Erklärung des PNAC,
vom 3. Juni 1997, geht mit der Außen- und Verteidigungspolitik
Clintons ins Gericht. Sie entsprächen nicht der Vormachtstellung der
USA in der Welt, und das Verteidigungsbudget sei zur Durchsetzung
der weltweiten amerikanischen Interessen unzureichend. Die Erklärung
fordert auf, Unterstützung für die Weltführung der USA zu sammeln.
Die Geschichte des 20.
Jahrhunderts, meint die Erklärung, sollte die USA gelehrt haben, daß
die amerikanische Weltführung offensiv wahrgenommen werden muß. Das
müsse folgende Konsequenzen haben:
-
signifikante Aufstockung des
Verteidigungshaushaltes, wenn die weltweiten Verantwortungen
wahrgenommen und die Modernisierung der Streitkräfte in Zukunft
gesichert werden sollen,
-
Verstärkung der Bindungen zu
demokratischen US-Verbündeten und Herausforderung an Regime, die
den US-Interessen und -Werten feindlich gesonnen sind,
-
Förderung politischer und
wirtschaftlicher Freiheit im Ausland,
-
Übernahme der Verantwortung
für die einzigartige Rolle der USA zum Schutz und zur Ausweitung
einer der Sicherheit, dem Wohlergehen und der Werte der USA
wohlgesonnenen internationalen Ordnung.
Diese Erklärung, gewissermaßen
das Gründungs-Statement, wurde unterschrieben von 25
neo-konservativen Politikern, von denen einige heute in
höchstrangigen Stellungen der US-Regierung sind. (4)
Mitglieder des PNAC schreiben
seit dessen Gründung hin und wieder Briefe an den US-Präsidenten,
mit Datum vom 26.1.1998 und vom 19.2.1998, an William J. Clinton,
und mit Datum vom 20.9.2001 an George W. Bush.
Sie fordern zunächst von William
J. Clinton und dann von George W. Bush die sofortige Ausdehnung des
US-Krieges auf den Irak, und sie fordern, Kriegsdrohungen an den
Iran, an Syrien und an jeden Staat zu übermitteln, der sich dem
Willen der USA nicht beugt. Sie fordern dazu eine massive
Aufstockung des Verteidigungshaushaltes. Das PNAC gibt des öfteren
Erklärungen (Statements) zu außenpolitischen und
militärstrategischen Fragen heraus. Sie dienen ebenfalls der
Anheizung von Auseinandersetzungen, Krisen und Kriegen in aller
Welt. (5)
Am 23. Januar 2003 fordert das
PNAC in einem Brief an den US-Präsidenten George W. Bush eine
Aufstockung des US-Verteidigungshaushalts um 70 bis 100 Milliarden
Dollar.
Der sich ohnehin schon auf 400
Milliarden Dollar belaufende Haushalt soll nun weiter wachsen, um
jetzt und in der Zukunft einer Vielzahl weltweiter Herausforderungen
gerecht werden zu können, um "unsere Interessen und unsere
Prinzipien auf dem ganzen Globus angemessen zu verteidigen. Saddam
zu beseitigen ist nur der erste Schritt in Richtung auf den
Wiederaufbau einer anständigen (decent) Regierung im Irak und der
Ausführung Ihrer strategischen Vision für den Mittleren Osten.
Andere Schurkenstaaten bleiben ein wichtiges Problem. In der Tat
stehen wir jetzt dem Szenario der zwei Kriege gegenüber: Selbst wenn
wir Truppen für den Krieg gegen den Irak einsetzen, hat Nordkorea
seinen Vertrag zur Beendigung der Entwicklung von Nulearwaffen außer
Kraft gesetzt und droht mit Krieg, wenn es nicht befriedet wird. Das
dritte Mitglied der 'Achse des Bösen', Iran, hat ebenfalls seine
Nuklearanstrengungen erhöht", schreiben die Unterzeichner an den
US-Präsidenten. Die USA bereite die Ausdehnung ihrer Präsenz von
Kabul aus in die umliegenden Provinzen vor, die Truppen würden dabei
auch über die Grenzen, nach Pakistan hinein vorstoßen, und die USA
hätten sich zu einer langfristigen militärischen Präsenz in
Zentralasien verpflichtet. China entwickle, wie die US-Regierung
selbst einräume, fortgeschrittene militärische Fähigkeiten, die ihre
Nachbarn bedrohen können. Nicht zu vergessen, daß amerikanische
Truppen auf dem Balkan und im Sinaï den Frieden sicherten und an
unzähligen anderen Krisenherden der Welt patroullierten. (6)
Welche Folgen für Israel diese
größenwahnsinnige Politik haben wird, darüber macht sich keiner der
als Statthalter Israels geltenden amerikanischen Juden Sorgen. Sie
sind wie Richard Perle mit der US-Rüstungsindustrie engstens
verbunden, dort liegt ihre Loyalität. Die Mitglieder der
Studiengruppe von 1996 sind heute sämtlich in hohen Regierungsämtern
oder in ultrakonservativen Institutionen tätig. James Colbert,
Charles Fairbanks, Robert Loewenberg und Jonathan Torop sind in
denselben Instituten wie 1996:
-
Richard Perle war bis vor
kurzem Vorsitzender des Verteidigungsrates des Pentagon, wo er
heute als Mitglied tätig ist.
-
Douglas Feith ist
Staatsekretär für Politik im Pentagon. Er hat über die Jahre die
meisten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den
Palästinensern hintertrieben.
-
David Wurmser ist im
US-Außenministerium spezieller Assistent des Staatssekretärs für
Waffenkontrolle und internationale Sicherheit John Bolton.
Dieser hat israelischen Regierungsbeamten im Februar 2003
erklärt, daß die USA sich nach dem Sieg im Irak umgehend mit dem
Iran, Syrien und Nordkorea befassen würden (deal with).
-
Meyrav Wurmser ist
Mitbegründerin des in Washington ansässigen Middle East Media
Research Institute (Memri), das arabische Artikel ins Englische
übersetzt und verbreitet.
-
Im in Washington ansässigen
Jewish Institute for National Security Affairs (Jinsa) des James
Colbert sitzen u.a. Dick Cheney, John Bolton und Douglas Feith
im Aufsichtsrat. Dort sitzen ebenfalls ehemalige US-Offiziere,
die beste geschäftliche Kontakte zu US-Rüstungsfirmen haben, die
Israel mit Waffen beliefern.
Der Exekutivdirektor des Jinsa
Tom Neumann erklärt, daß Jordanien den Irakkrieg mit Hilfe der USA
überstehen werde, ebenso wie einige Scheichtümer, das jetzige
saudische Regime dagegen wahrscheinlich nicht. Nach dem Sieg über
Saddam Hussein, der ja inzwischen errungen ist, solle eine
haschemitische Monarchie in Baghdad errichtet werden. Die USA denken
dabei an Hassan, den Bruder des verstorbenen jordanischen Königs
Hussein. Um seine Einsetzung als König wird sich Michael Rubin, vom
American Enterprise Institute (AEI), demnächst kümmern. Irak
jedenfalls sei nur der Anfang, der "taktische Angelpunkt", wie
Laurent Murawiec, von der Rand Corporation, eingeladen von Richard
Perle, dem Pentagon vorstellt. Das strategische Ziel sei
Saudi-Arabien und das Endziel Ägypten. (7)
Und so meint George Friedman,
Begründer von STRATFOR, denn auch: Irak ist eine Kampagne in einem
viel größeren Krieg, und nicht ein Krieg für sich selbst. Wir
glauben nicht, daß der Krieg jetzt zu Ende ist. Es seien
außerordentlich komplexe politisch-militärische Aufgaben (missions)
zu erfüllen. Besonders im Norden bleibe die Lage zwischen Kurden,
Türken, Iranern und Syrern komplex, dynamisch und undurchsichtig.
(8)
Den Süden, um Nadschaf und
Kerbala erwähnt er nicht. Dort ist die Lage noch heikler, denn mit
Kurden und Türken werden die USA allemal fertig, aber die Iraner und
ihr Einfluß auf die schiitischen Massen sind nicht zu unterschätzen.
Das Schicksal des aus dem Exil in England heimgekehrten Ayatollahs
Sayyid Abd el-Majid al-Khoei mag dafür
exemplarisch stehen. Was mit der dritten Verwaltungseinheit, der
Hauptstadt Baghdad passiert, wird ebenfalls zeigen, daß der Krieg
nicht vorbei ist. Auf die Entscheidungen der "Bürgermeisterin"
Barbara Bodine darf man gespannt sein. Beste Kontakte nach
Saudi-Arabien hat sie. Während ihrer Amtszeit wurde die USS Cole von
Terroristen bombardiert. Es war Barbara Bodine, die in ihrer
Eigenschaft als Botschafterin der USA im Jemen den FBI-Beamten John
O'Neill daran gehindert hat, seine Untersuchungen über Osama bin
Laden und die al-Kaida fortzusetzen.
George Friedman nennt als zwei
Gründe, die STRATFOR für den Angriffskrieg sieht:
-
Verwandlung der Psychologie
der islamischen Welt, die die USA bislang als grundsätzlich
schwach und unwillig angesehen hätten, Risiken einzugehen, um
ihr Ziel zu erreichen.
-
Nutzung des Irak als eine
strategische Basis, von der aus diejenigen islamischen Regime
angegangen werden, die entweder unfähig oder unwillig seien, der
al-Kaida oder anderen islamistischen Gruppen Zugang zu sie
stärkenden Ressourcen zu verweigern.
Merkwürdig ist seine
Einschätzung, die USA seien aus dem Krieg als weniger abhängig von
anderen hervorgegangen. Washington müsse nun weiter handeln, um die
Furcht in den arabischen Staaten aufrecht zu erhalten, und
gleichzeitig deren Haß abzubauen. Wie es den Irak verwalte, daran
sei das Ergebnis zu messen. Geostrategisch seien die USA bereits vom
Irakkrieg in die Phase der Konfrontation mit den umliegenden Staaten
übergegangen.
Die Probleme Syrien, Türkei und
Iran stünden an. Donald Rumsfeld habe ja bereits nicht mehr
ausgeschlossen, daß kriegerische Maßnahmen gegen Syrien ergriffen
würden. Die syrische Lage könnten die USA in den Griff bekommen.
Die Türkei sei einer der
wichtigsten strategischen Verbündeten der USA im Mittleren Osten,
zum nördlichen Kaukasus, nach Südosteuropa und zum Iran. Ein
andauerndes Zerwürfnis mit der Türkei sei unannehmbar. Der Schlüssel
zu einer Annäherung liege in der Begrenzung der Hoffnung der Kurden.
(8) Diese werden dann wohl wieder von den USA betrogen. Die
Erdölfelder von Kirkuk und Mossul jedenfalls werden sie nicht
erhalten.
George Friedmans Einschätzung
der Beziehung der USA zum Iran zeigt die Hilflosigkeit, die in den
USA diesem Land gegenüber herrscht. Während Teheran die Möglichkeit
stillschweigender Übereinkünfte mit den USA offenhalte, könnten die
pro-iranischen Schiiten jederzeit einen Guerillakrieg gegen die USA
beginnen. Iran wird seiner Ressourcen und seiner Politik wegen als
potentiell am gefährlichsten eingeschätzt.
Zu allem komme hinzu, daß die
USA ihre Beziehung zu Großbritannien regeln müßten. Dieses Land
steht zwischen Europa und den USA. Die Beziehungen zu Deutschland,
Frankreich und Rußland sind ebenfalls gestört. Die Tatsache, daß die
USA ihren Krieg ohne die Unterstützung dieser Staaten hätten führen
können, bedeute, daß die USA von ihnen unabhängig seien. Der
Irakkrieg habe in aller Öffentlichkeit gezeigt, daß diese Staaten
für die USA unwesentlich seien (irrelevant). Nun könnten die USA
ihre alleinige Kontrolle über den Irak nicht aufgeben, ohne die
Ziele aufzugeben, für die der Krieg geführt worden sei. (8)
Die Argumentation des Dr. George
Friedman ist noch nie so inkonsistent gewesen wie in dieser
Einschätzung der Lage nach dem Irakkrieg. Dieser ansonsten scharfe
Analytiker versagt auf der ganzen Linie. Er kann seiner Clientel
einfach nicht liefern, was diese lesen möchte. Die USA sprechen den
Staaten des Mittleren Ostens, Israel eingeschlossen, das Recht auf
Eigeninteressen ab. Deutschland, Frankreich und Rußland werden
ebenfalls keine Eigeninteressen zugebilligt. Deshalb können sie
diese Interessen nicht klar einschätzen. Deshalb wird Frankreich
beispielsweise in zahlreichen Haßartikeln des Opinion Journal des
Wall Street Journal als feige, Deutschland als deppert und Rußland
als immer schon unzuverlässig eingestuft.
Der erste US-Falke, der kalte
Füße kriegt, scheint Robert Kagan zu sein. Er, der gemeinsam mit
William Kristol und den anderen Falken seit der Gründung des PNAC,
im Frühjahr 1997, das lauteste Kriegsgeschrei angestimmt hat, läßt
ganz neue Töne vernehmen: "Supermächtigen Versuchungen widerstehen",
ist seine Kolumne überschrieben. (9)
Er wendet sich dagegen, Ahmad
Chalabi als irakischen Präsidenten einzusetzen, denn es gebe auch
Führer aus dem Lande. Der Schiite Ahmad Chalabi ist mit einigen
abenteuerlichen Ausnahmen seit 1958 im Exil. Es mag allerdings diese
Argumentation mit dem Wunsche zusammenhängen, den haschemitischen
König Hassan in Baghdad zu krönen.
Robert Kagan plädiert weiterhin
für einen Ausgleich mit der Türkei. Wenn man der Einschätzung des
George Friedman über die strategische Wichtigkeit er Türkei folgt,
wäre der Schritt nur vernünftig. Diesen Schritt will Robert Kagan
tun. Er meint, der Welt einzige Supermacht habe es nicht nötig zu
schmollen, und manchmal könnte sie sich das auch gar nicht leisten.
Für die Beziehung zu Europa
sieht er es ähnlich. Zwar sollte man Tony Blair belohnen und man
könne auch keine größeren Geschäfte mit Frankreich machen, solange
Jacques Chirac sich als großes Gegengewicht zu den USA präsentiere,
aber die EU sei eben die dominierende politische Institution in
Europa. Das ablehnende Europa zu strafen, würde Tony Blair zu Hause
nicht helfen.
Man traut auch seinen Augen
nicht, wenn man liest, Colin Powell habe in Brüssel eine gute Arbeit
geleistet. Deutschland wird besonders gelobt, da es den USA während
des Irakkrieges die Überflugrechte nicht verweigert, die Nutzung der
Militärbasen nicht untersagt und da es Patriot Raketen an Israel
geliefert habe. Je mehr die USA Deutschland "straften", desto mehr
trieben sie ein ängstliches, isoliertes Deutschland (an anxious,
isolated Germany!) in die offenen Arme Frankreichs.
Die USA müßten auch über das
Ende des Irakkrieges hinaus die öffentliche Meinung weltweit
beeinflussen, um die Notwendigkeit des Krieges nachträglich zu
verdeutlichen. Herzen und Hirne in Europa, vielleicht sogar in der
arabischen Welt könnten gewonnen werden.
Zum Schluß plädiert Robert Kagan
dafür, daß irgendein Milliardär etwas Ähnliches wie ein "Holocaust
Museum" in Baghdad finanzieren sollte, um an die Leiden zu erinnern,
die im letzten Vierteljahrhundert über die irakischen, kuwaitischen
und iranischen Menschen gebracht wurden. (9)
Da zeigt sich wieder die
Relativierung des Verbrechens der Ermordung von sechs Millionen
Juden durch die Deutschen. Man kann von dem diktatorischen Regime
des Saddam Hussein sagen, was man will, es ist niemals
gleichzusetzen mit dem Nazi-Regime, das ein ganzes Volk, nur weil es
zu einer mißliebigen Rasse gehörte, ausrotten wollte, und es
größtenteils ausgerottet hat. Die US-Falken instrumentalisieren
einfach alles, wenn es darum geht, die Hegemonie der USA zu sichern,
auch tote Juden, lebende Juden, Israel.
Anmerkungen:
(1) Benjamin Netanyahu. Yewish Virtual
Library. A Division of The American-Israeli Cooperative Enterprise.
http://www.us-israel.org/jsource/biography/netanyahu.html
(2) A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm
http://www.israeleconomy.org/strat1.htm
(3) Who
is this U.S. Official in Charge of Afghanistan and the Iraqi
Opposition? - Zalmay Khalilzad - Envoy for Islamic Terror. Compiled
with comments by Jared Israel, Posted 1 March 2003
http://emperors-clothes.com/archive/khalilzad-facts.htm
(4) PNAC Statement of Principles, June
3, 1997
Die Unterzeichner sind:
Elliott
Abrams, Gary Bauer, William J. Bennett, Jeb Bush, Dick Cheney, Eliot
A. Cohen, Midge Decter, Paula Dobriansky, Steve Forbes, Aaron
Friedberg, Francis Fukuyama, Frank Gaffney, Fred C. Ikle, Donald
Kagan, Zalmay Khalilzad, I. Lewis Libby, Norman Podhoretz, Dan
Quayle, Peter W. Rodman, Stephen P. Rosen, Henry S. Rowen, Donald
Rumsfeld, Vin Weber, George Weigel, Paul Wolfowitz
http://www.newamericancentury.org/statementofprinciples.htm
(5) PNAC Letters and Statements
http://www.newamericancentury.org/lettersstatements.htm
(6) Brief an den US-Präsidenten, vom 23.1.2003
http://www.newamericancentury.org/Bushletter-012303.htm
(7) Playing skittles with Saddam, by Brian Whitaker, The Guardian,
September 3, 2002
http://www.guardian.co.uk/Print/0,3858,4493638,00.html
(8) After Iraq: The Ongoing Crisis, by Dr. George Friedman, The
STRATFOR Weekly, 10 April 2003
(9) Resisting Superpowerful
Temptations by Robert Kagan, Washington Post, April 9, 2003
http://www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn/A60003-2003Apr8?language=printer
hagalil.com
21-04-2003 |