
Verhaltener Ärger:
Zufriedenheit in Israel, Enttäuschung auf palästinensischer
Seite
JERUSALEM taz Die Rede Bushs hat in israelischen
Regierungskreisen Genugtuung ausgelöst. Premier Ariel Scharon erklärte,
er habe schon früher immer gesagt, dass Fortschritte nur auf
diplomatischem Weg erzielt werden könnten.
Zunächst müssten Terror und Gewalt beendet und die
Autonomiebehörde unter neuer Führung reformiert werden. Auf
palästinensischer Seite waren die Reaktionen differenzierter. Während
Bushs Vision von einem demokratischen palästinensischen Staat mit
ordentlichen Institutionen, einer unabhängigen Justiz und blühender
Wirtschaft bei palästinensischen Sprechern Anklang fand, wurde die
Delegitimierung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat als
erniedrigend empfunden. Arafat selbst begrüßte die in der Rede
vorgestellten Ideen und hoffte, sie stellten einen "ernsthaften Beitrag
zum Voranbringen des Friedensprozesses" dar.
Die Reaktionen in Israel entspringen der Erleichterung darüber, dass die
Bemühungen Scharons in Washington Früchte getragen haben. Selbst Avigdor
Lieberman von der extrem-rechten Oppositionspartei Israel Beitenu fand
die Rede "positiv und konstruktiv". Bush erteilte der Führung Arafats
eine klare Absage. Diese Haltung, hieß es aus dem Weißen Haus, habe sich
beim US-Präsidenten nach den jüngsten Selbstmordanschlägen in Jerusalem
herauskristallisiert. Arafat dürfe, wenn überhaupt, nur noch eine
repräsentative Rolle in der Palästinenserverwaltung spielen. Jerusalem
darf auf dramatische Veränderungen in der Palästinenserführung warten
und wird weder zur Beendigung seines Einmarsches in die autonomen
Gebiete aufgefordert, noch auf die ehemalige grüne Linie (die Grenzen
von 1967) zurückgepfiffen. Selbst die Anregung zum Rückzug auf die
Linien vom Herbst 2000 - vor Ausbruch der Intifada II - fiel schwach
aus.
Daran knüpfte die zögernde bis ablehnende Reaktion von Führern der
Arbeitspartei an. Außenminister Schimon Peres sagte im Rundfunk, die
Rede zeige zwar akzeptable Ziele auf, biete jedoch keine Wegbeschreibung
dorthin. Der Arbeitspartei-Abgeordnete Haim Ramon stellte sarkastisch
fest, Bush habe mit wohlklingenden Worten seine Abschiedsrede vom
ernsthaften Nahost-Engagement gehalten. Der US-Präsident müsse wissen,
dass er aus Palästina kein "Mini-Amerika" machen könne, nachdem es den
USA trotz schärfster Boykottmaßnahmen auch in Kuba seit über vierzig
Jahren nicht gelänge, das Regime von Fidel Castro zu kippen.
Unter den, oberflächlich betrachtet, positiven palästinensischen
Reaktionen auf die Möglichkeit eines palästinensischen Staates und ein
Ende der Besatzung schwärt Enttäuschung über Bushs israelfreundliche
Einseitigkeit und die Schärfe der Bemerkungen über die Natur der
Autonomieführung. "Jassir Arafat wurde in demokratischen Wahlen zum
palästinensischen Führer gewählt, und Präsident Bush muss das
akzeptieren", betonte Minister Saeb Erekat. Die Fatah-Führung erklärte
am Dienstag, man arbeite ja bereits an Reformen in der
Palästinenserverwaltung, aber die extreme Kritik am "Symbol Arafat" habe
Präsident Bush als Vermittler aus dem Ring geworfen. Der arabische
Knesset-Abgeordnete und Arafat-Berater Achmed Tibi wies darauf hin, dass
die respektlose Einmischung Bushs in innere palästinensische
Angelegenheiten Arafat für zukünftige Wahlen breiteste Unterstützung in
Aussicht stelle. "Wie hätte die israelische Öffentlichkeit auf eine
Anregung Bushs reagiert, es sei an der Zeit, Ariel Scharon
auszuwechseln?", fragte Tibi empört.
ANNE PONGER
taz Nr. 6784 vom 26.6.2002, Seite 3, 95 TAZ-Bericht ANNE
PONGER
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haGalil onLine 26-06-2002 |