Bush in der spanischen Falle:
Eine historische Analogie gegen aktuelle Blödeleien
Von Max Brym
Geschichte ist geronnene Erfahrung. Wer aus
historischen Erfahrungen nichts lernt, wird aktuell schwere
praktische und ideologische Fehler begehen. In den Dokumenten der
"Neokonservativen Denkfabriken" der USA ist konzeptionell die
"Demokratisierung" des Nahen Ostens sowie die Permanenz der
bürgerlichen Umgestaltung in der Region als Ziel benannt. Natürlich
hat die "Revolution" durch militärische Gewalt von außen zu
erfolgen. Nehmen wir für einen Moment an, die Sache mit der
"Demokratisierung" wäre ernst gemeint und die militärische Annexion
des Irak ist nur der erste Baustein, um lautere "demokratische
Wohltaten" abzuliefern. Wie steht es mit den Aussichten für dieses
Vorhaben?
Ein Blick in die Geschichte müßte genügen, um das
politische Fiasko treffsicher vorauszusagen. Bush sitzt wie Napoleon
ab 1808 in der spanischen Falle. Natürlich kann Bush nicht mit dem
genialen Korsen Napoleon verglichen werden. Der Geschmack und der
Intellekt verbietet eine solche Gleichsetzung. Dennoch ist eine
bestimmte historische Analogie nützlich, ein historischer Vergleich
ist ein Vergleich und keine Gleichstellung, wie es die deutsche
Sprache oft nahelegt. Die Analogie kann helfen gegebene Realitäten
besser zu begreifen, sowie Prognosen treffsicherer zu machen.
Napoleon und Spanien
In seinen Memoiren schreibt Napoleon über sein
spanisches Abenteuer ab 1808: "Ich habe diese Angelegenheit falsch
angepackt, das gebe ich zu: die Sittenlosigkeit brach immer wieder
durch, die Ungerechtigkeit war zu unverschämt und der Gang der Dinge
war unschön, deshalb bin ich unterlegen." Napoleon schrieb seine
Memoiren, um seine Person zu mystifizieren. Während seiner aktiven
Zeit wollte er mittels der Kontinentalsperre, die englische
Industrie zugunsten der jungen französischen Industrie schwächen.
Anfang 1808 wurde unter General Junot Portugal besetzt. Kurz darauf
versuchte Napoleon die spanischen Wirren auszunützen und setzte
seinen Bruder Joseph auf den Thron Spaniens. Am 2. Mai erhob sich
das Volk von Madrid, Murat schlug den Aufstand blutig nieder,
unterstützt von der über die Ausschreitungen des Pöbels entsetzten
Bourgeoisie.
In Bayonne nutzte Napoleon die
Meinungsverschiedenheiten seiner spanischen Gäste und erreichte auf
diese Weise die Abdankung der spanischen Thronaspiranten. Durch das
Dekret vom 10. Juli 1808 wurde Joseph zum König von Spanien ernannt.
Eine nach Bayonne einberufene Kommission von spanischen Notabeln,
die aufgeklärten Kreisen angehörten, machte sich daran, eine
Verfassung aufzusetzen. Der Verfassungsentwurf war stark an den Code
Civil angelegt und stellte als Text einen ungeheuren Fortschritt
gegenüber den damaligen spanischen Zuständen dar. Dennoch erhob sich
das spanische Volk neuerlich unter Führung des Adels und der
Geistlichkeit gegen die "ketzerischen Franzosen", die "Verfolger des
Papstes" und gegen das politische und gesellschaftliche System, das
sie einführen wollten.
Spanien war eine Vendee, heroisch und reaktionär. Im
ganzen Land bildeten sich Junten, um den Kräften der Rebellion einen
gewissen Zusammenhalt zu geben. Napoleon sah sich zum ersten mal mit
einer nationalen Widerstandsbewegung konfrontiert und mit einem
Krieg, der sich den Regeln seiner Strategie entzog. Joseph mußte das
in Aufruhr befindliche Madrid am 30. Juli, nach der Niederlage von
General Dupont am 22. Juli bei Bailen, verlassen. Die Revolte griff
auf Portugal über, wo die Engländer unter General Wellesley landeten
und Junot am 30.August in Sintra zur Kapitulation zwangen. Das waren
die ersten militärischen Niederlagen Napoleons in Europa.
Bonaparte war allerdings davon überzeugt, dass die
Fehlschläge auf der iberischen Halbinsel, auf die Unfähigkeit seiner
Untergebenen zurückzuführen seien. Persönlich versuchte er die Lage
wiederherzustellen. Im November 1808 bezwang er mit 180.000 Soldaten
und 30.000 Haudegen der alten Garde den Paß von Somosierra und
öffnete dadurch den Weg nach Madrid. Dort schaffte er die
Feudalrechte und die Inquisition ab und löste zwei Drittel der
Klöster auf. Joseph wurde wieder zum König ernannt. Spanien kam
allerdings nie zur Ruhe, es war bis 1813 im permanenten
Kriegszustand. Der Krieg war ein Guerillakrieg, die Bauern bildeten
die Basis des Widerstandes. Objektiv handelten sie gegen ihre
eigenen Interessen. Sie kämpften mit dem Klerus und dem Adel, ergo
mit ihren Ausbeutern gegen die fortschrittlichen Besatzer. Aber
Besatzung bleibt Besatzung, das Hauptinteresse der französischen
Macht war der Kampf gegen England. Zudem bestand die Maxime der
napoleonischen Armee darin, sich aus dem eroberten Gebiet zu
ernähren. Demzufolge war die französische Okkupationsarmee eine
ausbeutende Kraft. Der Widerstand gegen Frankreich war legitim. Auch
an Grausamkeiten gegen spanische Zivilisten mangelte es nicht. Die
Bilder von Goya belegen dies hinreichend.
Das französische Kaiserreich hatte damals einen
Doppelcharakter, neben der fortschrittlichen Seite gab es eine
ausgesprochen reaktionäre. Festzuhalten bleibt, was die progressive
Tendenz angeht: "Es kann keine Revolution dauerhaft exportiert
werden oder anders ausgedrückt, niemand kann gegen seinen Willen
glücklich gemacht werden." Napoleon begreift das in seinen Memoiren,
obwohl er natürlich noch seinem Bruder eine verabreicht mit der
Bemerkung: "Joseph hat mich um Spanien gebracht". Letztendlich hat
die Okkupation Spaniens dem Hauptkonkurrenten des französischen
Kaiserreiches, England, genützt.
Bush erlebt sein Spanien
Die Besatzung des Irak wird von der Mehrheit der
Iraker nicht hingenommen. Es gibt gegen die Besatzung reaktionären
und fortschrittlichen Widerstand. Die USA hat, im Gegensatz zum
napoleonischen Kaiserreich, der Bevölkerung in sozialer und
rechtlicher Hinsicht nichts Positives anzubieten. Die
Bush-Administration hat ein Bündnis mit den kooperationsbereiten
Oberschichten des islamischen Fundamentalismus geschlossen.
Neuerdings werden auch Kader des faschistoiden Saddam Regimes
reaktiviert. Im Verfassungsentwurf für den Irak wird die Scharia als
wichtige Quelle des Rechts genannt. Angriffe gegen Frauen,
Frauenhandel sowie Übergriffe gegen autonome Frauenhäuser werden
durch die US-Verwaltung toleriert. Jede Demonstration von Arbeitern
und Gewerkschaftern wird von den US- Besatzern und islamischen
Fundamentalisten attackiert.
Gleichzeitig befindet sich die USA in einem
permanenten Kriegszustand mit den barbarischen "antiwestlichen"
Elementen des islamischen Fundamentalismus. Letztere werden von
kleinbürgerlichen Kräften geführt, die nationale und religiöse
Gefühle für ihre reaktionären Absichten instrumentalisieren. Das
Ziel der USA, in der Region stabile Verhältnisse zu schaffen,
verflüchtigt sich zunehmend. Ihre Propaganda die "Moderne" in die
arabische Welt zu bringen, ist ein Ammenmärchen. Ein Napoleon war
noch wesentlich näher an der bürgerlichen Aufklärung und scheiterte.
Von der heutigen Weltwirtschaftsordnung etwas anderes zu erwarten,
als Chaos, Schmutz, versuchter Ausbeutung und Krieg, ist mehr als
naiv. In Wahrheit ist klar, dass es imperialen Abenteurern nicht
mehr gegeben ist, progressive Entwicklungen in der Welt anzustoßen
(Napoleon konnte das noch in Austerlitz und Jena).
Der Sozialdemokrat Rudolf Hilferding beschrieb 1910
in seinem Werk "Das Finanzkapital" die Weltlage sinngemäß wie folgt:
"6 bis 7 imperialistische Räuberstaaten teilen die Welt unter sich
auf und beuten sie schamlos aus" und weiter, "wenn die Aufteilung
der Welt beendet ist, beginnt der Kampf um die Neuaufteilung". In
der Tat, die USA sind im Irak nicht wegen irgendwelcher
Menschenrechte, sondern wegen konkreter Profitinteressen und
geostrategischer Ambitionen. In Konkurrenz zur EU ( mit deutscher
Dominanz), soll der arabische Raum für die USA gesichert werden. Die
Rechnung wurde aber ohne den Wirt gemacht. Der Krieg hat die
fundamentalistischen Elemente im Irak gestärkt und den Nahen Osten
weiter destabilisiert.
Avi Primor schreibt in seinem Buch " Terror als
Vorwand" von einer "Gefahrenzunahme für Israel", denn im Irak wurde
nur das weltlich laizistisch reaktionäre Saddam Regime gestürzt.
Vorläufig profitiert davon der politische Islamismus. Ein Teil
dieser Strömung ist Kooperationsbereit und ein anderer Teil nicht.
In jedem Fall steht die US Regierung gegen jede Art von linker
Opposition im Irak. Die Kosten der Besatzung, die Opfer des
"Nachkrieges" sowie die chaotischen Verhältnisse nützen den
imperialen Konkurrenten der USA. Es ist kein Zufall, dass Gerhard
Schröder kürzlich auf seiner "Arabienreise" vermelden konnte: "Die
Deutsche Bank kann als erste ausländische Bank in Saudi-Arabien
Filialen eröffnen". Weitere Kontrakte konnten im Nahen und Mittleren
Osten für die deutsche Industrie unter Dach und Fach gebracht
werden.
Deutschland mit seinem vorläufigen "Frieden"
profitiert von der Aggressionspolitik der Bush-Administration. Der
"ehrliche Makler" Deutschland ist auf dem Vormarsch. Wie einst das
"perfide Albion" im Kampf gegen Napoleon, profitiert heute
Deutschland vom irakischen Fehler der amerikanischen
"Möchtegernbonapartisten".
hagalil.com
14-05-2004 |