Freunde in der Not:
Gibt es einen Politikwechsel der USA gegenüber dem
arabischen Nahen Osten?
"The Ba'ath Party had
come to control in 1963. We were very happy. They got rid of a lot
of communists. A lot of them were executed, or shot. This was a
great development."
James Akins, ehemaliger US-Botschafter im Irak
"Lange Zeit die
US-Politik darin tyrannische arabische Regimes zu unterstützen. Das
ist auf dramatische Art und Weise gescheitert. Das State Department
und die CIA (…) setzen aber weiter darauf, den Status Quo im Nahen
Osten zu erhalten. Der andere Flügel in der US-Administration -
vertreten durch die Falken im Verteidigungsministerium - analisiert
die US-Politik der letzten 30 Jahre und versteht die Fehler. Ihre
Politik zielt darauf, das Problem grundsätzlich anzugehen."
Kanan Makiya
Von Thomas v. der Osten-Sacken und Thomas Uwer
Nehmen wir einmal für einen Moment lang an, der
Irak-Krieg bliebe aus, der amerikanisch-irakische Konflikt eine
diplomatische Krise und der deutsche Wunsch nach Wahrung des Status
Quo mehr als eine vage Hoffnung. Etwas hätte die Krise dennoch
verändert. Die Politik vergangener amerikanischer Regierung ist
zumindest in den USA unwiderruflich in Frage gestellt und die
Geschichte, auf die man seit dem 11. September 2001 blickt, um
herauszufinden, wie es soweit hat kommen können, als ein
verheerendes Desaster entzaubert.
Von dieser Geschichte sprechen in der
amerikanischen Presse publizierte Bilder, wie jenes aus den
Achtzigern, auf dem Donald Rumsfeld Saddam Hussein die Hand
schüttelt, und die ausgegrabene Erinnerung an den Sturz Mossadeghs
mit Hilfe der CIA 1953, die Unterstützung des ersten ba'thistischen
Putsches im Irak 1963 oder der saudisch/ägyptisch co-produzierte
American Djihad in Afghanistan. Daraus ergibt sich, daß ungeachtet
der ständigen Klage arabischer Regime über die USA, diese immer dann
ein hilfsbereiter Verbündeter waren, wenn es galt, die fragile
nahöstliche Staatenordnung vor nationalen Unabhängigkeitsbewegungen,
islamischen Revolutionen und Kommunisten zu schützen. Das Ergebnis
ist selbst gemessen an diesen Zielen beklagenswert. Der arabische
Nahe Osten ist mehr denn je ein gefährliches "Pulverfass", dessen
Gewalt sich nun offen gegen die USA und ihre Verbündeten zu entladen
droht und dies obwohl in den letzten 30 Jahren alle Versuche, die
regionale Ordnung aufzubrechen (mit der Ausnahme des Iran) erfolglos
blieben, die kommunistischen Parteien samt und sonders entweder
vernichtet, ins Exil verdrängt oder durch beides domestiziert in den
Staatsapparat eingebunden, separatistische Bewegung zerschlagen
wurden, die Sowjetunion als Bezugspunkt aufgehört hat zu existieren
und auch die iranisch-islamische Revolution längst nur noch ein
Schatten ihrer selbst ist. Oder gerade deswegen?
Diese Geschichte wirft ein Licht auch auf den
Irak, die Opposition dort und den letzten Golfkrieg von 1991. Die
oft gestellte Frage, warum amerikanische Truppen im Frühjahr 1991
vor Bagdad einfach halt machten und es nicht nur unterließen,
Hussein zu stürzen, sondern ihm freie Hand bei der Niederschlagung
der ersten Volkserhebung gegen eine eigene Regierung im arabischen
Nahen Osten ließen, beantwortet sich mit Blick auf diese Politik,
die auf den unbedingten Erhalt von Staaten gegen ihre Bevölkerungen
setzte, von denen man nichts anderes erwartete, als daß sie diese
Staaten bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zerlegen würden.
Eine Erwartung, die sich nicht zuletzt aus der Erfahrung der eigenen
Politik des Blockkonflikts nährte, innerhalb dessen man selbst auf
die destabilisierende Wirkung separatistischer und partikularer
Bewegungen gegen Staaten gesetzt hatte, die mit der Sowjetunion
verbündet waren. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung auch schien es
der amerikanischen Regierung unvorstellbar, daß Menschen, die man
zuvor mit Bomben überzogen hatte, nicht zutiefst antiamerikanisch
sein könnten. Die Wiederherstellung des Status Quo Ante unter
Duldung des als kleinerem Übel betrachteten Saddam Hussein schien
angesichts dieser Befürchtungen weniger gefährlich, als der
erfolgreiche Aufstand einer Bevölkerung, der man zutiefst mißtraute.
Rückblickend stellte etwa Collin Powell, damals als General der
US-Streitkräfte einer der verantwortlichen Militärs vor Ort, fest,
der Erfolg dieser Revolte sei "keineswegs das Ziel der USA" gewesen
und fügte erklärend hinzu, der Aufstand sei ohnehin aussichtslos
gewesen. Das genaue Gegenteil dürfte der Wahrheit recht nahe kommen.
14 von 18 Verwaltungsdistrikten des Landes befanden sich in der Hand
der Aufständischen, die irakische Armee inklusive ihrer Führung
befand sich in einem Zustand der Auflösung. Nicht die Angst, an der
Seite der aufständischen Bevölkerung in eine militärische Falle zu
tappen, hielt damals die US-Armee zurück, sondern die Befürchtung,
der Aufstand könnte erfolgreich sein und die bisherige nahöstliche
Ordnung nachhaltig unterminieren.
So wie die Annahmen der US-Regierung aber wurden
auch die Befürchtungen ihrer seinerzeitigen Gegner widerlegt.
Entgegen der friedensbewegten Vorstellung vom "Krieg für Öl", die
der Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung ein subjektives
Antlitz verleiht, blieben die Eigentumsverhältnisse an den Ölquellen
in Kuwait unverändert und die Ölfelder des Südirak unbesetzt. Die
propagierte "Neue Weltordnung" konservierte vielmehr die altbekannte
Ordnung, ließ die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und die sie
tragenden Eliten unbeschadet oder setzte sie wieder in Kraft. Saddam
Hussein blieb an der Macht, in Syrien konnte Hafiz al-Assad mit
Billigung der USA seine Herrschaft durch die Annexion des Libanon
weiter sichern, in Kuwait wurde die alte Sabagh Dynastie wieder
installiert. Nur funktionierte die alte von Bush senior angestrebte
"Balance of Power" nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht
mehr, auch der folgende Versuch der USA sie in Madrid und Oslo
nachhaltig über Israel zu stabilisieren mißlang, die herrschenden
Regimes im arabischen Osten erwiesen sich als unfähig sich den neuen
Rahmenbedingungen anzupassen.
Wenn heute Politiker, wie der ehemalige
US-Botschafter in Bagdad James Akins, feststellen, die irakische
Bevölkerung hätte die US-Truppen wenn, dann nicht mit Steinen,
sondern mit Blumen beworfen, reflektiert dies das mit dem 11.
September offenbar gewordene Scheitern amerikanischer Nahost-Politik
bereits mit. Hätte man damals Saddam Hussein mit Hilfe der eigenen
Bevölkerung gestürzt, so glauben nicht wenige, wären den USA auch
die Anschläge von New York und Washington erspart geblieben. Wenn
schon nicht eine direkte Kausalität, dann doch zumindest einen
weiteren Zusammenhang zwischen dem Aufrechterhalten des irakischen
Regimes gegen die Bevölkerung als Teil vermeintlicher
Nahost-Stabilität und dem entfesselten Islamismus der Al-Qaeda sehen
im Gegensatz zu Europa die meisten amerikanischen Analysten. Daß der
Djihad gegen die USA nicht von jenen Bewegungen getragen wird, deren
umstürzlerische Gewalt man seit je im Nahen Osten fürchtete, sondern
von saudischen Eliten und sich zugleich mit der Ideologie arabischer
Regime deckt, stellt die gesamte Politik der USA gegenüber dem Nahen
Osten in Frage. Damit einher geht auch eine Neubewertung der
irakischen Opposition, der erst seit dem 11. September 2001 ein
ernsthaftes Interesse entgegengebracht wird.
So erscheint heute, nach dem Scheitern von Oslo,
auch das Entstehen einer organisierten irakischen Opposition als
einzig begrüßenswertes Resultat des damaligen Golfkriegs. Denn
objektiv hat die amerikanische Intervention damals die Grundlagen
dafür geschaffen, daß heute ein grundlegender Wandel innerhalb des
Irak möglich erscheint. Erstmals nämlich hatte sich in Folge des
Golfkrieges gezeigt, daß ein Sturz Saddam Hussein durch die Irakis
selbst möglich sein könnte. Ein Teil des Landes, Irakisch-Kurdistan,
befindet sich seitdem sogar außerhalb der direkten Kontrolle des
Bagdader Regimes. 1992 schlossen sich unterschiedlichste irakische
Oppositionsparteien in einem Bündnis zusammen, dessen erklärtes Ziel
der Sturz des Ba'th-Regimes und die Herstellung einer föderalen
Demokratie im Lande war. Diese Opposition befand sich weder im Kampf
mit dem "Zionismus" oder dem "US-Imperialismus", sondern suchte
Alliierte gegen den Diktator im eigenen Land. Vor allem die USA aber
begegneten dem Iraqi National Congress (INC) mit Mißtrauen, warum
ihre Politik ihm gegenüber auch über Jahre darin bestand, ihn durch
Finanzhilfen am Leben und abhängig zugleich zu halten, während sich
das Interesse der amerikanischen Regierung in Wirklichkeit darin
bestand, potentielle Nachfolger Saddam Husseins aus den Reihen der
irakischen Führung zu rekrutieren. Die innerhalb des INC
organisierten Parteien, wie die Irakische KP, die kurdischen
Parteien KDP und PUK oder der schiitische Hohe Rat der islamischen
Resistance (SCIRI), wurden als mögliche Regierungsparteien nicht in
Betracht gezogen. Im Resultat betrieb die Führungsspitze des INC
gezwungenermaßen bis Mitte der Neunziger Jahre eine Politik, die auf
einen Staatsstreich durch die militärischen Eliten in Bagdad setzte
und die Interessen der Mitgliedsparteien weitgehend vernachlässigte.
1996 zerbrach der INC de facto, als sich die kurdischen Parteien
weigerten, an einer Offensive gegen Stellungen der irakischen Armee
teilzunehmen, Kurden und Kommunisten verließen in Folge sogar das
Bündnis. Kurze Zeit später wurden die lokalen Strukturen des INC,
der im Nordirak zur Basis amerikanischer Nachrichtendienste geworden
war, durch den Einmarsch irakischer Truppen in der Stadt Arbil
zerstört und die CIA verlor ihre Operationsbasen im Nordirak.
Hier, in Irakisch-Kurdistan, zeigt sich das
gesamte Versagen amerikanischer Irakpolitik der vergangenen Jahre
noch deutlicher. Immer wieder hat Washington die irakischen Kurden
benutzt, entsprechend seiner jeweiligen Haltung zu Bagdad, das
ba'thistische Regime zu stärken oder zu schwächen. Dabei blieben die
Kurden immer so lange verwertbar, wie sie als Separationsbewegung
von Außen den irakischen Staat schwächten, ohne ihn in seinem
inneren Gefüge ernsthaft in Gefahr zu bringen. Behandelte und nutzte
man sie als quasi nationale Entität gegen den irakischen
Zentralstaat, so wollte man auf der anderen Seite den Zerfall des
irakischen Staatsterritoriums unbedingt vermeiden. Jahrzehntelang
wurden die Kurden daher immer dann, wenn ihr Aufstand auch nur die
geringste Aussicht auf Erfolg hatte, fallengelassen und schließlich
in den Achtziger Jahren zurückgedrängt auf ein paar unwegsame
Gebirgsregionen an der Grenze zum Iran; als der Irak Giftgas gegen
sie einsetzte, blieb der Protest aus Washington aus.
Auch nach 1991 sah die amerikanische Außenpolitik
in den Kurden vor allem jene Nationalbewegung, die sie in der
Vergangenheit genutzt hatte und keine innerirakische Opposition,
obwohl die kurdischen Parteien selbst von Beginn an die Loslösung
der Region vom irakischen Staatsverband abgelehnt hatte. Anstatt die
sich entwickelnde Alternative zum Regime Saddam Husseins zu fördern,
bemühten sich die USA - wie auch die europäischen Staaten - darum,
eine Eigenständigkeit zu verhindern, die vor Ort niemand anstrebte,
mit dem Resultat, daß die Entwicklung der aller Souveränitätsrechte
beraubten Regionalregierung blockiert wurde. Das Desaster der über
den INC geplanten Offensive 1996 beruhte vor allen Dingen auf einer
frappierenden Fehleinschätzung. Die Hoffnung der CIA, über eine
Offensive der Kurden eine entscheidende Krise im Irak auszulösen,
stellte sich als trügerisch heraus, weil diese gar kein Interesse
daran hatten, erneut zum außenpolitischen Instrument gegen Bagdad zu
werden. Sahen die USA in ihnen separatistische Gruppen, die ähnlich
Afghanistans durch die Eroberung von Enklaven zur Destabilisierung
der Regierung dienen könnten, während man andererseits ihre
Unabhängigkeit fürchtete, so verstanden sich die Kurden als
irakische Opposition, die mehr als die territoriale Eroberung einen
politischen Wechsel in Bagdad anstrebte. Als die CIA im Nordirak zum
Angriff blies, blieben die kurdischen Milizen zuhause.
Mit dem 11. September und der sich im
US-Establishment durchsetzenden Erkenntnis, daß Gruppen wie Al-Qaeda
nur als Resultat der Lage im arabischen Nahen Osten sind und die
Region grundlegend verändert werden müsse, rückte der Irak erneut
ins Zentrum des Interesses. Nur hier gab es eine widerständige
Bevölkerung und eine, wenn auch schwache, organisierte Opposition,
die immerhin seit Jahren ihren Willen bekundet hatte, mit jedem zu
kooperieren, der die Bereitschaft zeigt Saddam Hussein zu stürzen.
Weiterhin bleibt aber fraglich, ob, wie Thomas Carothers in Foreign
Affairs schreibt, sich in der US-Administration bezüglich des Nahen
Ostens nun ein demokratischer Messianismus durchsetzt, der auf die
Bevölkerung setzt, oder am Ende nicht doch die bekannte von der CIA
umgesetzte Realpolitik obsiegt, deren Programm in der Unterstützung
"tyrannischer arabischer Regimes" zu bestehen pflegt. Nähmen die USA
es mit dem "Regime Change" wirklich ernst, so würden sie erstmals
seit dem Sturz Mossadaghs 1953 die bestehenden Herrschaftsstrukturen
eines nahöstlichen Staates ändern. Bislang aber galt das Primat der
Containment-Politik im Nahen Osten so weit, daß man in Krisen selbst
verfeindete Regierungen, wie das des Gamal Abdul Nasser, rettete,
den man während der Suezkrise 1956 stützte und Arafat 1982 zur
Flucht verhalf, als die Israelis Beirut belagerten.
Bliebe man bei der vorweg gestellten Annahme, es
käme zu keinem Krieg, so hätten sich in der Tat die "Realpolitiker"
durchgesetzt, Saddam Hussein wäre weiterhin im Amt oder durch einen
anderen starken Mann ersetzt worden und alles bliebe weiter beim
Alten. Alles? Nicht ganz. Denn das System vermeintlich stabiler
Herrschaft ist längst und nicht nur vom irakischen Diktator
unwiderruflich in Frage gestellt. Auch der Djihad der Islamisten
vollzieht im Negativen, was die irakische Opposition nun positiv
anzubieten versucht: Die Zerstörung der bestehenden Ordnung des
Nahen Ostens.
Leicht gekürzt erschienen in konkret 2/2003
hagalil.com
18-02-2003 |