
Die Lehren aus Afghanistan
Von Ze’ev Schiff
In Israel herrscht häufig die Meinung
vor, dass es eine Ähnlichkeit zwischen Osama bin Laden und seiner Qaida
Terror-Organisation auf der einen Seite und den palästinensischen
Terror-Organisationen wie Hamas und dem Islamischen Jihad auf der
anderen Seite gibt. Der von den USA geführte Krieg in Afghanistan zeigt
jedoch, dass es einen grundsätzlichen Unterschied gibt.
Die Vereinigten Staaten sehen überhaupt
keine Veranlassung und haben auch keine Absicht, über einen Art von
Vertrag mit bin Laden zur verhandeln. Amerikas Krieg gegen ihn und gegen
seine Organisation dient einem Zweck und nur diesem ausschließlich: Die
bedinglose Kapitulation zu erreichen. Im Gegensatz dazu ist völlig klar,
dass, obwohl die Palästinenser ihre grausamen Angriffe gegen israelische
Zivilisten durchführen, Israel dafür arbeitet, mit ihnen einen
Kompromiss auszuhandeln - einen Kompromiss, der durch Verhandlungen
erzielt werden soll und der als Ergebnis in einen umfassenden
Friedens-Vertrag mit den Palästinensern münden soll. Israel ist mit
Sicherheit nicht daran interessiert, die Palästinenser mit Bomben zu
unterwerfen, bis sie sich bedingungslos ergeben.
Israel sucht nach keinem Kompromiss mit
dem Terrorismus; das Land sucht nach einer Art von politischem
Kompromiss, der weder mit bin Laden erzielt werden kann noch erzielt
werden sollte. Israel ist daran interessiert, den Terror der
Palästinenser zu besiegen, doch muss nach letztlicher Zielsetzung, ein
Friedens-Abkommen mit den Palästinensern ausgehandelt werden. Deshalb
hat Israel in der Vergangenheit Verträge mit dem Vorsitzenden der
Palästinensischen Behörde, Yasser Arafat, unterzeichnet, und deshalb ist
Ministerpräsident Ariel Sharon dazu bereit, Zwischen-Abkommen mit den
Palästinensern zu unterzeichnen. Die Amerikaner würden niemals im Traum
daran denken, Zwischen-Abkommen mit bin Laden zu unterzeichnen.
Die Situation ist in Bezug auf Syrien
jedoch völlig anders. Israels Streit mit Syrien beruht auf der Tatsache,
dass Syrien Organisationen wie dem Islamischen Jihad Asyl und
Unterstützung gewährt, einer klassischen Terror-Organisation. Syrien
unterstützt auch die Hisbollah und die Hamas.
Die grundlegende Definition von
Terrorismus lautet: Absichtlich Angriffe auf Zivilisten durchzuführen –
nicht zufällige Angriffe auf Zivilisten im Verlauf eines Krieges (wie in
jenem, den die Amerikaner gegenwärtig in Afghanistan führen) oder bei
der Anwendung von Defensiv-Maßnahmen angesichts eines Terror-Angriffes.
Die Anschläge auf die Dolphinarium-Discothek in Tel Aviv zum Beispiel,
auf das Sbarro-Restaurant in Jerusalem oder auch auf die beiden Türme
des Welthandels-Zentrums in New York, waren alles Terror-Angriffe, weil
in jedem dieser Fälle die Terroristen die Absicht hatten, vor allem
Zivilisten zu töten.
Syrien, das heute im Sicherheits-Rat der
Vereinten Nationen vertreten ist, macht einen Unterschied zwischen gutem
und schlechtem Terrorismus. Zum Beispiel wird der Islamische Jihad,
dessen Anführer von seiner Kommandozentrale in Damaskus aus arbeitet,
als Vertreter des guten Terrorismus bezeichnet. Deshalb gewährt Syrien,
ebenso wie die Taliban-Regierung in Afghanistan, einer
Terror-Organisation Asyl, nämlich dem Islamischen Jihad. Diese Haltung
missbilligte die Türkei gegenüber Syrien, als es um die kurdische
Terror-Organisation, die kurdische Arbeiter-Partei (PKK), ging, die
ebenfalls in Syrien Unterschlupf fand. Diese Einstellung sollte auch
Israel gegenüber Damaskus einnehmen, obwohl es in Israels eigenem
Interesse liegt, einen Friedensvertrag mit Syrien abzuschließen. Die
Ironie liegt in folgender Tatsache: Als der islamische Terror Anfang der
80er Jahre einen Anschlag gegen Syrien verübte, ließ der verstorbene
Präsident Hafez Assad über 20.000 syrische Zivilisten in der Stadt Hama
umbringen. War das nun ein Beispiel von gutem oder von schlechtem
Terrorismus?
Es darf nicht überraschen, dass die
strategische Wirksamkeit von Verfolgungs- und Strafmaßnahmen vor allem
durch Einsätze aus der Luft das Interesse der Armee Israels hervorruft –
besonders das der Luftwaffe Israels. In den letzten Jahren haben die
Amerikaner ihre Stärke in der Luft zwei Mal eingesetzt – einmal im
Kosovo und jetzt in Afghanistan. In beiden Fällen haben die Amerikaner
eine relativ hohe Erfolgsquote erreicht.
Israel könnte es ebenfalls eines Tages
nötig haben, eine solche Kriegsführung anzuwenden – zum Beispiel, wenn
die Hisbollah zivile Ziele in Israel angreifen, oder wenn
palästinensische terroristische Organisationen, die auf Unterstützung
von außen angewiesen sind, ihre Pläne durchführen sollten. In einer
derartigen Situation müssten sowohl der Libanon wie Syrien in Israels
Liste der möglichen Angriffsziele aufgenommen werden.
Die Amerikaner wiederum sind, was ihre
Seite betrifft, daran interessiert, mehr von den vorbeugend und gezielt
durchgeführten Maßnahmen zu lernen, die Israel manchmal gegenüber
Terroristen und ihren Anführern durchführt.
Der grundlegende Unterschied zwischen der
Situation von Amerika und Israel liegt in der Tatsache begründet, dass
das „politische Fenster“, das einem kleinen Land bei seinen Verfolgungs
- und Bestrafungsmaßnahmen zur Verfügung steht, viel kleiner ist als
jenes einer Großmacht mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten in
Bezug auf Dauer und Stärke, wenn sie sich einmal zu derartigen Maßnahmen
entschlossen hat. Darüber hinaus gibt es auch noch die Wahl der
Möglichkeiten der Maßnahmen. Dies ist ein weiterer Faktor, der den
Handlungs-Spielraum eines kleinen Landes einschränkt. Ein kleines Land
weiß, dass die Ziele seiner Verfolgungs- und Bestrafungs-Maßnahmen so
schnell wie möglich erreicht werden müssen.
Ha’aretz, 23. 11. 01
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11-12-2001 |