MEMRI Special Dispatch – 24. Juni 2004
Mustafa El-Feki:
Historische Chance zum Dialog mit dem Westen
In der ägyptischen Zeitschrift Al-Ahram
Weekly appelliert Mustafa El-Feki an islamistische Bewegungen, sich von
allen extremistischen Ausprägungen des politischen Islam zu
distanzieren. Als Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für
Auswärtige Angelegenheiten Ägyptens fordert El-Faki eine 'islamische
Initiative zur historischen Versöhnung mit dem Westen'.
Als Voraussetzung dazu nennt er unter
anderem eine "Neubestimmung der Lehren des Islam". Sein Artikel erschien
in der Al-Ahram Weekly vom 17.-23. Juni 2004:
"Ein mutiger Schritt nach vorn"
"Für bestimmte islamistische Strömungen
könnte es keine gar bessere Gelegenheit als die gegenwärtige Situation
geben, um ihren Kurs zu korrigieren. Angesichts der scharfen Angriffe
und Beschuldigungen, die sich – wenn auch zu Unrecht – zuletzt auf sie
konzentrierten, ist es an der Zeit, ernsthaft über eine islamische
Initiative zur historischen Versöhnung mit dem Westen nachzudenken.
Diese Initiative sollte von den Zentren der größeren islamistischen
Bewegung ausgehen. Sie würde im Rahmen eines umfassenden Programms für
religiöse, soziale und kulturelle Reformen stehen und [als solche] stark
mit dem amerikanischen Projekt für die Region konkurrieren. Die
Initiative würde den Interessen und dem Wohl des Islam dienen und zudem
den extremistischen Kräften auf beiden Seiten einen solchen Schlag
vesetzen, dass eine Konfrontation, die gerade erst begonnen hat, im Keim
erstickt werden könnte.
An dieser Stelle sollte ich betonen, dass
ich nicht für importierte Ideen werbe oder im Auftrag anderer schreibe.
Vielmehr spreche ich als überzeugter Muslim, wenn ich dafür eintrete,
den Kampagnen des Zweifels, des Verdachts und der Angst, die es auf
unsere Religion abgesehen haben, etwas entgegenzusetzen. Diese Kampagnen
sind tatsächlich in erster Linie politischer und nicht religiöser Natur.
Wir sind weniger mit einem 'Kampf der Kulturen' als vielmehr mit einem
Konflikt [unterschiedlicher] Interessen und politischer Anschauungen
konfrontiert. Auch der politische Islam hat sich immer einer
Verwestlichung und dem Orientalismus entgegen gestellt. Wenn wir dies
einmal begriffen haben, können wir viele unserer Empfindlichkeiten
überwinden und auf der Basis arbeiten, dass die Herausforderungen, vor
denen wir gegenwärtig stehen, im wesentlichen säkularer und eben nicht
religiöser Natur sind.
Obwohl der Prophet Mohammed seine
göttliche Offenbarung nicht in Ägypten empfing, ist das Land doch das
Zentrum der islamischen Welt und trägt eine große historische
Verantwortung. Es genügt wohl darauf hinzuweisen, dass Ägypten der
Geburtsort der ersten ernstzunehmenden modernen Bewegung des politischen
Islam war. Als Sitz der Al-Azhar wird Ägypten überdies in der gesamten
muslimischen Welt wegen seiner wichtigen Rolle bei der Wahrung des
islamischen Erbes und der arabischen Kultur verehrt. Es wird für seine
Vermittlerrolle und seine Objektivität geschätzt und ist gleichzeitig
das Land der Muslimbruderschaft - auch wenn diese sehr einflussreiche
Bewegung ihre offizielle Anerkennung erst noch erlangen muss. [1] Aus
all diesen Gründen eignet sich Ägypten ganz besonders dazu, eine
Korrektivbewegung [2] anzuführen, die darauf zielt, Spannungen mit dem
Westen zu abzubauen und dagegen kämpft, dass die [wahre] Natur des Islam
durch die Taten einer Minderheit entstellt wird, die nicht dem wahren
Glauben und den Gesetzen unserer Religion folgt.
Ohne Zweifel ist der Islam gegenwärtig
Opfer einer zunehmend bösartigen Kampagne. Anstatt uns aber von diesen
Angriffen provozieren zu lassen, sollten wir uns lieber an unseren
eigenen authentischen Quellen orientieren. Der Prophet und die ersten
Muslime verhandelten und lebten in [friedlicher] Nachbarschaft mit
anderen. An der Schwelle zum 15. Jahrhundert des islamischen Kalenders
spricht nichts dagegen, sich ebenso zu verhalten - insbesondere, weil
wir so im Zentrum [der Weltöffentlichkeit] stehen und unser Einfluss so
begrenzt ist. Wenn es heißt 'Sein oder nicht Sein?', dann ist Mäßigung
das einzig brauchbare Rettungsboot.
Daher appelliere ich an die politischen
islamistischen Bewegungen auf der ganzen Welt, den wahren Geist unserer
Religion anzunehmen und eine klare und unmissverständliche Verurteilung
aller Formen von Extremismus und Fanatismus zu verabschieden. Es brodelt
gegenwärtig in der Welt und es ist unsere Pflicht, von dem Abgrund
zurückzutreten, an den uns eine Gruppe geführt hat, die aus unserem
Schoß erwachsen ist, uns unsägliches Leid zugefügt und uns in Misskredit
gestürzt hat. Es geht nicht darum, zu 'kapitulieren' oder uns den Plänen
anderer zu unterwerfen. Vielmehr sollten wir gemeinsam eine
Bestandsaufnahme unserer Situation machen und unser Bestes geben, um die
falschen Wahrnehmungen, die andere von uns haben, zu korrigieren und
weitere Diffamierungen unserer Werte und Traditionen zu verhindern. In
einer Zeit, in der der Islam neue Generationen von Gläubigen anzieht und
in der im Zuge der Ereignisse vom 11. September 2001 Millionen Menschen
so viel Interesse [am Islam] entwickelten, dass es zu einem
beispiellosen Anstieg von Übersetzungen und Verkäufen des Koran kam,
wäre ein solcher Prozess gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Vor diesem Hintergrund muss ich gestehen,
dass mich die jüngste Initiative der Muslimbruderschaft zu Reformen in
Ägypten leicht irritiert hat. Abgesehen von der Tatsache, dass sie vom
derzeitigen Klima zu profitieren scheint, in dem - wie es der
Generalsekretär der Arabischen Liga formuliert hat - Initiativen wie
Pilze aus dem Boden schießen, kommt sie mir wie ein vorsichtiger Versuch
vor, die USA zu hofieren. Überdies stellt sich doch die Frage, warum
sich die Initiative auf Ägypten beschränkt, wo sich die
Muslimbruderschaft doch als internationale Organisation definiert? Man
sollte davon ausgehen, dass eine Initiative der Muslimbruderschaft an
die gesamte muslimische Gemeinschaft unabhängig von der nationalen
Zugehörigkeit gerichtet werden sollte, besteht doch das entscheidende
Problem gegenwärtig darin, dass es an gegenseitigem Vertrauen zwischen
dem Westen und der muslimischen Nation insgesamt fehlt.
Vor ein paar Tagen erklärte ein Führer der
Muslimbrüder, dass die Initiative seiner Gruppe nicht vom Staat ausgehe,
sondern von der Zivilgesellschaft, deren Zeit gekommen sei. Seit jeher
ist der Westen sehr daran interessiert, von islamistischen
Grassrootsorganiationen signalisiert zu bekommen, ob sie moderat sind
oder nicht. Es hat sogar immer wieder Gerüchte gegeben, nach denen es
Kontakte zwischen verschiedenen amerikanischen Botschaften und
islamistischen Bewegungen gegeben habe. Ich glaube, dass der historische
Scheideweg, an dem wir stehen, uns eine einzigartige Gelegenheit bietet,
die patriotische und moralische Verpflichtung anzunehmen und auf breiter
Basis einen Aufruf zum Dialog zu initiieren. Damit jedoch ein solcher
Aufruf auch wirksam sein kann, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
Erstens muss der Aufruf zum Dialog
konzeptionell und praktisch international ausgerichtet sein. Der Islam
reicht über nationale Grenzen und Zugehörigkeiten hinweg. Weder spricht
er für die Regierungen, noch haben Regierungen die Macht, in seinem
Namen zu sprechen. Außerdem sollte der Aufruf von keiner bestimmten
muslimischen Gruppe ausgehen und andere dadurch ausschließen – gleich
welche historische Bedeutung und welchen Einfluss diese Gruppe hat.
Zweitens sollte die Initiative [für die
Menschen] annehmbar sein, weil sie sich stark auf das kulturelle Erbe
[legacy] bezieht, eine klare Vision hat und ganz besonders
philanthropisch ist. Darüber hinaus sollte sich der Aufruf nicht allein
an die USA richten, sondern an alle Länder und an alle muslimischen
Gemeinden dieser Welt.
Drittens benötigen humanitäre Ideen, wie
ehrenwert und achtbar sie auch sind, immer angemessene Foren - nicht nur
zu ihrer effektiven Verbreitung, sondern auch zum Gedankenaustausch, der
ihnen erst die notwendige Substanz und Struktur verleiht. Zweideutige
Vorschläge und vage Slogans sind nicht genug. Wir müssen mit soliden und
spezifischen Ideen aufwarten.
Ich bete darum, dass die Leser der
Ernsthaftigkeit meines Aufrufs trauen. Ich habe keine heimlichen Motive
und keine hidden agenda – anders als so viele aus der Region, die ihre
Kritik, ihre Sorgen und ihre Skepsis in der Hoffnung auf ein Visa oder
auf ausländische Anerkennung nur im Westen äußern und damit auch noch
die Animositäten fördern, die keine Seite brauchen kann. Nun meinen
manche ja, dass das Leben eben ein Kampf und es daher unmöglich sei, den
menschlichen Eroberungsinstinkt ruhig zu stellen. Aber gerade wenn das
der Fall wäre, hätten Muslime und Araber um so mehr Grund dazu, eine
unkonventionelle, humanitäre und inspirierte Vision voranzubringen, die
auf den Lehren und dem wahren Wesen unserer Religion basiert und darauf
zielt, die Kommunikation mit dem Westen zu ermöglichen. Wenn wir dies
tun und einen neuen islamischen Diskurs vorstellen, der frei von allen
Makeln des Fanatismus und Extremismus ist, werden wir unseren Völkern,
unserer Religion und unserer Kultur und Zivilisation in diesen extrem
komplexen und angespannten Zeiten das bestmögliche Geschenk machen."
Anmerkungen:
[1] Die Muslimbruderschaft ist in Ägypten die stärkste oppositionelle
Kraft aber nicht als Partei anerkannt.
[2] Der Autor dürfte hier auf den Begriff der 'Corrective Revolution'
anspielen, mit dem 1971 die Abwendung Sadats von zentralen Elementen des
Nasserismus bezeichnet wurde. Mit der Infitah-Politik initiierte Sadat
eine Westöffnung Ägyptens.
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