Vor kurzem fand in Kairo ein Symposium des
ägyptischen Schriftstellerverbandes statt, bei dem der ägyptische
Intellektuelle und Dichter, Ahmad Al-Mu'ti Higazi die Al-Azhar
Universität für "die Produktion von Terrorismus" scharf kritisierte.
Higazi wandte sich gegen den Scheich der Al-Azhar Universität, Muhammad
Sayyid Tantawi, und den ägyptischen Mufti Dr. Ahmad Al-Tayyeb, in dem er
erklärte: "Ich glaube nicht, dass das, was sie sagen, etwas ist, dem ich
zuhören oder gehorchen müsste..." Es folgen Auszüge aus einigen seiner
kürzlich erschienenen Artikel und Kommentare. Der folgende Auszug stammt
aus einem Bericht über die Veranstaltung, der am 16. September 2002 in
der arabischsprachigen Londoner Tageszeitung al-Sharq al-Awsat erschien:
"Diejenigen, die die religiösen Texte zitieren und die Worte
durchsetzen, sind für die Erzeugung des fundamentalistischen Terror
verantwortlich. Sie sind es, die das Denken und die Entwicklung der
Sprache und des Dialoges töten und die Demokratie, die Basis für einen
gesellschaftlichen Fortschritt, ausradieren. [...] Die Funktionen des
Scheichs der Al-Azhar Universität und des Muftis wurden durch den Staat
erfunden, aber sie dienen zu nichts als der Etablierung des Prinzips
'wähle-höre-gehorche'. Sie töten die Kreativität und führen zum
Verschwinden des arabischen Verstandes.
Higazi hatte bereits in einem Artikel der
regierungsnahen ägyptischen Tageszeitung al-Ahram vom 27. März 2002 eine
ähnliche Kritik formuliert:
"Wären wir ernsthaft bemüht, den Islam zu verteidigen,
ihn in den Seelen der Gläubigen zu verankern und sein Image zu
korrigieren, [welches] durch Extremismus und Fanatismus verzerrt ist,
[...] dann müssten wir die Prinzipien des Islams wieder beleben. Denn
Fanatismus ist barbarisch und bedeutet einen Rückfall in die Zeiten, als
der Mensch noch Tier war und nur die Blutbande akzeptierte und von
seinem Kopf nichts als die Hörner benutzte. [...]
Fanatismus bedeutet Ignoranz und blinder Eifer. Der
Extremist denkt nicht, reflektiert sich nicht selbst und hat keine
Kontrolle über seine Emotionen. Das islamische Erwachen wird weder ein
islamisches und noch ein Erwachen überhaupt sein, wenn es nicht mehr ist
als Emotionen, Extremismus und eine Rückkehr zu dem, was in der
Vergangenheit gesagt wurde. [...]
Das Erwachen bedeutet eine Rückkehr zu den Prinzipien
selbst, [...] nicht die Rückkehr unserer Generation zu den Regeln, die
unter den Bedingungen einer anderen Generation bestimmt wurden. [...]
Wir werden innerlich zerrissen zwischen den Texten, die
uns in die Vergangenheit ziehen und den Entwicklungen, die uns nach
vorne treiben, zwischen dem, was wir lesen und dem, was wir leben,
zwischen dem, was wir sagen und dem, was wir tun, zwischen dem Islam,
den einige in Ketten verwandeln, in ein Gefängnis für die Seele und den
Verstand, während wir ihn in ein Universum verwandeln wollen, einen
Raum, in dem es Platz für alle Menschen gibt und der für alle
Generationen offen ist. [...]
Ist es möglich, dass der Islam von Beginn Antworten auf
alle Fragen bot, die sich neu stellen? Ist jedes Urteil dem 20.
Jahrhundert genauso angemessen wie dem 10. Jahrhundert? [...] Natürlich
nicht [...], weil sich die Erde um die Sonne und um sich selbst dreht
und weil sich alles bewegt, entwickelt und verändert. Und das sich die
Fragen und Erfordernissen verändern, müssen wir angemessene
Interpretationen finden und die Vorschriften und Gesetze erneuern. [...]
Die Gültigkeit des Islams zu jeder Zeit und an jedem Ort
ist daher nicht die Gültigkeit des Textes, denn Texte sind
Interpretationen, Veränderungen und Kritik unterworfen. [...]
Die Gültigkeit des Islams entsteht aus seinen Zielen und
Absichten. Es ist nicht etwas von vorn herein Vorgegebenes, sondern eine
Möglichkeit, die wir durch fortdauernde Bemühungen zur Realität
umwandeln müssen. [...]
Wenn wir z. B. die islamische Position über Frauen
untersuchen, müssen wir sie anhand der Vorschriften untersuchen, die die
Frau als einen halben oder manchmal als einen viertel Mann sehen, oder
sollten wir sie nicht eher im Einklang mit den Zielen befragen, zu deren
Verwirklichung diese Texte ein mutiger Schritt waren? [...]
Der Status der Frauen in der alten islamischen
Gesellschaft war im Vergleich zu ihrer Situation in der vor-islamischen
Zeit revolutionär. Aber heute ist das nicht mehr der Fall, da sich die
menschliche Gesellschaft verändert hat und sich der Status der Frauen
ebenso wie der der Männer wandelte. Die Vorschriften, die uns
überliefert sind, drücken nicht mehr die Haltung des Islams gegenüber
Frauen aus, die Texte müssen neubewertet werden, damit aus ihnen neue
Vorschriften gewonnen werden, die den Vorstellungen des Islams
entsprechen. [...]
Wir lesen den Vers [an-Nisa] und erfahren, dass es einem
Muslim erlaubt ist, eine, zwei, drei oder vier Ehefrauen zu haben. [...]
Aber wir wissen, dass die Gerechtigkeit dieser Angelegenheit in der
schwer zu erfüllenden Bedingung liegt [, die Frauen gleich zu
behandeln]. Die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ist nicht
messbar. Sie haben nicht nur einfach zwei Körper, sondern auch zwei
Herzen und zwei Seelen. [...]
Die Vorschrift, die aus diesem Vers gezogen werden kann,
ist, dass der Islam keine Polygamie erlaubt, weil er keine Unterdrückung
zulässt. Das ist die zugrundeliegende Idee der Texte, die die Ehe und
das Verhältnis zwischen Männern und Frauen thematisieren. Zur Zeit des
Propheten und in der Folgezeit war die Beschränkung der Ehe auf vier
Frauen ein außerordentlicher Sieg für die Frauen, weil die Araber in der
vor-islamischen Zeit ohne Einschränkungen heirateten konnten. Die Ehe
war eher eine Vergewaltigung als ein freiwilliger Bund. [...]
Die Frage ist letztlich: ,Wer ist dem Islam näher,
diejenigen, die eine Frau zu einem Premierminister machen oder die, die
sie zu einer Ehebrecherin erklären, wenn sie sich schminkt?'"
In einem Artikel der al-Ahram vom 06. März 2002 schreibt
er:
"Zu denen, die die Menschen mit honigsüßen Worten über
die 'Regierung Gottes ' betrügen, sagen wir, dass dies zwar die Worte
der Wahrheit sind, ihre Absichten aber unwahr sind. Die Regierung Gottes
ist eine [spirituelle] Botschaft, keine Präsidentschaft; sie ist eine
Religion und kein Staat. Auch wenn es im Mittelalter möglich war, ein
religiöses Regime zu verstehen, so ist dieser in der Moderne nicht
länger zu verstehen. [...]
Wir erwarten, dass der neue religiöse Diskurs Demokratie
unterstützt und es zur endgültigen Lösung macht und ihre Bedingungen
akzeptiert, Religion und Staat strikt zu trennen, Männer und Frauen
gleichzustellen und die Menschenrechte in der Praxis anzunehmen. Wir
erwarten von dem neuen religiösen Diskurs, den Islam von der Schuld der
schlechten und korrupten Regime zu befreien, die sich in den
muslimischen Ländern verbreiten, ihrer Religion widersprechen, ihre
Prinzipien verletzten, ihr Image verzerren und ihre eigenen Völker
versklaven. [...]