Im Rahmen einer Israelreise
besuchte der ägyptische Außenminister Ahmad Maher vor drei Wochen auch
die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Dort wurde er von einer Gruppe
Palästinenser beschimpft und mit Schuhen beworfen. Die Demonstranten
forderten eine Wiederaufnahme des Dschihad in Ägypten. Laut
Presseberichten handelte es sich bei den Angreifern um Mitglieder der
islamistischen Hizb Al-Tahir (‚Befreiungspartei’). Es folgen Reaktionen
aus der arabischen Presse, die sich überwiegend sehr kritisch zu den
Angriffen auf Maher äußerte:
I. Die ägyptische Presse
"Ihr habt Schimpf und
Schande über Euch und Eure Sache gebracht"
In der ägyptischen Tageszeitung
Al-Masaa verurteilte der Kolumnist Muhammad Foudah die Angriffe: "Haben
sich die Palästinenser, die den ägyptischen Außenminister attackiert
haben, eigentlich gefragt, warum Maher es überhaupt auf sich genommen
hat, nach Israel zu gehen und sich mit Scharon und seinem Kabinett zu
treffen? Meinen sie, dass er zum Spaß ein Land besucht hat, zu dem wir
unsere Beziehungen eingestellt haben und mit dem wir wegen Palästina in
eine politische Krise geraten sind [...]?! Wollen die Palästinenser
etwa, dass Ägypten sich aus der Palästinafrage heraushält? Das wäre
sicher das Einfachste und wurde ja von anderen arabischen Staaten auch
schon vorgemacht. [...] Ihr habt den Mann geschlagen, der sich für Euch
einsetzen wollte, und es war Israel, das ihn zur Behandlung ins
Krankenhaus gebracht hat. Was habt ihr für Schimpf und Schande über Euch
und eure Sache gebracht?! [...]" [1]
Galal Duweidar, Herausgeber der
Al-Akhbar, schrieb: "[...] Die ganze Welt, inklusive der Palästinenser,
weiß, dass es zwischen Ägypten und Israel nach dem Sieg im Oktoberkrieg
[1973] und der Unterzeichnung des Friedensvertrages keine ungelösten
Probleme mehr gibt. [...] Der einzige Grund [für Spannungen zwischen
Ägypten und Israel] besteht darin, dass Ägypten die Rechte der
Palästinenser verteidigt; nicht etwa, wegen der Verteidigung
irgendwelcher unmittelbarer ägyptischer Interessen. [...]
Vor dem Hintergrund der
anhaltenden Aufopferung [Ägyptens für die Palästinenser], die unsere
Beziehungen zu Israel und zionistischen Lobbygruppen – und dadurch
auch zu den USA – schädigt, hat uns diese aufgebrachte Menge
Palästinenser mit ihrem barbarischen und hinterhältigen Angriff auf den
Außenminister überrascht – ist doch Ägypten die einzige Bastion der
Unterstützung für das palästinensische Volk. Wie sollen wir ägyptische
Journalisten, die jeden Tag die Rechte der palästinensischen Bevölkerung
verteidigen und die isralische Aggression anprangern, diese
verabscheuungswürdige Tat erklären? [...] Diese treulosen Kriminellen
[...] arbeiten Israel und allen Feinden der arabischen Nation in die
Hände. [...] Ja, die sündhaften Angreifer verdienen den Fluch der 70
Millionen Ägypter, die diese feige Tat gestern im Fernsehen sahen.
[...]" [2]
"Ist es nicht Zeit, sich auf
unsere eigenen Probleme zu konzentrieren?"
Ebenfalls in Al-Akhbar setzte
sich Said Sunbul mit dem von den Palästinensern erhobenen Vorwurf des
Verrats auseinander: "[...] Den ägyptischen Außenminister wegen Verrats
anzuklagen bedeutet ganz Ägypten des Verrats zu bezichtigen. Dies
geschieht nicht zum ersten Mal, ganz gleich, was Ägypten für die
Palästinenser getan hat und immer noch tut. 'Verrat' ist im
palästinensischen Sprachgebrauch ein sehr häufig benutztes Wort. Sie
verwendeten es gegenüber dem ehemaligen Ministerpräsidenten Abu Mazen,
der dann lieber zurücktrat; und gegen den ehemaligen Minister Yassir
Rabbo und seine Kollegen, die in Genf ein Friedensabkommen
unterzeichneten, das den Palästinensern ein würdiges Leben bescheren
würde.
Zuvor hatten die Palästinenser
bereits [den ehemaligen ägyptischen Präsidenten] Abd Nasser des Verrats
beschuldigt, weil er den Plan des ehemaligen US-Staatssekretärs Roger
akzeptierte. Sie klagten Anwar Sadat an, weil er sie zur Konferenz im
Mina-Haus [Hotel in London] einlud. Wären sie
jedoch damals der Einladung zu dieser Konferenz nachgekommen und hätten
den Grundsätzen des Camp David-Abkommens zugestimmt, hätten sie es
Israel nicht ermöglicht, die Siedlungen oder den Sicherheitszaun zu
bauen. Und all die Zugeständnisse wären nicht nötig gewesen! [...]
Der verachtenswerte Angriff auf
den ägyptischen Außenminister [...] hat viele nun dazu veranlasst, sich
zu fragen, ob es nicht an der Zeit ist, sich auf die eigenen Probleme zu
konzentrieren – von denen viele aus den Kriegen stammen, an denen wir im
Dienste der palästinensichen Sache teilnahmen –, anstatt sich um die
Lösung der Probleme eines Volkes zu bemühen, in dem einer den anderen
nicht leiden kann und wo man sich gegenseitig und andere des Verrats
bezichtigt." [3]
"Wir werden nicht weiterhin
die andere Wange hinhalten"
Den bissigsten Kommentar
schrieb Ibrahim Sa’dah, Herausgeber der Wochenzeitung Akhbar Al-Youm.
Sa'dah kritisierte die Versuche von Maher, die Bedeutung des
Zwischenfalls herunterzuspielen. Er forderte das ägyptische Parlament
auf, angesichts des "Mordversuches am ägyptischen Außenminister" die
Haltung des Landes gegenüber der Palästinenserfrage neu zu verhandeln.
Im Weiteren geht Sa'dah auf die Geschichte der
ägyptisch-palästinensischen Beziehungen seit der Zeit Präsident Sadats
ein:
"Trotz der verachtenswerten
Angriffen, die Araber unter Führung Saddam Husseins und Yassir Arafats
gegen die [Friedens-]Initiative des ägyptischen Präsidenten richteten,
[...] folgte Sadat weiter mutig dem Weg des Friedens. [...] Ich kann mir
nicht vorstellen, dass die Ägypter jene Jahre, in denen ihre politische
Führung übelsten Anriffen seitens der arabischen Medien und arabischer
Machthaber - angeführt von Saddam Hussein und Yassir Arafat - ausgesetzt
war, vergessen oder ignorieren können. [...] Die Ägypter werden es
Arafat auch nicht verzeihen, dass er nach Bekanntgabe der Ermordung von
Präsident Sadat Freudentänze ausführte. [...]
Die Zeit ist reif der
Palästinensischen Autonomiebehörde zu sagen, 'Nein, und nochmal nein!'
[...] Wir werden nicht mehr die rechte Wange hinhalten, um Schläge
einzustecken, die die linke immer wieder auszuhalten hatte. Wir haben es
satt, dass Eure Exzellenz, einziger Sprecher der Palästinenser, immer
wieder behauptet, dass jede von Palästinensern gegen Ägypter gerichtete
Tat nur das Werk einer kleinen dummen Minderheit sei. [...]
Ich persönlich nehme jedenfalls
die Entschuldigungen des palästinensischen Präsidenten Arafat nicht an.
[...] Ich beantrage vielmehr, dass das Parlament im Beisein des
Außenministers eine aktuelle Stunde einberuft, um unsere Position im
Israel-Palästina-Konflikt zu überdenken. [...] Vielleicht denken die
Parlamentarier ja anders als ich… und ich schlage deshalb zur Klärung
eine Befragung der ägyptischen Bevölkerung über unsere Palästina-Politik
vor. [...]" [4]
In der Al-Ahram schrieb der
liberale Kolumnist Hazem Abd Al-Raham: "[...] Ist dieser Abschaum denn
in der Lage, irgendetwas für die Palästinenser zu erreichen? Viel
wahrscheinlicher ist es doch, dass vor allem sie, ähnlich wie die
Befürworter von Selbstmordattentaten, der palästinensischen Sache
schaden und nur Tod über die Bevölkerung bringen. [...]" [5]
Ebenso argumentiert Mursey
’Atallah, Herausgeber der Al-Ahram-Abendausgabe: "Dieses Gesindel, das
auf andere herabblickt und behauptet patriotischer zu sein als alle
anderen, versucht offenbar immer noch, die Nation in einen Strudel von
Konflikten zu stürzen, um die Emotionen weiter anzuheizen. Alles was den
Palästinensern als Folge davon passierte, dass sie ihren Wortführern
folgten, die über ein halbes Jahrhundert die Parole einer vollkommenen
Befreiung vom Jordan bis zum Mittelmeer verkündeten, de facto aber weder
den Fluss noch den Meerzugang erreichten, reichte ihnen immer noch
nicht. [...]" [6]
II. Stimmen anderer
arabischer Zeitungen
Auch die Presse anderer
arabischer Länder verurteilte den Angriff auf den ägyptischen
Außenminister fast einhellig. So konstatierte etwa Abd Al-Karim Hashish,
Kolumnist der Tageszeitung Al-Raya aus Qatar:
"Es gab Stimmen, die
behaupteten, der Angriff sei von den Israelis organisiert worden. Das
muss man nicht kommentieren, denn so eine Anschuldigung ist völliger
Blödsinn und entsteht aus der Besessenheit mancher, die Tatsachen zu
verdrehen und den Kopf in den Sand zu stecken. Die Angreifer des
ägyptischen Außenministers [waren] eindeutig Palästinenser und die
Israelis hatten damit überhaupt nichts zu tun. [...] Tatsächlich ist es
mir auch ganz egal, welcher Fraktion sie angehören. Dieser Angriff
sollte von jedem halbwegs vernünftigen Menschen verurteilt werden.
Wichtig ist es mir aber hervorzuheben, dass dieses dumme Verhalten
schwerwiegende Konsequnzen für den Status der Al-Aqsa-Moschee haben wird
und vielleicht sogar Gründe für eine israelische Besetzung oder
Überwachung liefern könnte. [...]" [7]
In der libanensichen
Tageszeitung Al-Nahar bezeichnet der Herausgeber Jubran Tuweini die
Angriffe auf Maher als "einen Gipfel der Niederträchtigkeit und
Demütigung der Araber". Denn, so Tuweini weiter, stellten sie "ein
kostenloses Geschenk an die von Israel angeführten Feinde der Araber"
dar. "Wiedereinmal wird uns bewusst, dass sich die Araber selbst die
schlimmsten Feinde sind – genau wie die schlimmsten Feinde der
palästinensischen Sache die Palästinenser sind, die eine Politik der
Verweigerung und des fundamentalistischen Extremismus unterstützen. Wie
oft haben sie Israel schon mit ihren Aktionen zugearbeitet? Wie oft
schon hat das Verhalten solcher Gruppen Ariel Scharon und seine
Regierung gerettet?
Das Ganze erinnert uns an die
Geschichte der innerarabischen Beziehungen [...]: Eine einfache
Berechnung ergibt, dass die Zahl der innerarabischen Aggressionen
diejenige der arabisch-israelischen Kriege bei weitem übersteigt." [...]
[8]
Abd Al-Bari Atwan: "Schuhe
als Frühwarnsignal"
Eine ganz andere Position
äußerte Abd Al-Bari Atwan, Herausgeber der in London erscheinenden
Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi, der immer wieder das Regime von Saddam
Hussein gegen die US-Intervention verteidigt und die arabischen
Staatsführungen der Untätigkeit anklagt. Am Morgen nach den Attacken auf
Maher veröffentlichte er einen Artikel unter der Überschrift "Schuhe als
Frühwarnsignal":
"Die Schuhe, die wie Regen auf
Ahmad Maher niederprasselten [...] sind eine Lektion für alle arabischen
Machthaber und ihre Vertreter. Denn sie verachten die arabische Straße
und deren Forderungen. Stattdessen gehorchen sie mittlerweile nur noch
der amerikansichen Regierung und deren erniedrigenden Forderung, die
Beziehungen zum hebräischen Staat zu normalisieren, ihren Interessen zu
dienen und ihre terroristische Politik zu decken.
Mr. Maher demütigte alle
Ägypter und ihre vitalen nationalen Kräfte als er gegen ihren Willen und
ihre Haltung missachtend nach Tel Aviv fuhr, um sich mit dem
israelischen Ministerpräsidenten zu treffen, dessen Hände vom Blut der
palästinensischen Kämpfer und der ägyptischen Soldaten getränkt ist, die
sich für die Verteidigung der Ehre ihrer Nation und ihres Landes
geopfert haben.
Wenn sich der ägyptische
Außenminister im arabisch-israelischen Konflikt neutral verhält und die
ägyptische Regierung zu einem 'ehrlichen Makler' zwischen beiden
Parteien wird, sollten wir uns nicht wundern, wenn Außenminister Maher
von Schuhen getroffen wird. [...]" [9]
Als Antwort auf Atwan schrieb
der Kolumnist Kamal Abd Al-Raouf in der ägyptischen Wochenzeitung Akhbar
Al-Youm einen Beitrag, der zwei Tage darauf auch in Al-Quds Al-Arabi
zitiert wurde: "Ich bedaure, dass die meisten Kommentare von
Palästinensern, die ich auf internationalen Radiosendern hörte, eher
zurückhaltend als bissig waren. Manche machten sogar unseren
Außenminister selbst für den Vorfall verantwortlich. Einer von ihnen war
Abd Al-Bari Atwan [...]. Das war von Atwan zu erwarten, der seit vielen
Jahren aus den Londoner Salons für die palästinensische Sache ficht.
Niemand weiß, wofür oder gegen wen Atwan eigentlich steht. Ich weiß nur,
dass er ausländischen Radiostationen Gründe dafür liefert, zu glauben,
dass Israel Recht hat." [10]
Liberale Website: Hinter den
Angriffen steht keine Minderheit
Der ägyptische Kolumnist Sami
Buheiri schrieb für die liberale arabische Website Elaph: "Seien wir
doch ehrlich: Es ist keine Minderheit, die hinter diesen Angriffen
steht, wie es die offiziellen palästinensischen und ägyptischen
Stellungnahmen behaupten. Unglücklicherweise repräsentieren sie den Mob
der arabischen und palästinensischen Strasse heute. Sie lehnen jede Art
von Friedensabkommen mit Israel ab. [...] Es sind die, die Attentate auf
Busse oder Restaurants bejubeln, um jeden Hoffnungsschimmer auf Frieden
zu
zerstören. [...] Es sind die Anhänger des Arabischen Nationalismus, die
mit all ihren Kriegen gegen Israel und mit all ihren Versuchen mit
Israel Frieden zu schließen, gescheitert sind, weil sie es nicht ernst
meinten und keine [richtigen] Männer waren – weder im Kampf noch bei
Friedensverhandlungen. [...] Die fliegenden Schuhe in der
Al-Aqsa-Moschee verkörpern den arabischen Verstand, der in die Luft
geflogen und nicht zurückgekommen ist."[11]