In der libanesischen Tageszeitung an-Nahar erschien kürzlich ein
Artikel des ägyptischen Intellektuellen und ehemaligen Direktors des
Al-Ahram's Center for Political and Strategic Studies, Dr. Sayyid
Yasin, in dem dieser die Diskussion um eine Erklärung ägyptischer
Intellektueller anlässlich des 11. Septembers wiedergibt. Yasin ist
demnach Verfasser eines Entwurfes einer Erklärung, mit der sich
ägyptische Intellektuelle an die internationale Öffentlichkeit wenden
wollen, um ihre Einschätzungen und Positionen über die Anschläge in den
USA, die Intervention in Afghanistan und den drohenden Krieg im Irak
darzulegen. In seinem Artikel setzt sich Yasin mit einer Antwort der
Politikwissenschaftlerin Dr. Nadja Mustafa auseinander, die zu
dem von ihm formulierten Entwurf Stellung nimmt.
Die Erklärung selbst sowie der Brief Mustafas sind bisher nach unseren
Informationen nicht veröffentlicht.
Der Artikel erschien am 01. August 2002:
„Der Brief, den mir Dr. Nadja Mustafa, Professorin für
Politikwissenschaft an der Fakultät für Wirtschaft und
Politikwissenschaft und Direktorin des Programms ‚Dialog der Kulturen’,
schickte, beinhaltet kritische Anmerkungen zum Entwurf eines [offenen]
Briefes der ägyptischen Intellektuellen, den ich entworfen habe. Der
Brief [Mustafas] trägt die große Hoffnung auf einen nationalen Konsens
aller arabischen politischen Strömungen über die derzeitige Situation
und die möglichen Alternativen zur Begegnung dieser Herausforderungen.
Ich möchte hier ihre Worte zitieren. So erklärt sie: ‚Vielleicht ist es
möglich zu sagen, dass die ernste Herausforderung, der unsere arabische
Nation [umma, auch Gemeinschaft der Gläubigen] gegenübersteht, den Spalt
zwischen den Liberalen, den Nationalen und den Islamischen verkleinert
hat. Sie hat wichtige Räume geschaffen für einen Austausch und
Berührungen in den Diagnosen über die derzeitige Situation, ihre
Ursachen, Inhalte und Konsequenzen. Räume aber auch für die Suche nach
Möglichkeiten, auf diese Herausforderung, die auf den kulturellen Kern
der arabisch-islamischen Nation abzielt, angemessen zu reagieren.’
Vielleicht drückt dieser Absatz am besten aus, wie sehr die Anhänger
des politischen Islams zu einem Dialog mit anderen Strömungen bereit
sind. [...] Ich würde ihr jedoch in dem Punkt, dass diese Annäherung
eine Konsequenz der Herausforderung unserer arabisch-islamischen Nation
ist, widersprechen. Seit Jahren rufe ich dazu auf, einen nationalen
demokratischen Dialog zu führen, der alle politischen Richtungen
einbindet, um zu einem Konsens in der Diagnose der Probleme, denen wir
gegenüberstehen, zu gelangen und die effektivsten Lösungen zu suchen.
Meine Hoffnung war, dieser Dialog würde zeigen, dass die erklärten
Differenzen zwischen dem liberalen und dem islamischen Diskurs nicht so
groß sind wie geglaubt. Dies besonders, weil viele der Anhänger der
arabischen politischen Strömungen [in der Vergangenheit] Kritik an ihren
eigenen traditionellen Prinzipien übten.
Das Ergebnis des Dialogs wäre, dass es den vermeintlichen großen
Unterschied zwischen der islamischen Shura [Rat/Besprechung] und der
westlichen Demokratie nicht gibt. Denn die Demokratie - egal wie wir sie
definieren – gründet auf dem Prinzip der Shura. Es gibt kein wirklich
demokratisches System, in dem ein Führer – wie begabt und vollkommen
auch immer - eigenmächtig über Krieg und Frieden entscheidet. Er muss
auf die spezialisierten Ausschüsse zurückgreifen, das Ministerium zu
Rate ziehen und Beschlüsse überprüfen, egal ob im Entwicklungsbereich
oder bei friedlichen und kriegerischen Außenbeziehungen.
Wir sehen, dass die Diskussion über den Entwurf eines ägyptischen
Briefes im Namen der ägyptischen Intellektuellen, den ich entworfen
habe, eine wirklich gute Gelegenheit ist, einen nationalen Dialog
zwischen allen politischen Seiten über die grundlegenden Fragen zu
führen. Vielleicht würde ein solcher Dialog eine der Forderungen
verwirklichen, die die Frage eines Anwesenden während eines Vortrages,
den ich am 11. September im ägyptischen Ausschuss für Außenbeziehungen
hielt, beinhaltete. Er fragte, wie wir einen Dialog mit dem Ausland
führen sollen, wenn wir nicht zunächst im Inneren einen Dialog führen
würden.
Dr. Nadja Mustafa leitet ihre kritischen Kommentare über den
Briefentwurf mit allgemeinen Anmerkungen ein. Zunächst merkt sie an,
dass das Projekt eines ägyptischen Briefes notwendig sei, sie jedoch auf
eine Erklärung von den Intellektuellen der ganzen arabischen und
islamischen Nation gehofft habe. Bereits Hilmi Shaarawi hatte sich
ähnlich geäußert, als ich den Anwesenden während eines Vortrages den
Briefentwurf vorlas. Damals hatte er erklärt, er ziehe einen Brief im
Namen aller arabischen Intellektuellen gegenüber einem, der nur von den
ägyptischen Intellektuellen komme, vor. Trotz der berechtigten Kritik
hielt ich es für besser, mit dem anzufangen, was wir als ägyptische
Intellektuelle auch verwirklichen können. Denn wenn wir von Anfang an
versuchen sollten, einen arabischen Brief zu verfassen, würde dieses
sehr lange dauern. Es würde vieler komplizierter Kontakte bedürfen bis
der Brief alle verschiedenen Richtungen der arabischen Intellektuellen
repräsentierte, insbesondere, da diese zahlreich sind und oftmals
widersprüchliche Positionen vertreten.
Darüber hinaus bemerkt Mustafa, dass der vorgeschlagene Brief sehr
komprimiert sei und sich damit begnüge, die Positionen zu benennen, ohne
sie auf ihre politischen und intellektuellen Hintergründe
zurückzuführen, wie es in der Erklärung des Institute for American
Values geschah.
Wenn wir alles im Brief ausführen würden und jeden Gedanken und jeden
Wert auf seine Ursprünge zurückführen würden, dann würde sich der Brief
in eine umfassende Studie verwandeln. Den Brief zu lesen und zu
verstehen, würde dann eine äußerst schwierige Sache werden. Wir haben
uns daher knapp gehalten und darauf konzentriert, die grundlegenden
Prinzipien darzustellen, über den man einen Konsens unter den
ägyptischen Intellektuellen finden kann.
Dr. Nadja ergänzt, dass sie auf eine offene und kritische Diskussion
über den Briefentwurf hoffe, die einen ersten Schritt darstelle, um
einen Brief zu formulieren, der in einer großen Versammlung mit
ägyptischen Intellektuellen aller Richtungen diskutiert wird, um eine
gemeinsame Stellungnahmen zu formulieren, in der die Gemeinsamkeiten
zwischen ihnen zum Ausdruck kommen. Diese Diskussion gebe die
wesentliche Strömung in dieser Schicksalsfrage wieder. Ihrer Ansicht
nach brachte die gegenwärtige Situation diese Strömung ans Licht, sie
müsse daher [nun] herausgestellt und konkretisiert werden.
[…]
In ihrem Brief gibt es viele kleinere Anmerkungen, von denen ich nicht
glaube, dass ich mich dabei wesentlich von der Verfasserin des Briefes
unterscheide. Ihre erste Anmerkung besagt, dass das Entscheidende der
Menschenrechte nicht das Recht auf ein sicheres Leben sei, wie es im
Briefentwurf erklärt wird, sondern die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit
sei das, was allen das Recht auf ein sicheres Leben gewährleiste. Ich
bin der Meinung, dass die Rangordnung der Menschenrechte seine Bedeutung
hat, obwohl ich bei meiner Meinung bleibe, dass das Recht, welches über
allen anderen steht, das auf ein sicheres Leben ist. Dies ist auch der
notwendige Einstieg, um schließlich über die Gerechtigkeit zu sprechen.
Bezüglich der Verurteilung des Terrors meint die Verfasserin des
Briefes, dass es vielfach nicht aus einer Ablehnung der amerikanischen
Werte oder aus Hass auf die amerikanische Nation zum Terror komme.
Vielmehr liegen die Hintergründe in der Unterdrückungspolitik und der
ungerechten Vorgehensweisen der Vereinigten Staaten gegen die arabischen
und islamischen Völker. Meine Antwort lautet, es ist notwendig, dass wir
uns zu allererst darauf verständigen, den Terror zu verurteilen - egal
woher er rührt. Wir müssen aber klar zwischen Terror und dem legitimen
Recht auf Widerstand eines Volkes im Schatten einer Besetzung
unterscheiden. Ich stimme aber aus verschiedenen Gründen nicht mit der
Bemerkung Mustafas überein, dass wir […] in dem Brief daran denken
sollten zwischen Jihad und Terror zu unterscheiden. Der wichtigste Grund
[für meine Bedenken] ist, dass es bereits viele Uneinigkeiten zwischen
den verschiedenen islamischen Gruppierungen und Richtungen über die
Definition des Jihads gibt. Es gibt extrem islamistische Richtungen, die
von keinem modernen Rechtsstaat, der die Ausübung von Gewalt von keiner
Gruppierung außerhalb des staatlichen Rahmens zulassen kann, akzeptiert
werden können. Auf der anderen Seite wird das Verständnis der
terroristischen islamischen Bewegungen von Jihad, die indirekt die
Verantwortung für die Geschehnisse des 11. Septembers übernommen haben
und die es notwendig halten, gegen die ‚ungläubigen’ Nicht-Muslime zu
kämpfen, auf internationaler Ebene scharf kritisiert. Sie sehen in der
Adoption dieses Verständnisses eine Gefahr für die Weltsicherheit.
Daher sollte der Begriff des Widerstands, der durch internationale
Abkommen als legitim bezeichnet wird, anstelle des abgelehnten Terrors
verwendet werden. Der Begriff des Terrors ist bei aller Schwierigkeit
einer Definition der Gegenpol zum legitimen Widerstand.
Vielleicht sollten wir an dieser Stelle auch deutlich machen, dass
viele Terrorakte auf internationaler Ebene verübt werden, die nicht aus
einer ungerechten Behandlung durch die USA gegenüber den arabischen und
islamischen Völkern, sondern gegenüber anderen Völkern herrührt. Dies
stellte der Schriftsteller Gore Vidal in seinem kleinen aber wichtigen
Buch über die Geschehnisse des 11. Septembers heraus, das unter dem
Titel ‚Ewiger Kampf um ewigen Frieden’ erschienen ist. Darin
veröffentlichte er eine detaillierte Tabelle über die direkten und
indirekten amerikanischen militärischen und politischen Interventionen
in vielen Staaten auf allen Kontinenten der Welt. Dies gibt eine Antwort
auf die berühmte Frage, die nach den Ereignissen des Septembers aufkam:
Warum hassen sie uns?
Zu den wichtigen Anmerkungen von Dr. Nadia Mustafa gehört ihre
Forderung nach einer Neuformulierung von Artikel 14 des Briefentwurfes,
der folgendermaßen beginnt: ‚Wir ägyptischen Intellektuellen, die diese
Erklärung unterzeichnen, glauben nicht an die Existenz eines Kampfes
zwischen den Zivilisationen.’ Ihrer Ansicht nach stehen die westliche
und insbesondere die amerikanische Politik für einen Kampf der
Zivilisationen.
Ich bin hiermit nicht einverstanden. Denn die konservative und
reaktionäre Politik, die die Regierung Bush verfolgt, ist nicht so sehr
Ausdruck eines Kampfes zwischen der ‚amerikanischen’ und der
‚arabisch-islamischen Zivilisation“, als vielmehr ein Ausdruck der
Interessen der Vertreter der amerikanisch militärisch-industriellen
Gesellschaft. Das ist der Begriff, den Präsident Eisenhower selbst für
die klassenübergreifende Koalition der Interessenvertreter des
amerikanischen Kapitalismus
Daher dürfen wir die ideologischen Formulierungen der Theorie des
Kampfes zwischen den Zivilisationen, die Samuel Huntington zur
Legitimation der interventionistischen Politik der USA zu formulierte,
nicht als objektive Beschreibung der Wirklichkeit eines Kampfes zwischen
der westlichen Zivilisation und dem Rest der Welt verstehen.
Mustafa schließt ihre wichtigen Anmerkungen mit der Frage, ob die
Vereinten Nationen der einzige Weg zum Dialog der Zivilisationen
darstelle. Meiner Meinung ist die UNO nicht der einzige Weg, aber der
effektivste. Die UNO ist die einzige Kraft in der ganzen Welt, die nach
den internationalen Gesetzen ermächtigt ist, die Grundlagen für ein
neues internationales System zu legen, dem alle Mitglieder der Vereinten
Nationen verpflichtet sind.
Wir fragen uns schließlich, stehen wir vor einem Dialog der
Zivilisationen? Nein. Vor uns liegen noch viele Aufgaben, die einem
Dialog der Zivilisationen vorangehen müssen. Die wichtigste ist, dass
wir Selbstkritik üben, dass wir den Zustand der islamischen und
arabischen Gesellschaft reformieren, die von politischer Willkür und dem
Mangel an sozialer Gerechtigkeit beherrscht werden. Dies und nichts
anderes ist der Weg, um das Bild der Muslime und Araber ‚zu verbessern’,
wie es gewöhnlich formuliert wird. Eben nicht mit Worten, sondern mit
Taten.“
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
eMail:
memri@memri.de,
URL:
www.memri.de
© Copyright 2002. Alle Rechte
vorbehalten.